"Was jetzt auch auf dem Gipfel beschlossen worden ist, nämlich über den Fiskalpakt hinaus eine politische Union, die dann eine Fiskalunion beinhaltet, vorzubereiten, ist so etwas wie eine Neugründung der Europäischen Union.
Dirk Müller: Italien und Spanien haben sich durchgesetzt in Brüssel, haben die Vergabekriterien für weitere Hilfsgelder aufgeweicht, gegen die Prinzipien, die die Bundesregierung seit Monaten vertritt. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Politikwissenschaftler Josef Janning, Direktor des European Policy Centre in Brüssel, guten Morgen!
Josef Janning: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Beziehungsweise guten Tag, Herr Janning!
Janning: Ja!
Müller: Wir sind beide schon ein paar Stunden auf! Herr Janning, seit wann bestimmen diejenigen die Konditionen, die selbst die Hilfe brauchen?
Janning: Na ja, das ist eine etwas vereinfachte Interpretation, dass die sich nur einfach durchgesetzt haben. Sie haben den Punkt durchgesetzt in den Verhandlungen im Kreis aller Staats- und Regierungschefs, dass in ihrer gegenwärtigen Lage sie ein Stück mehr Flexibilität brauchen, damit die Hilfe, die sie in Anspruch nehmen möchten – die Spanier im Bankenbereich – nicht gleichzeitig ihre Staatsverschuldung wieder in die Höhe treibt und damit ihre ansonsten weitgehend im Plan liegenden Strukturreformen unterhöhlt. Dem haben sich die anderen nach sicher streitiger Debatte angeschlossen. Also, deswegen, ich wäre vorsichtig, das immer gleich in Sieg und Niederlage zu interpretieren.
Müller: Aber wir reden seit Monaten darüber, es gibt immer wieder EU-Gipfel, 25 haben wir gezählt, das war ja sogar jetzt in Brüssel am Donnerstag, Freitag ein Jubiläum! Immer geht deutsche Bundesregierung mit einer Position dort rein und immer kommt sie mit einer anderen heraus, und immer war sie zu Beginn hart und war dann hinterher weich. Warum ist das so?
Janning: Gut, die Schwierigkeit, die die Bundeskanzlerin ganz offenkundig für sich sieht, ist, wie sie ihre Grundposition gleichzeitig in Brüssel und in Berlin beziehungsweise gegenüber der deutschen Öffentlichkeit vermitteln soll. Sie hat bereits im letzten Jahr, im September, erkennen lassen, dass sie im Rahmen etwa einer weitergehenden gemeinsamen Verantwortung für die Ausgaben innerhalb der Europäischen Union auch eine Möglichkeit sieht, mehr und andere Instrumente einzusetzen. Die viel beschworenen Euro-Bonds hat sie an diese, an ein solches Szenario gebunden, sie ist aber in ihrer Gipfel-Strategie so eingestellt, dass sie eine harte Konditionalität fährt und sich dann, wenn es nicht mehr anders zu machen ist, Zugeständnisse abringen lässt gegen wiederum gemeinsame Entschließungen, nun das nächste Stück Vertiefung zu gehen. Das ist für die Öffentlichkeit außerordentlich kompliziert. Denn wir haben es nun mit einer Art von nacheilender Vertiefung zu tun, weil die Krisendynamik selbst größer ist als die politische Dynamik, und insofern auch Entscheidungen, die dann ein Stück mehr Verbindlichkeit und ein Stück mehr Sicherheit in die Bindung aller Seiten, an die gemeinsamen Beschlüsse, erzeugen soll, schon wieder überholt wird, bevor es in Kraft tritt.
Müller: Ist das denn für Sie akzeptabel, dass wir über eine verspätete Vertiefung sprechen im Zeichen von schwächelnden Staaten? Das heißt, die Schwachen bestimmen die Intensität dieser Vertiefung?
