Anja Buchmann: Warum sind Sie wieder ins Studio gegangen? Was hat Sie da quasi angetriggert?
André Heller: Also die kürzeste Antwort ist, weil es dran war. Aber warum war es dran? Wenn man 35 Jahre keine Lieder aufnimmt, wenn man damals das Gefühl hatte, man hat aus dem Sektor nix mehr zu lernen und hat seine Pflichten sich selbst gegenüber erfüllt, und dann vergeht viel Zeit, dann verändert man sich natürlich in dieser Zeit auch - in meinem Fall ziemlich radikal. Ich glaube, dass man alle fünf Jahre jemand grundsätzlich anderer ist, wenn man das Leben nicht schwänzt und sich auf die Expeditionen einlässt, die einen neue Erkenntnisse bringen.
Und dann habe ich mir eines Tages, so um 2015, gedacht, warum schreibst du nicht ein paar Lieder und nimmst sie auf, die von dem erzählen, was du jetzt bist, wie du jetzt denkst? Und da sind natürlich entscheidende Veränderungen dazugekommen. Zum Beispiel, dass mich eigentlich im Großen und Ganzen die Dankbarkeit beherrscht. Oder dass ich mit meinem Ego gelernt habe, runterzugehen und nicht mehr alles bewerten muss und nicht mehr den Skandal suchen muss, sondern einen Frieden, eine Genauigkeit, eine Heilung. Das sind die Dinge, die die mich beschäftigen. Deswegen arbeite ich auch fast die ganze Zeit nunmehr an Gärten in vielen Ländern der Welt.
"Ich musste auch lernen, mit mir befreundet zu werden"
Buchmann: Sie würden selbst sagen, dass Ihr Ego früher deutlich größer war, als jetzt?
Heller: Ja, ich hatte eine Hybris. Ich fand mich selbst großartig, anderen überlegen. Mittlerweile habe ich verstanden, dass jeder mit jedem vernetzt ist. Und dass eigentlich die einzige Muttersprache, die wir alle haben, das Mitgefühl ist und sein sollte. Und ich musste auch lernen, mit mir befreundet zu werden, mich nicht immer selber so herunterzumachen. Ich bin eigentlich jahrzehnte in einem Feind eingeschlafen und in einem Feind aufgewacht. Aber das werden viele von sich kennen, die jetzt zuhören.
Buchmann: Was hat denn da eine Änderung herbeigeführt für Sie, dass Sie nicht mehr als Feind ihrer selbst einschlafen und aufwachen?
Heller: Einfach eines Tages zu merken: So geht's nicht mehr weiter. Ich will durch Freude lernen. Ich will in einem Generalzustand sein, der nicht in der Seltsamkeit gefangen ist, dass andere sich an meiner Arbeit Ermutigung und eine Art von hoher Energie holen. Und ich selber bin immer irgendwie ranzig, wenn man es wienerisch ausdrückt, oder verzweifelt, wenn man so etwas schärfer formuliert in dieser Person und stehe in diesem André Heller herum und denke mir: 'Warum kann er nicht mehr Rücksicht nehmen auf mich?' Und dann habe ich begonnen, mir diese Rücksichtnotwendigkeiten beizubringen. Und es geht mir natürlich besser. Und ich bin ein anderer. Und ich mache viele Dinge, die ich früher getan hätte, nicht mehr.
Zum Beispiel eben - ich wiederhole mich da jetzt - diese Sehnsucht, dass man immer alles bewertet. Ich habe in meinen Konzerten oft eineinhalb Stunden Stehgreifreden gehalten, und habe Menschen verletzt und gekränkt. Und und alle haben gejubelt, weil das natürlich gut ankommt, wenn man sarkastisch und sozusagen unter dem Motto, 'warum immer gleich sachlich, wenn's auch persönlich geht', andere fertigmacht. Das habe ich mir vollkommen abgewöhnt, weil ich vor 15 Jahren begriffen habe, dass die Energie, die man ausschickt, genau die Energie ist, die man zurückbekommt.
Buchmann: "Jede Stunde soll man feiern, dankbar und voll Leidenschaft, aus den sinnlichen Momenten strömt für uns die größte Kraft", heißt es in dem Stück "Papirossi". Ist das jetzt eine ... naja, alte oder neue Einstellung von Ihnen?
