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Anders statt mehr

Wachstum ist der Motor, mit der die Politik unsere Gesellschaft funktionstüchtig halten will. Doch "mehr von allem" kann angesichts endlicher Ressourcen nicht die Marschroute sein. Es wird heißen müssen "anders statt mehr": Darum geht es es in einer Vortragsreihe des Hamburger Institut für Sozialforschung, die noch bis Februar 2013 läuft.

Von Ursula Storost |
    Sophie Wolfrum: "Wir haben mittlerweile Städte auf der Erde, Mexikocity ist eine der größten. Das heißt die Leute setzen sich in ihr Auto um zur Arbeit zu fahren und sind zwei Stunden unterwegs morgens und zwei Stunden unterwegs abends. Das sind ja auch Lebensbedingungen, die eigentlich schlecht sind. Absolut schlecht."

    Sophie Wolfrum, Professorin für Städtebau an der TU München, sieht die Zukunft düster. Eine neue Wachstumsqualität sei nicht in Sicht, behauptet die Stadtplanerin. Viele Politiker und Unternehmer seien nach wie vor dem Glauben verfallen, dass nur durch konventionelles Wachstum etwas gestaltbar sei. Dabei müsse man nicht mehr haben, sondern Anderes. Zum Beispiel umbauen. Andere Verkehrsmittel, andere soziale Gemeinschaften, andere Ökonomien befördern. Alle sollten und müssten mitwirken, wenn es zum Beispiel um den Aspekt Nachhaltigkeit ginge. Und um Verkehrspolitik.

    Sophie Wolfrum: "Straßen müssen wieder öffentliche Räume werden. Auf den Straßen ist auch alles mögliche Andere unterzubringen außer Autoverkehr."

    Der öffentliche Raum sei klassischerweise der Raum, wo Menschen miteinander diskutierten und Politik machten, sagt Sabine Stövesand. Aber, bemängelt die Professorin für soziale Arbeit an der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften, inzwischen werde immer mehr vom öffentlichen Raum privatisiert. Dagegen würden die Menschen sich wehren. Sie wollten mitreden bei der Entwicklung ihrer Stadt, ihres demokratischen Gemeinwesens:

    "In Hamburg haben Sie ja ein großes Bündnis von Initiativen mit dem Namen 'Recht auf Stadt', wo von Kleingarteninitiativen bis zum Gängeviertel sich Leute zusammentun. Und mit meiner Vorstellung von Stadt als Gemeinwesen hängt die Idee der öffentlichen Güter, der Gemeingüter zusammen. Und ich finde zum Beispiel dass Wohnungen keine Ware sind."

    Denn Menschen bräuchten zum Überleben ein Dach über dem Kopf, das bezahlbar sei.

    Sabine Stövesand: "Und da hat ein Land, was das Sozialstaatsgebot in der Verfassung hat, hat ne Aufgabe in Bezug auf den Wohnungsmarkt. Und da haben die Städte zugunsten von Investoren, von Immobilienfirmen auf Steuerungsmöglichkeiten verzichtet."

    Stadt würde seit den 1980er-Jahren als Unternehmen betrachtet. Das Unternehmen Stadt, das sich am Wettbewerb orientiere, Standortvorteile biete. Nach Investoren schiele.

    Sabine Stövesand: "Das ist für mich ein Schmalspurdenken über Stadt und das hat ja auch richtig materielle Folgen in der Form, was wird eigentlich hier gefördert, was wird unterstützt, was wird nicht unterstützt."

    Dass die gesamte Gesellschaft nur noch unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werde, zeige sich bei der betriebswirtschaftliche Sprache, die neuerdings bei den Sozialeinrichtungen installiert worden sei. Man spräche von Produkten und Kunden. Aber die Menschen, die dort hin kämen, seien keine Kunden, die mit Geld Produkte erwerben wollten oder könnten. Es seien Hilfe Suchende ohne freie Auswahl.

    Sabine Stövesand: "Man stellt sich ja ne Gesellschaft auf ner anderen Basis vor. ZUM BEISPIEL von Anerkennung, von Interesse aneinander. Von lebendigen und solidarischen Beziehungen. Und nicht von Kaufbeziehungen. wenn wir alle nur noch Kunden sind, dann wird alles über Tausch und Geld geregelt. Will man das?"

    Wohin das Wachstum uns gebracht hat, konnte Sabine Stövesand kürzlich bei einer Reise nach Indien feststellen. Da gebe es Milliardäre in Palästen und Verhungerte auf den Straßen. Wir bräuchten also Anderes. Und wir bräuchten Mehr:

    "Also es braucht zum Teil mehr Steuerung. Zum Beispiel in Bezug auf Mietpreisdeckelungen und Wohnungsmarkt braucht es mehr Regeln. Es braucht mehr Bewusstsein darüber, dass dieser Planet endlich ist. Und dass, wenn so weitergewirtschaftet wird, man tatsächlich in Deutschland auch als Reicher dann in gated communities leben kann. Dass also dann dieses Land alles andere ist als ein Gemeinwesen sondern eine noch viel stärker gespaltene Stadt. die ne Lebensqualität für niemanden mehr bietet."