Janning: Na ja, das ist insgesamt eine außerordentlich schwierige Lage. Aber ich glaube, es wird notwendig sein für Politik wie für Öffentlichkeit, sich klarzumachen: Taugt der Ansatz, der bislang gefahren wurde – jeder räumt bei sich selbst auf und die anderen helfen unter Auflagen mit Geld und schießen dann auch noch was nach, wenn das nicht ausreicht, im Übrigen aber ist die Grundstimmung ein Misstrauen untereinander, ob man sich auf den anderen verlassen kann –, oder ob man nicht hergehen muss und sagen, wir müssen anerkennen, dass wir in einem europäischen Gemeinwesen jetzt schon leben, wirtschaftlich existenziell miteinander verbunden sind und deswegen diese Aufgabe – moderne, demokratische Staatlichkeit, also gute Regierungsführung – als gemeinsame Aufgabe ansehen und nicht sagen, die sollen bei sich selbst mal aufräumen und wir gucken zu und wenn das gut läuft, dann geben wir ein bisschen Geld dazu, sondern ich glaube, dass der Paradigmenwechsel, der nötig ist, dazu führen muss zu sagen: Dies ist nicht nur eine finanztechnische Frage, sondern das ist eine ganz grundlegende Frage der Ordnung unseres Gemeinwesens auf der europäischen Ebene wie in den Teilräumen der Mitgliedstaaten.
Müller: Also, Sie plädieren, Herr Janning, um das etwas zu überspitzen, jetzt ernsthaft dafür, dass, wenn Spanien, wenn die Portugiesen Mist bauen, die Deutschen die Kohlen aus dem Feuer holen?
Janning: Ich plädiere dafür, dass wir die Reformen, die in Spanien auf dem Wege sind und nötig sind – in anderen Staaten auch –, nicht nur als spanische Aufgabe betrachten, die wir uns anschauen, sondern dass wir sie als eine gemeinsame Aufgabe betrachten, dass wir davon ausgehen, dass, wenn es Spanien gut geht, wenn die Spanier dieses schaffen, dann wird es uns auch gut gehen.
Müller: Und diejenigen, die jahrelang über ihre Verhältnisse gewirtschaftet haben – wir können die Staaten fast kaum aufzählen, auch wir, auch die Deutschen haben das getan, es hat aber auf der anderen Seite in den vergangenen Jahren dann wiederum ein Zeichen nach vorne gegeben –, diejenigen, die jahrelang über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse agiert haben, die verlangen jetzt unter anderem von Deutschland, dass wir die Zugeständnisse machen, das finden Sie akzeptabel?
Janning: Stellen Sie sich vor, diese Krise wäre zehn Jahre früher gekommen, dann wäre Deutschland der große Problemfall gewesen. Die Bundesregierung hat in der damaligen Zeit ihr eigenes Strukturreformprogramm mit einer Phase erhöhter Neuverschuldung ausgeglichen oder gewissermaßen etwas verträglicher gemacht. Es ist dafür gerügt worden, aber es hat zusammen mit Frankreich Sanktionen dagegen abgewendet mit dem Hinweis darauf, wir machen doch hier Strukturreformen und ihr müsst uns zugestehen, dass wir in dieser Phase über die Schuldengrenzen, die wir selber angestrebt haben, hinausgehen. Und das ist der Punkt, um den es dabei geht. Es geht darum, die einen zu bestrafen, die anderen zu belohnen, sondern es geht darum, anzuerkennen, dass wir eine neue Art von Gemeinwesen in den Räumen der Europäischen Union schaffen müssen, damit wir dauerhaft aus diesem Schlamassel überbordender Schulden herauskommen. Und dass diese Leistung nicht gelingen wird, wenn wir etwa die Griechen vor sich hinwursteln lassen.
Müller: Inwieweit ist das ein elitäres Projekt?
Janning: Es ist bislang leider ein elitäres Projekt auch deswegen, weil sich die Politik fürchtet, mit der Tragweite dieser Lage ohne Schminke vor die Öffentlichkeit zu treten, sondern weil wir nach wie vor diesen Diskurs pflegen, als würde es über diese begrenzten Maßnahmen hin zu machen sein. Sondern es ist … Im Grunde ist das, was jetzt auch auf dem Gipfel beschlossen worden ist, nämlich über den Fiskalpakt hinaus eine politische Union, die dann eine Fiskalunion beinhaltet, vorzubereiten, ist gewissermaßen so etwas wie eine Neugründung der Europäischen Union. Und das kann ich nicht mit dem bisherigen Mandat der Öffentlichkeit machen, sondern dann muss ich sowohl auf nationaler Ebene Verfassungsänderungen angehen als auch die grundlegende Zustimmung der Bürger einholen. Und das lässt sich nicht mit der bisherigen Argumentation erreichen, die sagt, wir haben alles im Griff, es gibt ein paar Probleme, die werden wir aber lösen, und ansonsten ist Brüssel für vieles Schlechte verantwortlich und wir selbst bewahren gewissermaßen die deutschen Interessen oder die jeweiligen nationalen Interessen in diesem Prozess, sondern dann muss man sich hinstellen und den Bürgern sagen: Die Lage ist so, dass wir Handlungsfähigkeit, Souveränität de facto verloren haben, und wir wollen sie jetzt nun in einem gemeinsamen Verfahren nach klaren Regeln zurückgewinnen und wir wollen uns gemeinsam dieser Disziplin unterwerfen. Und wenn das beinhaltet, dass die nationalen Parlamente die absolute Höhe der Haushalte nicht mehr selbst entscheiden, sondern dies Teil einer gemeinsamen Entscheidung ist, dann werden wir für diese Entscheidung werben und ringen.
