Es waren die Reaktionen auf den Film, die den Filmemacher Andres Veiel zum Buchautor werden ließen. Anders als im Film, der Herrhausen und Grams einander gegenüberstellt, bekommt das Thema mit dem Buch nun Schlagseite. Veiels Recherchen führten ihn nämlich vor allem in die Deutsche Bank.
Bei der Deutschen Bank insbesondere in einer für mich sehr, sehr spannenden Richtung und zwar noch mal auszuloten die Art und Weise, wie Alfred Herrhausen, also Sprecher der Deutschen Bank, in den letzten 2 Jahren eigentlich gar nicht mehr wirklich der Sprecher war, der Macht gehabt hat. (D.h., er war, obwohl er Sprecher war,) obwohl er die Bank nach außen vertreten hat, war er auf dem Weg einer fundamentalen Entmachtung.
Veiel schildert beispielsweise die Inszenierung einer Mitarbeitertagung. Herrhausen wollte offenere Kommunikationsformen in der Bank finden und ermunterte bei einer speziellen Veranstaltung die Mitarbeiter zu einer freien Diskussion, zu Fragen und Kritik. Die kamen auch, hinterher erfuhr Herrhausen aber, dass das Ganze einstudiert und vorbereitet war. Die Regie hatte der Bank-Vorstand vor Ort geführt, Herrhausen war nicht informiert, sondern von seinem eigenen Haus vorgeführt worden. Das war schlimmer, als auf einem Parteitag einer Kommunistischen Partei, so dessen Urteil. Herrhausen war in der Deutschen Bank zunehmend isoliert. Am 28. November 1989, also zwei Tage vor seiner Ermordung, erklärte Herrhausen intern seinen Rücktritt. Der sollte im Januar 1990 vollzogen werden. Dieses entscheidende Detail war der Öffentlichkeit bisher unbekannt. Es ist eine der wichtigsten Informationen, die Veiel durch seine Recherchen und Gespräche gewonnen hat.
Das ist etwas, was die Bank systematisch verborgen hat, versteckt hat, diese Information, dass ihr Sprecher zwei Tage vor dem Attentat seinen Rücktritt erklärt hat, was natürlich brisant ist. (Also wenn Alfred Herrhausen nicht umgebracht worden wäre:) Warum wirft ein gesunder, geistig, körperlich auf dem Höhepunkt stehender Sprecher das Handtuch, (der erst 1 1/2 Jahre im Amt ist und der ganz große Pläne, Visionen hatte, die Bank umkrempeln will, der die Dritte-Welt-Länder auf eine neue Art und Weise versucht, schuldenfrei zu stellen usw. Warum gibt so jemand auf ?) Das zeigt ja, wie tief das Zerwürfnis zwischen ihm und dieser Bank gewesen sein muss.
Die Informanten, die sich infolge des Films meldeten, lieferten auch geradezu dramatische Aussagen, wie in der Bank auf Herrhausens Tod reagiert wurde, makabres Stichwort: "klammheimliche Freude". (Zeugen, die für den Film nicht zur Verfügung gestanden hätten, die andererseits ohne den Film und die Diskussion, die er auslöste, aber auch nicht geredet hätten.) Film und Buch ergänzen sich.
Das Buch hat die Chance, indem ich Texte, Briefe verarbeite von den Protagonisten, indem ich in diese Binnenstruktur eindringe, wo die Kamera keine Chance gehabt hätte. Beim Buch kann ich im Notfall eben anonymisieren, ich kann dann schreiben: ein Vorstandskollege, kann ihn aber trotzdem wörtlich zitieren und das ist die große Chance des Buches. (D.h., ich habe in das Buch Dinge reinbringen können, die ich im Film niemals hätte zeigen können.) Beispiel: Die Art und Weise, wie nach dem Tod von Alfred Herrhausen in der Bank reagiert wurde, das war für mich das eigentlich Schockierende. Da war eine offene, teilweise verhohlene, klammheimliche Freude in Teilen der Bank, dass mir ein Mitarbeiter gesagt hat, er hat sozusagen sinnbildlich die Sektkorken knallen hören. (Es gab bei einer Sekretärin dann Anrufe auf dem Band von Mitarbeitern, die ganz offen gesagt haben: jetzt ist der Räuberhauptmann endlich abberufen, da waren meine Leute ja jetzt sehr, sehr gut drin. All diese Dinge, die sind merkwürdig, die sind erschreckend, da blickt man in eine Schlangengrube rein) und das hätte mir vor laufender Kamera niemand gesagt. Aber so hab ich eben nach und nach über diese Stellungnahmen ein für mich sehr komplexes, z.T. sehr erschreckendes Bild der Bank zeichnen können, was im Film so nicht möglich gewesen wäre.
Wer Herrhausen ermordet hat, ist bis heute nicht aufgeklärt. Das schürt immer wieder Zweifel an der Täterschaft der RAF bzw. wirft die Frage auf, wer die RAF eigentlich war. Eine Theorie ist, die letzte Generation der RAF sei von Geheimdiensten und Staatsschutz durchsetzt gewesen, in Wahrheit eine Art Phantom also, zumal mindestens ein V-Mann des Verfassungsschutzes bekannt ist, der im inneren Kreis der RAF mitwirkte. Die neuen Erkenntnisse Veiels geben solchen Zweifeln Nahrung, obwohl er sich von der Theorie des sogenannten "RAF-Phantoms" distanziert
Also ich gehe erstens davon aus, dass es die RAF gab, dass also Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams nach all meinen jahrelangen Recherchen leibhaftige Vertreter dieser RAF waren und nicht Klone oder Marionetten eines Geheimdienstes. Natürlich bleiben Fragen, es bleiben Ungereimtheiten, und denen gebe ich im Buch auch Raum. (Also ich gehe weiterhin, da bin ich auch fest davon überzeugt, von einer Täterschaft der RAF aus, ohne dass ich das jetzt namentlich jemand zuordnen kann. Auf der anderen Seite wissen wir aus Erfahrungen von Chile über die Black Panther bis Bad Kleinen,) also die Festnahme von Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams wäre auch nicht passiert, wenn da nicht ein Agent des Verfassungsschutzes maßgeblich mit dran gearbeitet hätte. D.h., überall da, wo politischer Widerstand aktiv ist, sind Geheimdienste nicht fern. Was die Rolle der Deutschen Bank angeht, bin ich auch sehr genau: ich habe keinerlei Hinweise, dass die Deutsche Bank in dieser oder jener Form an diesem Attentat mitgewirkt hat, das muss man einfach ganz klar faktisch auch so benennen.
