Andreas Püttmann, Politikwissenschaftler und Publizist
"Ja. Die Zwanziger Jahre sind zwar nicht zurückgekehrt, aber bestimmte Muster und Bewegungen, die man damals beobachtet hat, sind in anderer Form unter veränderten Rahmenbedingungen wieder zu beobachten. Ich denke zum Beispiel an die wachsende Polarisierung und Radikalisierung im politischen System. Ich denke an den Schwund der Mitte, den Schwund der Kompromissfähigkeit, an die Verbreitung von Hass und Lügen.
Ich denke an den Aufwuchs von gewaltbereiten, insbesondere, Rechtsextremisten, die ungehemmter auftreten, einschüchtern und morden, wenn wir etwa an Halle und Walter Lübcke denken. Wir sind zu einem Sechsparteiensystem zurückgekehrt wie in der Weimarer Republik. Feindbilder werden gepflegt, besonders gegen eine bestimmte Religion. Wachsende Demagogie in Medien, eine erodierende Weltordnung, wachsende ökonomische Unsicherheit und schließlich eine zurückgehende Zufriedenheit mit der Demokratie – auch das gab es in den 1920er Jahren."
Birte Förster, Historikerin und Autorin des Buches "1919"
"Entschiedenes Nein. Weder sind wir eine Nachkriegsgesellschaft noch sind wir ein Land, in dem große Teile der Bevölkerung die Republik bekämpfen wollen. Wir haben eine ganz andere Verfassung, in der das Parlament eine zentrale Rolle spielt. Was uns auch von der Weimarer Republik maßgeblich unterscheidet: Frauen sind als Politikerinnen – und nicht nur als Politikerinnen – in der ersten Reihe angekommen. Sie sind rechtlich inzwischen vollkommen gleichgestellt.
Wir haben es auch nicht mit den gleichen sozialen Verwerfungen zu tun. Es gibt bessere Aufstiegschancen und der Zugang zu Bildung ist kostenfrei. Das heißt aber nicht, dass wir die aktuellen Gefährdungen unserer Demokratie – Rechtsterrorismus, Angriffe auf Büros von Abgeordneten, Bedrohung von Kommunalpolitikerinnen und -politikern – nicht ernstnehmen müssen. Aber das sind die Probleme des Jahres 2020 und nicht die des Jahres 1920."