Müller: Herr Janning, ich muss das aus deutscher Sicht noch mal nachfragen: Warum sollte aus deutscher Sicht die deutsche Bevölkerung ein ernsthaftes Interesse daran haben, nationale Souveränitäten in Richtung Brüssel zu transferieren, wo es hier gut läuft und sonst nirgendwo so gut?
Janning: Ja, warum läuft es denn bei uns gut? Doch, weil wir in diesem Raum leben, weil diese Europäische Union Deutschland mit einem Markt, einer Währung und einem politischen Handlungsrahmen ausstattet, der historisch beispiellos ist!
Müller: Aber das gilt ja für alle anderen Staaten auch?
Janning: Das gilt für alle anderen Staaten auch, deswegen sind sie auch dabei. Und deswegen glaube ich auch, dass eine solche, ein solcher Schritt, offen diese weitere Vertiefung anzugehen, auch eine Chance hat, eine Mehrheit zu finden.
Müller: Ist das ein guter Ratgeber, in einer Krise in schlechten Zeiten die Vertiefung anzugehen, die man zu guten Zeiten nicht vernünftig diskutiert und auf den Weg gebracht hat?
Janning: Nein, das ist kein guter Ratgeber. Aber so ist Politik! Politik trifft selten Vorratsentscheidungen. Wir haben immer wieder erlebt, erleben es im Übrigen ja auf nationaler Ebene auch, dass wichtige und grundlegende Änderungen häufig erst durch den Druck großer Umbrüche und Krisen erzwungen werden!
Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Josef Janning, Direktor des European Policy Centre in Brüssel. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Janning: Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Dirk Müller: Italien und Spanien haben sich durchgesetzt in Brüssel, haben die Vergabekriterien für weitere Hilfsgelder aufgeweicht, gegen die Prinzipien, die die Bundesregierung seit Monaten vertritt. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Politikwissenschaftler Josef Janning, Direktor des European Policy Centre in Brüssel, guten Morgen!
Josef Janning: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Beziehungsweise guten Tag, Herr Janning!
Janning: Ja!
Müller: Wir sind beide schon ein paar Stunden auf! Herr Janning, seit wann bestimmen diejenigen die Konditionen, die selbst die Hilfe brauchen?
Janning: Na ja, das ist eine etwas vereinfachte Interpretation, dass die sich nur einfach durchgesetzt haben. Sie haben den Punkt durchgesetzt in den Verhandlungen im Kreis aller Staats- und Regierungschefs, dass in ihrer gegenwärtigen Lage sie ein Stück mehr Flexibilität brauchen, damit die Hilfe, die sie in Anspruch nehmen möchten – die Spanier im Bankenbereich – nicht gleichzeitig ihre Staatsverschuldung wieder in die Höhe treibt und damit ihre ansonsten weitgehend im Plan liegenden Strukturreformen unterhöhlt. Dem haben sich die anderen nach sicher streitiger Debatte angeschlossen. Also, deswegen, ich wäre vorsichtig, das immer gleich in Sieg und Niederlage zu interpretieren.
Müller: Aber wir reden seit Monaten darüber, es gibt immer wieder EU-Gipfel, 25 haben wir gezählt, das war ja sogar jetzt in Brüssel am Donnerstag, Freitag ein Jubiläum! Immer geht deutsche Bundesregierung mit einer Position dort rein und immer kommt sie mit einer anderen heraus, und immer war sie zu Beginn hart und war dann hinterher weich. Warum ist das so?
