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Andrej Platonow: Die Baugrube
Sinnbild des Scheiterns

Andrej Platonow, dessen wichtigste Werke zu seinen Lebzeiten in der Sowjetunion nicht erscheinen konnten, gilt inzwischen als Klassiker der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts. Sein Roman "Die Baugrube" ist in seiner ergreifenden Merkwürdigkeit einzigartig in der Literaturgeschichte, urteilt unsere Rezensentin Karla Hielscher.

Von Karla Hielscher |
    Der russische Schriftsteller Andrej Platonow in einer zeitgenössischen Aufnahme. Er wurde am 1. September 1899 in Woronesch geboren und verstarb am 5. Januar 1951 in Moskau. |
    Der russische Schriftsteller Andrej Platonow in einer zeitgenössischen Aufnahme. Er wurde am 1. September 1899 in Woronesch geboren und starb am 5. Januar 1951 in Moskau. (picture alliance /dpa / Novosti)
    Entstanden 1930 – zur Zeit der von Stalin eingeleiteten forcierten Industrialisierung und Zwangskollektivierung der Landwirtschaft - ist das Werk eine unmittelbare Reaktion auf das dramatische Zeitgeschehen und zugleich das radikalste, überzeugendste literarische Sinnbild für das Scheitern der kommunistischen Utopie.
    Bauarbeiter graben am Stadtrand eine riesige Grube, in der das gemeinproletarische Haus für die Arbeiterklasse errichtet werden soll, "die Muttergrube für das künftige Leben". Im benachbarten Dorf organisiert der namenlose Aktivist die "durchgängige Kollektivierung", treibt in der Lesehütte die Kulturrevolution voran, "erzeugt im Organisationshof die Begeisterung der Masse", die "nach vorwärtsrufender Musik" aus dem Radiotrichter "freudig auf der Stelle stampft" und sogar die Pferde verhalten sich so, als seien sie "vom Kolchossinn des Lebens überzeugt".
    Das absolut Außergewöhnliche und Unvergleichliche an Platonows Roman ist, dass das Geschehen nicht mit objektiver Distanz von außen, sondern ganz aus dem Inneren der utopischen Idee heraus gestaltet ist, die die Akteure antreibt, und an die auch der Autor des Buches lange geglaubt hatte.
    Die himmelschreiende Absurdität des utopischen Projekts wird entlarvt
    Und es ist die von den Betroffenen häufig nicht verstandene, verdrehte und verstümmelte Sprache der Revolution selbst mit ihren ideologischen Phrasen, fantastischen Losungen, bürokratischen Direktiven, Anordnungen, Resolutionen die - bis in die falsche Grammatik hinein - die ganze himmelschreiende Absurdität des utopischen Projekts entlarvt.
    Diese Verkehrung der sprachlichen Norm ist eine ungeheure Herausforderung für eine adäquate Übersetzung, der sich Gabriele Leupold mit beeindruckendem Erfolg gestellt hat.
    Die Bauarbeiter haben das kleine Waisenmädchen Nastja liebevoll bei sich aufgenommen. Es verkörpert für sie die lichte Zukunft und soll "die Trübsal annullieren". Die wohlhabenderen Bauern, die Kulaken, sind für das Kind die Feinde:
    "Geh und bringt sie um!", sagte das Mädchen
    "Das ist nicht erlaubt, Töchterchen: zwei Personen sind noch keine Klasse…"
    "Das sind einer und noch einer", zählte das Mädchen.
    "Aber komplett waren sie zu wenig", bedauerte Safronov.
    "Wir sind ja, gemäß des Plenums, verpflichtet, sie mindestens als Klasse zu liquidieren, dass bloß das ganze Proletariat und der Tagelöhnerstand von Feinden verwaist!"
    Und die Verwirklichung der Utopie der Menschheitsbeglückung nimmt ihren Lauf.
    Die Liquidierung der Kulaken als Klasse wird mittels eines Floßes organisiert, auf dem sie über den Fluss ins Meer abgeschwemmt werden; die Bauern hüten die von ihnen selbst nach Maß gezimmerten Särge und sind bereit zum Sterben; sie schlachten ihr Vieh und essen es "wie das Abendmahl", um "den Leib des vertrauten Schlachtviehs im eigenen Körper zu bergen und ihn dort vor der Vergesellschaftung zu bewahren"; vom gigantischen Bauvorhaben bleibt ein verödetes Loch, und das Mädchen Nastja, die Hoffnung, stirbt und wird im "Abgrund der Baugrube" begraben.
    Der Roman ist durchtränkt von Melancholie
    Das utopische Projekt endet in Hunger, Chaos und Massensterben.Der Roman ist von Anfang an durchtränkt von einer weltumfassenden Melancholie, die nicht nur auf den Menschen, sondern auch auf der Natur lastet.
    Woschtschew, der Hauptheld des Buchs, der seine Arbeitsstelle " wegen der wachsenden Kraftschwäche in ihm und seiner Nachdenklichkeit im allgemeinen Tempo der Arbeit" verloren hat, dessen Körper "verzehrt war von Nachsinnen und Sinnlosigkeit", der kraftlos wird "sobald seine Seele sich erinnert, dass sie die Wahrheit nicht kennt", schließt sich hoffnungsvoll den Arbeitern der Baugrube an:
    "Auf der abgemähten Brache roch es nach totem Gras und der Feuchtigkeit von kahlen Stellen, weshalb die allgemeine Traurigkeit des Lebens und die Schwermut der Vergeblichkeit deutlicher spürbar waren. Woschtschew gab man einen Spaten, und mit der Härte der Verzweiflung seines Lebens drückte er ihn in den Händen, als wolle er sich die Wahrheit aus der Mitte des Erdenstaubs beschaffen."
    Ein Buch, dessen Lektüre verändert
    Der Bauführer, der Ingenieur Pruschewskij, leidet unter "dem Gefühl der Verwaistheit gegenüber den übrigen Menschen"; er stürzt sich mit Eifer "aus der Gewohnheit des selbsttätigen Verstandes" in seine technische Arbeit, dabei spürt er, "dass die Leidenschaft der Vernunft der Trieb zum Tode ist."
    Tschiklin, der Älteste im Artel, der vitale Schläger, der auch auf Menschen einschlägt, arbeitet bis zur Erschöpfung, denn "er wusste nicht, wozu er sonst leben sollte."
    Und sogar der kommunistische Funktionär Safronow, der sich um die "Pflicht der Freude" und den notwendigen "Enthusiasmus des Proletariats" sorgt, der dazu aufruft, um "das höchste Glück der Stimmung zu wetteifern" wird manchmal von Zweifel erfasst:
    "Aber warum, Nikita, liegt das Feld so trübsinnig da? Ist wirklich Schwermut in der ganzen Welt, und nur allein in uns der Fünfjahrplan?"
    Sibylle Lewitscharoff hat ihren Essay zum Roman "Gefährliche Lektüre" genannt. Sie behauptet: wer das Buch ausgelesen hat, ist nicht mehr derselbe wie zuvor. Sie hat Recht.