Am 19. Dezember 2018 informierte "Der Spiegel" über seinen bisherigen Starreporter Claas Relotius: Jahrelang hatte er seine Auslandsreportagen verfälscht und Protagonisten erfunden. Seitdem steht die Reportage unter Verdacht, und lieb gewonnene Rezeptionsgewohnheiten werden hinterfragt.
Etliche Redaktionen suchen seitdem nach Wegen, um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Beunruhigend bleibt, dass Relotius’ vielfach ausgezeichnete Reportagen von vielen, nicht zuletzt von Jurymitgliedern bei Journalistenpreisen, einfach geglaubt werden wollten.
Andreas Wolfers
Andreas Wolfers ist Chef der Henri-Nannen-Schule, der traditionsreichen Ausbildungsstätte für Printjournalisten, getragen von den Verlagen Gruner + Jahr, "Die Zeit" und "Der Spiegel". Er bemerkt echte Reformbemühungen und entdeckt bei neueren Reportagen eine neue Ehrlichkeit: Sie verraten mehr von den Motiven der Autoren und deren Herangehensweise an ein Thema als früher.
Claudius Seidl
Claudius Seidl ist seit dem Jahr 2001 Feuilletonchef der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Er kritisiert typische Bestandteile heutiger Reportagen. Seidl will zwar wie Wolfers eine "kräftige, saftige Beschreibung der Wirklichkeit". Er wendet sich aber gegen die Verwendung beliebter narrativer Formen der Fiktion in Reportagen, zum Beispiel "Held – Gegenspieler, Anfang – Schluss, möglichst ein Showdown" oder die Heldenreise. Sie gehören für Seidl in die Bereiche von Mythos und Märchen, taugen aber nicht für die Beschreibung der Welt.