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"Anders werden wir die Spaltung des Landes nicht überwinden können"

Der "schwarz-grüne Glaubenskrieg" um Stuttgart 21 tut dem Land nicht gut, sagt der Spitzenkandidat der SPD in Baden-Württemberg, Nils Schmid. Eine Lösung im Streit um das Bahnprojekt bietet für ihn nur eine Volksabstimmung.

Nils Schmid im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Stuttgart 21 - das Thema beschäftigt uns und wird uns auch weiter beschäftigen, denn die Gespräche, die Vermittlungsgespräche laufen weiter. Allerdings, die inhaltlichen Differenzen bleiben ziemlich groß. Politisch hat das Ganze natürlich auch Auswirkungen: Die CDU hat sich inzwischen völlig eindeutig pro Stuttgart 21 positioniert, die Grünen sagen Nein, und dazwischen irgendwo steht die SPD. Wo sie denn genau steht, wollen wir jetzt mal etwas genauer erfahren, denn am Telefon begrüße ich zunächst mal Nils Schmid, den SPD-Chef in Baden-Württemberg und designierten Spitzenkandidaten. Guten Morgen, Herr Schmid!

    Nils Schmid: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Zunächst einmal, Sie werden heute zum Spitzenkandidaten gewählt, da kann es keinen vernünftigen Zweifel dran geben – haben Sie einen Moment gezögert angesichts der jüngsten Umfragewerte, die Ihre Partei ja nur noch auf dem dritten Platz sieht im Ländle?

    Schmid: Nein, ich habe nicht gezögert, ich freu mich drauf, und wir haben eine große Chance, hier in Baden-Württemberg die CDU abzulösen mit einer rot-grünen Mehrheit, und das spornt an.

    Zurheide: Sie sind ja im Moment – das ist die inhaltliche Frage – so ein Stück in der Mitte, ich hab es gerade gesagt. Die CDU positioniert sich klar dafür, die Grünen dagegen, scheinen im Moment in den Umfragen davon zu profitieren, Sie sagen als jemand, der Stuttgart 21 nicht prinzipiell ablehnt, der aber sagt, wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung – ist das eine zu komplizierte Haltung vielleicht?

    Schmid: Nein, ich meine, dass der schwarz-grüne Glaubenskrieg um Stuttgart 21 dem Land nicht gut tut. Inzwischen geht es nicht mehr um den Bahnhof, sondern um eine Spaltung der Gesellschaft, wo viele Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die Politik verloren haben, und da brauchen wir eine zusätzliche Legitimation für dieses wichtige Bahnprojekt, und das geht nur über eine Volksabstimmung. Deshalb haben wir gesagt, jawohl, die SPD hat immer für S21 und die Neubaustrecke gekämpft, wir wollen jetzt aber eine breitere Akzeptanz haben, denn mit Wasserwerfern und Pfefferspray wird man so eine Großbaustelle nicht durchhalten können.

    Zurheide: Auf der anderen Seite taucht natürlich die Frage auf, wieso man ein Projekt, das zumindest – und das bestreitet keiner – ordnungsgemäß genehmigt worden ist, wo es Einspruchsverfahren gegeben hat, dass man das jetzt noch mal nachträglich legitimieren muss. Was ist denn da falsch gelaufen?

    Schmid: Die Projektträger haben über Jahre hinweg es versäumt, die Akzeptanz, die ursprünglich ja durchaus vorhanden war, bis zum Baubeginn durchzutragen, und deshalb ist jetzt die Akzeptanz im Keller, und der Polizeieinsatz von Ende September hat nicht gerade dazu beigetragen, das Vertrauen in dieses Projekt zu stärken. Deshalb sollten alle diejenigen, die für dieses Projekt eintreten, sich dem Votum der Bürgerinnen und Bürger stellen, denn wer gute Argumente hat, der braucht sich auch nicht zu verstecken. Und wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass die Bürgerinnen und Bürger des Landes viele Sorgen, viele Einwände haben. Und das kann man nicht wegwischen mit Hinweis auf Parlamentsbeschlüsse, die schon länger zurückliegen, da muss man einen neuen Anlauf nehmen, denn so eine Großbaustelle, die über Monate, wenn nicht Jahre hinweg in der Landeshauptstadt stattfinden wird, lebt davon, dass sie akzeptiert wird und nicht, dass da dauernd Hundertschaften von Polizisten im Einsatz sind.

    Zurheide: Auf der anderen Seite leben Sie dann natürlich mit der Gefahr, dass die Bürger auch Nein sagen, das ist ja dann auch ein Legitimationsproblem. Wer soll da abstimmen, die Stuttgarter, ganz Baden-Württemberg oder wird es die Landtagswahl als Abstimmung, wie die Kanzlerin gesagt hat?

    Schmid: Die Landtagswahl wird verschiedene Themen haben, sicher nicht nur Stuttgart 21, deshalb ist es der falsche Ort, und außerdem müsste die Kanzlerin konsequenterweise dann auch einen Baustopp bis zur Landtagswahl anordnen, das lehnt sie bisher ab. Nein, es müssten die Menschen im ganzen Land abstimmen. Wir haben einen Vorschlag gemacht zur verbindlichen Volksabstimmung in ganz Baden-Württemberg, die Verfassung sieht eine Möglichkeit vor – wenn die politischen Kräfte sich einig sind, können wir das noch vor Jahresende machen –, denn es geht um einen erheblichen Beitrag auch aus dem Landeshaushalt, und es geht um die Schieneninfrastruktur weit über Stuttgart hinaus. Diese Neubaustrecke von Ulm nach Wendlingen ist eng verbunden mit dem Bahnhofsumbau und ist für das gesamte Land Baden-Württemberg wesentlich, denn Schieneninfrastruktur ist eine Frage des Wirtschaftsstandortes, da hängt viel dran, da hängen andere Schienenverbindungen dran. Und deshalb meine ich, es ist richtig, wenn die Baden-Württemberginnen und Baden-Württemberger eine zusätzliche Legitimation für dieses wichtige Verkehrsvorhaben geben.