Janning: Gut, die Schwierigkeit, die die Bundeskanzlerin ganz offenkundig für sich sieht, ist, wie sie ihre Grundposition gleichzeitig in Brüssel und in Berlin beziehungsweise gegenüber der deutschen Öffentlichkeit vermitteln soll. Sie hat bereits im letzten Jahr, im September, erkennen lassen, dass sie im Rahmen etwa einer weitergehenden gemeinsamen Verantwortung für die Ausgaben innerhalb der Europäischen Union auch eine Möglichkeit sieht, mehr und andere Instrumente einzusetzen. Die viel beschworenen Euro-Bonds hat sie an diese, an ein solches Szenario gebunden, sie ist aber in ihrer Gipfel-Strategie so eingestellt, dass sie eine harte Konditionalität fährt und sich dann, wenn es nicht mehr anders zu machen ist, Zugeständnisse abringen lässt gegen wiederum gemeinsame Entschließungen, nun das nächste Stück Vertiefung zu gehen. Das ist für die Öffentlichkeit außerordentlich kompliziert. Denn wir haben es nun mit einer Art von nacheilender Vertiefung zu tun, weil die Krisendynamik selbst größer ist als die politische Dynamik, und insofern auch Entscheidungen, die dann ein Stück mehr Verbindlichkeit und ein Stück mehr Sicherheit in die Bindung aller Seiten, an die gemeinsamen Beschlüsse, erzeugen soll, schon wieder überholt wird, bevor es in Kraft tritt.
Müller: Ist das denn für Sie akzeptabel, dass wir über eine verspätete Vertiefung sprechen im Zeichen von schwächelnden Staaten? Das heißt, die Schwachen bestimmen die Intensität dieser Vertiefung?
Janning: Na ja, das ist insgesamt eine außerordentlich schwierige Lage. Aber ich glaube, es wird notwendig sein für Politik wie für Öffentlichkeit, sich klarzumachen: Taugt der Ansatz, der bislang gefahren wurde – jeder räumt bei sich selbst auf und die anderen helfen unter Auflagen mit Geld und schießen dann auch noch was nach, wenn das nicht ausreicht, im Übrigen aber ist die Grundstimmung ein Misstrauen untereinander, ob man sich auf den anderen verlassen kann –, oder ob man nicht hergehen muss und sagen, wir müssen anerkennen, dass wir in einem europäischen Gemeinwesen jetzt schon leben, wirtschaftlich existenziell miteinander verbunden sind und deswegen diese Aufgabe – moderne, demokratische Staatlichkeit, also gute Regierungsführung – als gemeinsame Aufgabe ansehen und nicht sagen, die sollen bei sich selbst mal aufräumen und wir gucken zu und wenn das gut läuft, dann geben wir ein bisschen Geld dazu, sondern ich glaube, dass der Paradigmenwechsel, der nötig ist, dazu führen muss zu sagen: Dies ist nicht nur eine finanztechnische Frage, sondern das ist eine ganz grundlegende Frage der Ordnung unseres Gemeinwesens auf der europäischen Ebene wie in den Teilräumen der Mitgliedstaaten.
Müller: Also, Sie plädieren, Herr Janning, um das etwas zu überspitzen, jetzt ernsthaft dafür, dass, wenn Spanien, wenn die Portugiesen Mist bauen, die Deutschen die Kohlen aus dem Feuer holen?
Janning: Ich plädiere dafür, dass wir die Reformen, die in Spanien auf dem Wege sind und nötig sind – in anderen Staaten auch –, nicht nur als spanische Aufgabe betrachten, die wir uns anschauen, sondern dass wir sie als eine gemeinsame Aufgabe betrachten, dass wir davon ausgehen, dass, wenn es Spanien gut geht, wenn die Spanier dieses schaffen, dann wird es uns auch gut gehen.
Müller: Und diejenigen, die jahrelang über ihre Verhältnisse gewirtschaftet haben – wir können die Staaten fast kaum aufzählen, auch wir, auch die Deutschen haben das getan, es hat aber auf der anderen Seite in den vergangenen Jahren dann wiederum ein Zeichen nach vorne gegeben –, diejenigen, die jahrelang über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse agiert haben, die verlangen jetzt unter anderem von Deutschland, dass wir die Zugeständnisse machen, das finden Sie akzeptabel?