Heller: Naja, das ist eine Hymne, die einer seltsamen Sehnsucht von mir zu verdanken ist. Ich wollte immer, dass bei jüdischen Hochzeiten ein Lied von mir gesungen wird, zu dem alle tanzen - und jetzt habe ich es geschrieben. Also ich würde nicht mehr hineininterpretieren, als die Erfüllung dieses Wunsches.
Buchmann: Ist aber Musik. Welche sinnliche Bedeutung hat Musik für Sie? Vielleicht auch im Vergleich zu anderen Künsten.
Heller: Musik ist eine Ungeheuerlichkeit. Es ist Schwingung. Und Sie haben eine Schwingung und ich habe eine Schwingung. Und Landschaften haben eine Schwingung, und Bilder haben eine Schwingung. Das heißt, das Musikalische ist eigentlich in jeder anderen Kunst zu Hause, ob es jetzt der Rhythmus eines Gemäldes ist oder einer Skulptur oder wie man einen Garten anlegt oder wie man einen Film dreht. Überall spielt dieser Rhythmus eine große Rolle. Und Musik ist das, was uns am tiefsten ins Herz greifen kann und ist das, was uns wahrscheinlich auch am allerbesten trösten kann, außer Gärten. Gärten sind etwas, was Junge und Alte, Gebildete und Ungebildete, Ausländer und Inländer gleichermaßen sinnlich packt und eine Kraft, einen Trost vermittelt, wie nichts anderes. Aber an zweiter Stelle kommt schon die Musik.
Wir haben noch länger mit André Heller gesprochen -
hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Buchmann: Die Musik, in der natürlich dieser Rhythmus, den Sie auch auf die anderen Künste zurecht projiziert haben, natürlich irgendwie am offenbarsten ist.
Heller: Das stimmt, ja.
Buchmann: In dem Lied "Heldenplatz" singen Sie unter anderem: 'Die Liebenden spielen Blinde Kuh, und die Schatten der Mörder schauen zu. Alles, was verweht, kehrt in der Nacht zurück zum Heldenplatz.' Eine Anspielung, wie ich vermute, auch an Hitlers Rede ... der Neuen Hofburg ...
Heller: ... an Hitlers Rede auf dem Balkon über den Anschluss von Österreich. Der Heldenplatz ist der zentrale in Wien, aber eigentlich auch für Österreich, wo politische Ereignisse stattgefunden haben. Und ich habe selber dort mit Freunden die größten Demonstrationen der Nachkriegszeit organisiert, "Das Lichtermeer" zum Beispiel oder "Das Fest für Österreich". Und das ist eine schwärende Wunde immer, und die Österreicher haben sich ja so sehr - nicht alle, aber ein substanzieller Teil - verweigert dem Lehrenziehen aus der Geschichte verweigert.
Buchmann: Mehr als andere?
Heller: Ja, absolut. Ich meine, wir haben die FPÖ in der Regierung gehabt, und wenn die sich nicht selber geoffenbart hätten, wes Geistes Kinder sie sind, was alle anderen eh schon immer gewusst haben, dann wären die immer noch in der Regierung. Aber es geht nicht nur um das. Es geht darum, dass man behutsamer werden muss, dass man begreifen muss, dass jeder von uns mit allen anderen vernetzt ist. Dass wir füreinander verantwortlich sind. Wir werden diese Herausforderungen, die uns zwischen Klimawechsel und zwischen der afrikanischen Situation, wo bald Millionen sich auf den Weg machen müssen, weil die Lebensbedingungen einfach nicht mehr gegeben sind - von der Würde brauchen wir gar nicht reden -, um irgendwie zu überleben dort. Ich lebe ja in Afrika das halbe Jahr.
Wir werden das nie bewältigen können, wenn wir nicht wirklich die Verantwortung übernehmen und wissen, dass wir etwas abgeben müssen an andere. Diese Floriani-Regel, 'lieber Gott, zünd' das Haus des nachbarn an und verschon' meines', die geht sich nicht aus. Wir müssen Acht geben, dass wir nicht die Generation sind, die in einem Maß versagt, wie es in der Weltgeschichte noch nie eine Generation gab. Und wir müssen aufpassen, dass unsere Enkel und deren Nachfahren nicht eines Tages auf unsere Gräber spucken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.