Eine Schlüsselfigur ist Birgit Hogefeld, die mit Wolfgang Grams neun Jahre im Untergrund gelebt haben soll und die bei der Aktion auf dem Bahnhof von Bad Kleinen, während der Grams getötet wurde, festgenommen wurde. Sie sitzt eine lebenslängliche Freiheitsstrafe ab, jedoch nicht wegen des Mordes an Herrhausen, sondern wegen anderer Taten. Für den Film verweigerte sie ihre Mitwirkung, für das Buch aber erklärte sie sich bereit, Gespräche mit Veiel zu führen. Allerdings traf sie mit ihm eine Vereinbarung, nichts zu möglichen Tatumständen zu sagen oder dazu, wo sie mit Grams im Untergrund war. Hogefeld kommt in dem Buch dementsprechend vor allem mit Aussagen zu ihrer Familiengeschichte und Sozialisation oder mit politischen und weltanschaulichen Äußerungen vor. Die Gespräche mit ihr sind Veiel übrigens dadurch möglich, und zwar auch heute noch, dass er von der Justiz als ehrenamtlicher Betreuer für die Inhaftierte zugelassen ist. Eine nicht unproblematische Verknüpfung von Sozialdienst und Journalismus.
Als Alfred Herrhausen Ende November 1989 ermordet wurde, war das Land mitten in den ost-deutschen Wendezeiten. Veiel nimmt darauf z.B. keinerlei Bezug. Überhaupt lässt er dieses gesamte Feld - DDR, Osteuropa, Wende - vollkommen außer Betracht, wie schon im Film so auch im Buch. Dabei sind die Ostgeschäfte der Deutschen Bank, sozusagen Geschäfte von "Kapitalisten" mit "Kommunisten", von besonderer Brisanz. Beispielsweise war die Deutsche Bank an den Milliardenkrediten für die DDR Mitte der 80er Jahre beteiligt. Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik übernahm die Deutsche Bank fast die gesamte Staatsbank der DDR (und vor allem die Schulden, die die DDR-Betriebe bei der Staatsbank hatten. Billige, geschenkte Schulden, weil die Deutsche Bank nun auf Geld Anspruch hatte, das sie selber gar nicht verliehen hatte.) Sie übernahm das Filialnetz der Staatsbank in Ostdeutschland und sie übernahm Personal, wie den ehemaligen Vizepräsidenten der DDR-Staatsbank, der heute zur Geschäftsleitung der Deutschen Bank zählt. Der Grund für Veiels Desinteresse an diesem Feld liegt an seinem Ansatz, seiner Perspektive auf die Black Box.
Das ist richtig, weil für mich der Schwerpunkt, also wo hat Alfred Herrhausen sich sozusagen nach außen exponiert und womit ist er dann in die Zielscheibe gekommen, das waren eben nicht die Verträge mit der DDR, nicht diese Kredite, sondern es war die Verschuldung der Dritte-Welt-Länder, es war die Fusion MBB-Daimler Benz. (Also das, wenn man sich die Pressereaktionen anguckt hier, womit ist er sozusagen ins Fadenkreuz gerückt, dann waren das vor allem diese beiden Versuche, eben einen neuen Konzern zu schmieden auf der einen Seite und zum anderen eine neue Entschuldungspolitik zu fahren.) D.h., für mich war ja die Frage, wie vermittelt sich, wenn man auch den Bekennerbrief der RAF liest, wie vermittelt sich ein bestimmtes Bild nach außen.
(Vielleicht ist die Black Box BRD sowieso nur eine halbe Box. Vielleicht handelt es sich ja um eine Black Box BRD-DDR ?) Ein Jahr lang hat Andres Veiel für das Buch recherchiert. Wie weit ist die Black Box inzwischen ausgeleuchtet ?
Die Black Box ist dunkel, aber es ist sehr viel mehr drin./ Ich bin mit dem Film praktisch in den ersten Teil der Black Box vorgedrungen und mit dem Buch in den zweiten und ich glaube, dass es noch einen Teil 3 und Teil 4 gibt, da bin ich überzeugt. (Und für mich das Spannende ist zu sehen, wie aufgrund des ersten Vordringens sich das zweite zwingend ergeben hat. D.h., ich bin hier massiv mit Material versorgt worden.)
Die Black Box ist nicht tot, sie lebt. Auch in der Weise, dass während der Arbeit an dem Buch bei Veiel eingebrochen und Recherchematerial entwendet wurde. Die RAF kann's nicht gewesen sein. Wer hat also noch Interesse an dem Fall ? Und welches ?
Thomas Moser über Andreas Veiel: Black Box BRD. Alfred Herrhausen, die Deutsche Bank, die RAF und Wolfgang Grams. Deutsche Verlags Anstalt München, 288 Seiten zum Preis von 19 Euro und 90 Cent.