Janning: Stellen Sie sich vor, diese Krise wäre zehn Jahre früher gekommen, dann wäre Deutschland der große Problemfall gewesen. Die Bundesregierung hat in der damaligen Zeit ihr eigenes Strukturreformprogramm mit einer Phase erhöhter Neuverschuldung ausgeglichen oder gewissermaßen etwas verträglicher gemacht. Es ist dafür gerügt worden, aber es hat zusammen mit Frankreich Sanktionen dagegen abgewendet mit dem Hinweis darauf, wir machen doch hier Strukturreformen und ihr müsst uns zugestehen, dass wir in dieser Phase über die Schuldengrenzen, die wir selber angestrebt haben, hinausgehen. Und das ist der Punkt, um den es dabei geht. Es geht darum, die einen zu bestrafen, die anderen zu belohnen, sondern es geht darum, anzuerkennen, dass wir eine neue Art von Gemeinwesen in den Räumen der Europäischen Union schaffen müssen, damit wir dauerhaft aus diesem Schlamassel überbordender Schulden herauskommen. Und dass diese Leistung nicht gelingen wird, wenn wir etwa die Griechen vor sich hinwursteln lassen.
Müller: Inwieweit ist das ein elitäres Projekt?
Janning: Es ist bislang leider ein elitäres Projekt auch deswegen, weil sich die Politik fürchtet, mit der Tragweite dieser Lage ohne Schminke vor die Öffentlichkeit zu treten, sondern weil wir nach wie vor diesen Diskurs pflegen, als würde es über diese begrenzten Maßnahmen hin zu machen sein. Sondern es ist … Im Grunde ist das, was jetzt auch auf dem Gipfel beschlossen worden ist, nämlich über den Fiskalpakt hinaus eine politische Union, die dann eine Fiskalunion beinhaltet, vorzubereiten, ist gewissermaßen so etwas wie eine Neugründung der Europäischen Union. Und das kann ich nicht mit dem bisherigen Mandat der Öffentlichkeit machen, sondern dann muss ich sowohl auf nationaler Ebene Verfassungsänderungen angehen als auch die grundlegende Zustimmung der Bürger einholen. Und das lässt sich nicht mit der bisherigen Argumentation erreichen, die sagt, wir haben alles im Griff, es gibt ein paar Probleme, die werden wir aber lösen, und ansonsten ist Brüssel für vieles Schlechte verantwortlich und wir selbst bewahren gewissermaßen die deutschen Interessen oder die jeweiligen nationalen Interessen in diesem Prozess, sondern dann muss man sich hinstellen und den Bürgern sagen: Die Lage ist so, dass wir Handlungsfähigkeit, Souveränität de facto verloren haben, und wir wollen sie jetzt nun in einem gemeinsamen Verfahren nach klaren Regeln zurückgewinnen und wir wollen uns gemeinsam dieser Disziplin unterwerfen. Und wenn das beinhaltet, dass die nationalen Parlamente die absolute Höhe der Haushalte nicht mehr selbst entscheiden, sondern dies Teil einer gemeinsamen Entscheidung ist, dann werden wir für diese Entscheidung werben und ringen.
Müller: Herr Janning, ich muss das aus deutscher Sicht noch mal nachfragen: Warum sollte aus deutscher Sicht die deutsche Bevölkerung ein ernsthaftes Interesse daran haben, nationale Souveränitäten in Richtung Brüssel zu transferieren, wo es hier gut läuft und sonst nirgendwo so gut?
Janning: Ja, warum läuft es denn bei uns gut? Doch, weil wir in diesem Raum leben, weil diese Europäische Union Deutschland mit einem Markt, einer Währung und einem politischen Handlungsrahmen ausstattet, der historisch beispiellos ist!
Müller: Aber das gilt ja für alle anderen Staaten auch?
Janning: Das gilt für alle anderen Staaten auch, deswegen sind sie auch dabei. Und deswegen glaube ich auch, dass eine solche, ein solcher Schritt, offen diese weitere Vertiefung anzugehen, auch eine Chance hat, eine Mehrheit zu finden.
Müller: Ist das ein guter Ratgeber, in einer Krise in schlechten Zeiten die Vertiefung anzugehen, die man zu guten Zeiten nicht vernünftig diskutiert und auf den Weg gebracht hat?
Janning: Nein, das ist kein guter Ratgeber. Aber so ist Politik! Politik trifft selten Vorratsentscheidungen. Wir haben immer wieder erlebt, erleben es im Übrigen ja auf nationaler Ebene auch, dass wichtige und grundlegende Änderungen häufig erst durch den Druck großer Umbrüche und Krisen erzwungen werden!
Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Josef Janning, Direktor des European Policy Centre in Brüssel. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Janning: Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.