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Angeblich vorurteilsfrei

Ein weißer Mann vergewaltigt eine junge Schwarze und will sich vor Gericht reinwaschen mithilfe eines Anwaltsbüros, das von einem Schwarzen und eine Weißen geführt wird. Justiz und Rasse, das hängt in den USA zusammen. Das weiß auch der Dramatiker David Mamet. Sein Stück "Race" wurde jetzt am Dresdner Staatsschauspiel aufgeführt.

Von Hartmut Krug |
    Er ist weiß, reich und berühmt, doch es sieht nicht gut aus für Charles Strickland, denn er wird der Vergewaltigung bezichtigt. In einem Hotelzimmer soll er einer jungen Schwarzen das Kleid mit den Worten "Jetzt fick ich dich, du kleine Negernutte" vom Leib gerissen haben. So jedenfalls wollen es die Zimmernachbarn gehört haben. Die Rechtsanwaltskanzlei, in die Strickland mit der fordernden Behauptung kommt "Ich bin das Opfer, ich bin unschuldig", wird vom Weißen Jack Lawson und vom Schwarzen Henry Brown betrieben, und die junge schwarze Mitarbeiterin Susan hat eine Abschlussarbeit geschrieben über "Das strukturale Fortleben des Rassismus' bei angeblich vorurteilslosen Transaktionen". Kein Zufall ist die Wahl dieses Anwaltsbüros durch den reichen Weißen, hofft dieser doch mit dessen weiß-schwarzer Besetzung bei den Geschworenen zu punkten.

    David Mamets Stück "Race" wurde im Dezember 2009 am Broadway uraufgeführt. Es wirkt, bis in Details der beschriebenen Ermittlungen, der Aussagen und der beteiligten Figuren, wie ein Kommentar zum späteren Fall Strauss-Kahn. Auch bei Mamet behauptet der Angeklagte, die Anschuldigung sei falsch, und auch bei ihm ist die entscheidende Zeugin eine Migrantin und Putzfrau.

    Auch wenn das Klischee von der angeblich stärker promisken schwarzen Frau ins Spiel kommt, behauptet einer der Rechtsanwälte, "hier geht es nicht um Sex, hier geht es um Rasse". Im Programmheft werden zahlreiche Kategorien und Definitionen von Rasse aufgezählt, die der U.S. Census für die Antidiskriminierungsgesetze vorsieht, während die Protagonisten in Mamets Stück ganz selbstverständlich nur von Weißen und Schwarzen sprechen. Alle scheinen sich ihrer Rollen und Funktionen sowie ihrer Haltung zu allgemeiner gesellschaftlicher Diskriminierung sicher, und auch von unterschwelligen Vorurteilen wissen sie, - in der Theorie. Jeder Schwarze hasse die Weißen, und vor 50 Jahren sei in so einem Fall der Weiße ebenso selbstverständlich freigesprochen worden, wie er heute sofort als schuldig angesehen wird. Die junge schwarze Susan, mit der der Angeklagte Weiße gleich zu flirten sucht, verteidigt ihr Vorurteil, dass dieser schuldig sei: Nicht nur, weil er ihr unsympathisch sei und sich schuldig verhalte, sondern "weil er weiß ist und ein Mann ist."

    Es geht um selbstverständlichen Alltagsrassismus und den schlimmen Zustand des Gerichtswesens in Amerika. David Mamet hat ein rasantes Redestück geschrieben, in dem siegt, wer am besten reden kann. Den Rechtsanwälten, man mag sie zynisch oder realistisch nennen, geht es nicht um Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern darum, wer gewinnt. Es zählen nicht die Fakten, sondern Fiktionen. All diese wahren Klischees sind uns nur allzu gut bekannt, aus Hollywood- und Fernsehfilmen und aus TV-Gerichtsshows. Als solche hat sie Burkhard C. Kosminski inszeniert, obwohl das Geschehen nur im Anwaltsbüro spielt. Die Schauspieler wenden sich vor einer Art abstrakter und zugleich symbolischer Häuserfront mit Überredungsversuchen direkt hinein ins Publikum. Dabei sind sie mit kräftig forciertem pointensüchtigem und pointensicherem Spiel stets auf Wirkung bedacht. Hier geht es nicht so sehr um subtile Erklärungen oder darum, in einen tieferen Diskurs zu kommen, sondern darum, die beste Show abzuliefern. Alle wissen: "Das hier ist nicht die Realität, - das ist eine Inszenierung". Mit seiner Mediensatire überhebt sich Mamet nie über die aktuelle Medienrealität, sondern bedient auch das Genre virtuos: Es geht um Show. Und da Regisseur Kosminski genau diese inszeniert, entwickelt sich ein kaum anderthalbstündiger, heftig beklatschter Ping-Pong-Redeabend.

    Diese Inszenierung liefert kein neues Material für die derzeitige "Blackfacing-Debatte", - keiner muss hier schwarz gefärbt werden, alle Figuren sind "richtig" besetzt. Die Rechtsanwälte puschen sich oft mit heftigem Wow-Geschrei und Tanzhektik in zynische Aggressivität. Fabian Gerhardt ist als weißer Anwalt ein schmierig grinsendes Klischee mit präziser, heftiger und zugleich konzentrierter Körpersprache, während Falilou Seck als schwarzer Anwalt mit darstellerisch souveräner Gelassenheit einen zynischen Pragmatiker spielt, der mit dem System seinen Schnitt macht. Gegen beide muss Tom Quaas als der weiße Vergewaltiger, schon durch die Stückkonstruktion, im doppelten Sinne blass bleiben.

    Und Larissa Aimée Breidbach gibt der schwarzen Anwaltsgehilfin die Ausstrahlung einer schönen und distanzierten Intellektuellen, Typ kühle, höhere Tochter. Selbst als sie die Verteidigungsstrategie der beiden Rechtsanwälte bewusst scheitern lässt, indem sie die Schuld des Weißen beweist, selbst dann bewahrt sie äußerlich Gelassenheit. Cool erklärt sie, dass sie zu ihrer Aktion durch den umfänglichen Backgroundcheck ihres Lebenslaufs durch den weißen Arbeitgeber veranlasst wurde, der damit rassistische Vorurteile gezeigt habe.

    Was das bedeutet, erklärt der weiße Rechtsanwalt mit Sätzen, die als Motto dieses amerikanischen Stücks gelten könnten. "Rasse ist das aufreizendste Thema in unserer Geschichte. Und sobald es erst mal zur Sprache gekommen ist, lässt sich der Deckel der Pandora nicht mehr schließen."