    Dass Wachstum und Ökonomisierung unzufrieden, ja sogar psychisch krank machen, haben auch Lisa Grabe und Andreas Pfeuffer vom Hamburger Institut für Sozialforschung festgestellt. Zusammen mit Schweizer und Österreichischen Kollegen haben die Kulturwissenschaftlerin und der Soziologe Befragungen bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst durchgeführt.

    Lisa Grabe: "Wenn man sich den öffentlichen Dienst ansieht so wie er mal war. Als einen Beschäftigungssektor mit Modellwirkung, der besonders für gute Qualität, für sichere Beschäftigungsbedingungen, gute Arbeitsbedingungen stand. Der einen gewissen Ausstrahlungscharakter hatte."

    Heute habe der öffentliche Dienst eine höhere Befristungsquote als die gesamte Privatwirtschaft, beklagt Andreas Pfeuffer. Aber an den Wänden hingen Qualitätszertifikate und es gebe Qualitätsberichte:

    "Aber faktisch hat man das Gefühl, das ist nur ein Einsatz in nem Spiel, wo es nach Außen darum geht, diese Qualität im Standortwettbewerb zu demonstrieren. Die Beschäftigten sehen in ihrer alltäglichen Arbeit sich damit konfrontiert, dass sie viel zu wenig Zeit, viel zu wenig Personal zur Verfügung haben, um diese Qualität wirklich zu erbringen."

    Die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes berichteten übereinstimmend, die Belastungen würden durch Rationalisierung und zusätzliche Aufgaben immer größer. Die Zeit für ihre Klienten und Patienten immer knapper. Qualitätssteigerung brauche eben Geld, sagt Andreas Pfeuffer:

    "Es ist ne Frage der Wertigkeit. Man hat Geld, um Banken zu retten, mal plump gesagt. Aber man hat nicht Geld, um seine Beschäftigten ordentlich zu bezahlen, um ihnen Beschäftigungsverhältnisse anzubieten, die gesichert sind, auf der sich ne Karriere hin planen lässt, Familie gründen lässt."

    Die Zukunft ist unsicherer geworden, konstatiert auch Heinz Bude, Soziologieprofessor an der Universität Kassel und Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung:

    "Bisher war es immer so, dass die Zukunft automatisch andere Möglichkeiten bringen würde, die in der Regel bessere Möglichkeiten waren. Jetzt taucht die Frage auf, ob wir aktiv und bewusst etwas tun müssen, damit Zukunft für die Kinder eine lebbare Zukunft sein wird. In ökologischer Hinsicht, in sozialer Hinsicht und auch in materieller Hinsicht."

    Eltern würden heute bereits fürsorglicher mit Ressourcen, mit der Umwelt umgehen. Denn sie wollten durch ihren eigenen Lebensstil nicht die Zukunft ihrer Kinder gefährden. Das würde sich heute bereits zeigen. Beispiel Einkaufen:

    "Jeder, der es sich halbwegs leisten kann, überlegt mittlerweile, kann ich es sozial verantworten ein T-Shirt für drei Euro fünfzig zu kaufen, kann ich es ökologisch verantworten ein solches T-Shirt mit einer bestimmten Farbgebung zu kaufen. Und kann ich's mir ökonomisch leisten mir eins für 12 Euro zu kaufen, was dann sozialen und ökologischen Dimensionen anders gerecht wird."

    Der Trend ginge zu Weniger und Besser, so Heinz Budes optimistische Prognose. Ein Trend zu mehr Gemeinsamkeit. Genossenschaften seien ein Zukunftsmodell. Zum Wohnen, zum Arbeiten, zum Planen. So ließe sich eine Generationengerechtigkeit herstellen, die über den kleinen familiären Rahmen hinausreichte:

    "Dass wir im Grunde, wenn wir merken, dass die Ressourcen weniger werden, dass wir nicht mehr so einfach so on machen können, dann ist es eine völlig natürlich Reaktion, dass die Leute denken, welche Aufgaben müssen wir eigentlich gemeinsam bewältigen und welche kann ich alleine bewältigen. Selbst wenn ich ein hohes Einkommen habe und der Meinung bin, ich will auf keinen Fall von anderen Leuten abhängig sein, ich bin ein stark gläubiger Liberaler, wird man sehr schnell merken, dass sie zum Beispiel sauberes Wasser und gute Luft und eine friedfertige Gesellschaft durch noch so große eigene Anstrengungen nicht erreichen können."