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Andrea Römmele
"Zur Sache!"

Streit, Zoff, populistisches Poltern – die Erregungsindustrie gebiert täglich neue Aufreger. Die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele plädiert nun mit ihrem neuen Buch "Zur Sache!" für eine "neue Streitkultur in Politik und Gesellschaft".

Von Ralph Gerstenberg |
Hintergrundbild: Bundestags-Debatte 15.2.2018; im Vordergrund: Buchcover.
Echter Streit um Inhalte gehört seit der Aufklärung zu den Grundfesten der demokratischen Auseinandersetzung (dpa/picture alliance/Carsten Koall und Aufbau Verlag)
Streit, Zoff, Polemik sind das Salz in der Suppe der politischen Auseinandersetzung. Zuviel davon macht diese jedoch ungenießbar. Meinungen stehen dann unversöhnlich nebeneinander, Dispute sind nur noch dazu da, Aufmerksamkeit zu generieren. Anstelle einer inhaltlichen Auseinandersetzung tritt der pure Machtkampf. Der Kompromiss, das Arrangement oder Konsens gar haben in Zeiten des populistischen Polterns und sensationsheischenden Skandalisierens einen schlechten Stand. Dabei, so die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele, sei unser politisches System auf Konsens und Kompromiss angelegt:
"Wir können uns das wie bei einer Partie Doppelkopf vorstellen: Jede Wahl mischt die Karten neu. Bis zur nächsten Wahl ergeben sich neue Teams in Regierung und Opposition, wobei die Regierungsparteien deutlich enger zusammenarbeiten müssen. Beim nächsten Spiel, nach der nächsten Wahl können die Teams aber schon wieder ganz anders aussehen. Besser also, man verscherzt es sich mit niemandem zu sehr oder dauerhaft."
Sensationslust gepaart mit Harmoniebedürfnis
Ein Dilemma, in dem sich zurzeit beispielsweise die SPD befindet: Wie verkauft man Kompromisse und Konsensentscheidungen der großen Koalition und gewinnt in der Auseinandersetzung mit einer mitregierenden CDU/CSU an Kontur? Das "Gute-Kita-Gesetz", mit dem zur besseren Kinderbetreuung vier Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, ist weiß Gott kein Aufmerksamkeitsmagnet. Größere Strahlkraft besitzt hingegen der renitente Starrsinn Horst Seehofers, der allerdings mit fallenden Umfrageergebnissen von der Bevölkerung abgestraft wird. Andrea Römmele sieht in diesem mit Sensationslust gepaarten Harmoniebedürfnis ein Problem, weil dadurch der Streit als produktives Element zur Meinungsbildung nicht mehr ernst genommen wird.
"Während wir also auf der einen Seite das Sensationelle des Streits durch Aufmerksamkeit belohnen, wollen wir am Ende doch ein harmonisches Miteinander, bei dem alle an einem Strang ziehen – jedenfalls solange an diesem Strang das eigene Ziel hängt. Dann erscheint uns der Streit als eine Störung (…) etwas, das uns aufhält und möglichst vermieden werden soll. Streiten sich die anderen, ist das Wasser auf unsere Mühlen. Deren Streit können wir ohne Abstriche genießen."
Echter Streit um Inhalte gehört seit der Aufklärung zu den Grundfesten der demokratischen Auseinandersetzung. Der mündige Bürger soll sich bilden und einbringen in den öffentlichen Diskurs. Streit, meint Andrea Römmele, sei also gewissermaßen "ein Kernelement von Demokraten". Und um dieses Element wieder "zu neuem Leben" zu erwecken, wie sie sagt, benötigten wir eine neue Streitkultur. Es gehe darum, den Streit als "Verstehensprozess" zu begreifen. Das politische Gegenüber nicht nur als Projektionsfläche zu betrachten, die man benutzt, um die eigene Botschaft zu senden und seine Anhängerschaft hinter sich zu versammeln, sondern darum, etwas verstehen zu wollen. Politische Streitkultur, so Römmele, beginne im Grunde schon vor dem Streit.
"Nämlich wenn wir uns eine Meinung zu einem Thema bilden. Dabei geht es mir nicht nur darum, dass diese Meinung im Idealfall auf gesicherten Fakten aus unterschiedlichen Quellen beruhen sollte, sondern insbesondere um die Haltung, die man mit ihr verbindet. Egal, wie überzeugt man davon ist, dass man im Recht ist, sollte man immer einen gewissen Restzweifel beibehalten. Sich der Möglichkeit bewusst sein, dass der politische Gegner möglicherweise einen Punkt hat, über den es sich lohnt nachzudenken."
Plädoyer für mehr Sachlichkeit im Diskurs
Angesichts überhitzter Debatten auf allen Kanälen plädiert Andrea Römmele für mehr Sachlichkeit im Diskurs. Das bedeute jedoch nicht, dass Leidenschaft und Emotionalität hintan stehen müssen. Man könne auch auf Faktenbasis emotional für etwas eintreten, ohne apodiktisches "Basta!"-Gebaren. Debattenkultur bedeutet auch, "einen Spagat auszuhalten", schreibt Römmele am Ende ihrer kleinen Streitschrift:
"Das heißt die gegnerische Meinung nicht nur wertzuschätzen, sondern gleichzeitig die harte Auseinandersetzung zu suchen. Wenn uns das gelingt, dann können wir von einer demokratischen Streitkultur sprechen."
Davon, da reicht ein Blick in die nächste Talkshow, sind wir noch meilenweit entfernt. Andrea Römmeles Buch gerät zum Schluss, wenn sie "die Bürger" dazu aufruft, sich einzumischen, weil sonst die Demokratie, die ein Prozess sei, aufhöre zu existieren, leider etwas zu plakativ. Wenn sie dann auch noch Heiko Maaß mit seiner während der Chemnitz-Krawalle geäußerten gratismutigen Aufforderung an alle zitiert: "Mal vom Sofa hochkommen und den Mund aufmachen!", dann kriegt das zudem einen seltsamen Beigeschmack. Schade, denn Andrea Römmeles Schrift über die Streitkultur unserer Tage ist ansonsten angenehm unaufgeregt und gut beobachtet. Über das Ende kann man – streiten!
Andrea Römmele: "Zur Sache! Für eine neue Streitkultur in Politik und Gesellschaft",
Aufbau Verlag, 140 Seiten, 16,50 €