    Zurheide: Macht es Ihnen manchmal Sorgen, wenn Sie dann sehen, dass die Grünen mit ihrer klaren Position zum Nein, dass die so an Ihnen vorbeiziehen, dass sie schon auf Augenhöhe mit der CDU in Umfragen bisher nur, aber dennoch liegen?

    Schmid: Das ist eine Momentaufnahme, die wir zur Kenntnis nehmen. Ich denke bloß, dass in den nächsten Monaten bis zur Landtagswahl eine Ein-Themen-Partei, die Nein zu Stuttgart 21 sagt, nicht in der Lage sein wird, deutlich zu machen, dass sie das Land führen will. Dafür ist ein Thema zu wenig, und das Nein zum wichtigen Infrastrukturvorhaben auch zu wenig. Es wird um gerechte Bildungschancen gehen, um Ausbau von Kleinkindbetreuung, es wird auch um faire Arbeitsbedingungen gehen und vor allem darum, dass wir auch die innere Sicherheit mit ausreichend Polizei im Land haben, dass wir genügend investieren in die Wirtschaftsstruktur, dass Maschinenbau oder Automobilindustrie auch eine Zukunft in dem Land haben. Das beschäftigt viele Menschen mehr als der Streit um einen Bahnhof. Die Landespolitik sollte sich in diesem schwarz-grünen Glaubenskrieg auch nicht verirren. Und deshalb haben wir einen Weg der Vernunft vorgeschlagen, Maß und Mitte, und ich bin überzeugt, dass die Bürgerinnen und Bürger das letztlich honorieren werden.

    Zurheide: Es taucht natürlich die Frage auf, wer ist denn Ihr Hauptgegner – die Grünen, die dann möglicherweise an Ihnen vorbeiziehen können, oder eben doch die CDU? Wie werden Sie Ihren Wahlkampf anlegen?

    Schmid: Hauptgegner ist und bleibt die CDU, die rückwärtsgewandt Politik macht, wenn ich nur an den Atomausstieg denke, die im obrigkeitsstaatlichen Denken gefangen ist und nicht bereit ist, die Bürger stärker einzubeziehen, wenn es um die Schulentwicklung geht, um den Erhalt von Schulstandorten, um längeres gemeinsames Lernen. Und die Grünen sind Mitbewerber, mit denen wir aber in vielen Feldern eine große inhaltliche Übereinstimmung haben. Und wir wollen die historische Chance nutzen, in Baden-Württemberg die CDU abzulösen. Da sollen die Grünen ruhig auch ein bisschen mithelfen, deshalb sollen die auch ausreichend Stimmen bekommen. Wir würden bloß gerne am Ende des Tages vorne liegen und am 27. März wird die SPD wieder vor den Grünen liegen.

    Zurheide: Und wenn es nicht so ist, würden Sie auch in ein rot-grünes Kabinett unter grüner Führung gehen, in ein grün-rotes Kabinett muss man in dem Fall sagen.

    Schmid: Das werden wir sehen, die Frage stellt sich dann nach der Wahl. Klar ist aber für uns, dass jede Regierung den Konflikt um Stuttgart 21 lösen muss, wenn er bis dahin nicht aufgelöst ist, und das geht nur über eine Volksabstimmung. Deshalb habe ich klar erklärt: Wer mit uns regieren will, der muss diesen Weg der Volksabstimmung, ein letztes Wort der Bürgerinnen und Bürger, mitgehen, anders werden wir die Spaltung des Landes nicht überwinden können. Und das ist eine Anforderung, die an Grüne wie an andere Parteien gilt, weil die Grünen sich auch mal klar bekennen müssen zum Weg der Volksabstimmung und nicht aus Wahlkampfgründen diesen Konflikt weiter fördern soll.

    Zurheide: Aber anders als die Berliner Parteikollegen der SPD schließen Sie das nicht aus, dass Sie auch möglicherweise dann als kleinerer Partner in die Konstellation gehen, wie ich Sie vorhin geschildert habe?

    Schmid: Also Juniorpartner ist immer ein bisschen doof, sage ich mal ganz ehrlich, das gilt für eine große Koalition, das gilt aber auch im Verhältnis zu den Grünen. Deshalb werden wir dafür kämpfen, dass wir vorne liegen. Genauso klar ist aber auch, dass wir keine negativen Koalitionsaussagen machen werden, und wir sind uns sehr wohl bewusst, dass wir eine wahrscheinlich einmalige Chance haben, in Baden-Württemberg die CDU in die Opposition zu schicken, da gehört sie auch hin. Wir müssen mal das Land durchlüften, und das wird uns mit den Grünen, wenn eine Mehrheit da ist, sicher eher zusammenführen als mit der CDU.

    Zurheide: Das war Nils Schmid, der SPD-Spitzenkandidat, der heute gewählt werden soll, und Landesvorsitzende in Baden-Württemberg. Ich bedanke mich für das Gespräch, auf Wiederhören, Herr Schmid!