Sebastian Funk befindet sich derzeit in einer Ausnahmesituation. Funk ist Lehrer an der Privatschule Villa Wewersbusch in Velbert, und seit Mitte März unterrichtet er ausschließlich digital über das Netz. Außerdem ist Sebastian Funk auch noch Podcast-Autor, und der EduFunk, wie sein Programm heißt, muss ja auch produziert werden. Im Ausnahmezustand befindet sich aber auch Funks Mailpostfach: Denn seit den deutschlandweiten Schulschließungen werden Lehrerinnen und Lehrer mit Angeboten von Softwarefirmen, App-Herstellern und den Betreibern digitaler Kommunikationsplattformen regelrecht bombardiert. Sebastian Funk:
"Ich seh das so, dass ich quasi überschwemmt werde davon. Man wird richtig in den sozialen Medien – Instagram, Facebook, Twitter – davon zugespamt, möchte man sagen. Und viele, viele Newsletter tauchen dann oft auf oder werden jetzt neu verschickt. Und da gibt’s die tollsten Angebote, die App für dies und das, die Kommunikationsapp – manchmal hab ich das Gefühl, das ist alles noch ganz unausgewogen: Man kennt die Sachen auch nicht, man kennt keine Testberichte dazu – und man fragt sich natürlich auch immer: Was ist eigentlich mit dem Datenschutz?"
Bildungsbereich sollte werbefrei bleiben
Klar ist: Es geht vor allem um das Geschäft. Die Hersteller erhoffen sich vom derzeitigen Digitalunterricht einen Schub für ihre Produkte. Felix Duffy kann das einerseits verstehen, ist aber anderseits ausgesprochen skeptisch. Denn Duffy beobachtet für die Organisation Lobby Control den Bildungsbereich. Und der sollte geschützt sein und frei von Werbung bleiben, sagt Duffy. Gerade in diesen Wochen, in denen die Schulen viel Neues ausprobieren:
"Und da ist die Gefahr zum einen groß, dass es eine Privatisierung von Schulen und schulischen Aufgaben gibt, aber auch, dass es zu Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern kommt. Und gerade in der aktuellen Coronasituation ist es natürlich eine schwierige Lage für die Schulen, diesen kritischen Blick auf Unternehmen aufrecht zu erhalten. Aber: Auch in der aktuellen Situation sollten die Schulen genau hinschauen, auf was sie sich einlassen, sich das lieber zweimal anschauen – und immer im Blick haben: Was gibt es für Alternativen?"
Computerspenden mit Hintergedanken
Nicht alle Angebote sind dabei unbedingt fragwürdig. So bietet beispielsweise das Fraunhofer Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in Nordrhein-Westfalen zusammen mit dem NRW-Wirtschaftsministerium 2000 kostenlose Minicomputer für Grundschüler an. "Roberta at home" nennt sich das Projekt, nach dem programmierbaren Roboter Roberta, der sonst in so genannten Coding Hubs oder in Schulen genutzt wird. Thorsten Leimbach betreut das Projekt beim Fraunhofer-Institut:
"All diese Aktivitäten wurden nun durch die Corona-Krise natürlich stark eingeschränkt, da die Hardware oft nur in den Schulen und unseren Coding-Hubs, aber nicht zuhause vorhanden ist. Mit der Aktion 'Roberta for home' möchten wir nun 2000 Grundschülerinnen und Grundschülern die Möglichkeit bieten, die Faszination von Roberta direkt daheim zu erleben.
Und ja, auch die Verteilung dieser kleinen Computer erfolgt mit einem Hintergedanken, sagt Thorsten Leimbach.
"Mit 'Roberta for home' wollen wir erreichen, dass sich Kinder gerade in dieser Zeit, wo das digitale Lernen noch einmal ganz andere Bedeutung gewinnt, spielerisch und gleichzeitig sinnvoll mit der Digitalisierung beschäftigen und selbst zu Gestalterinnen und Gestaltern unserer digitalen Welt werden. Denn wir brauchen in Deutschland und natürlich auch in Europa noch viel, viel mehr Fachkräfte für Technik und IT."
"Mit 'Roberta for home' wollen wir erreichen, dass sich Kinder gerade in dieser Zeit, wo das digitale Lernen noch einmal ganz andere Bedeutung gewinnt, spielerisch und gleichzeitig sinnvoll mit der Digitalisierung beschäftigen und selbst zu Gestalterinnen und Gestaltern unserer digitalen Welt werden. Denn wir brauchen in Deutschland und natürlich auch in Europa noch viel, viel mehr Fachkräfte für Technik und IT."
Ein vertretbarer Ansatz, um bei Kindern und Jugendlichen das Interesse für bestimmte Fächer zu wecken? Oder ein unzulässiger Eingriff in die eigentlich werbefreie Zone der Schulen? Felix Duffy von Lobby Control nennt ein für ihn wichtiges Kriterium:
"Die Politik hat dafür zu sorgen, dass die Unabhängigkeit der Schulen gewahrt bleibt. Und in der aktuellen Situation ist es vor allem auch wichtig, hinzuschauen, dass an den Schulen keine Abhängigkeiten entstehen."
Schulen überfordert mit der kritischen Prüfung
Das sicherzustellen, wäre eigentlich Aufgabe der Schulleitungen. Die aber sind derzeit mit so vielen organisatorischen Aufgaben beschäftigt, dass es letztlich den Lehrerinnen und Lehrern überlassen bleibt, Soft- und Hardwareangebote für den digital gestützten Unterricht zu sichten und zu bewerten. Sebastian Funk hat Mitgefühl mit seinen Kolleginnen und Kollegen, die – bedingt durch Corona – gerade erst anfangen, sich mit dem Digitalunterricht zu beschäftigen.
"Also, diejenigen, die jetzt wirklich erst ein paar Wochen in dieser digitalen Schulwelt drinne sind, die sind natürlich so ein bisschen erstmal aufgeschmissen, weil: Wem kann man glauben? Man steht da erstmal so ein bisschen vor ner Wand, und man muss überlegen: Was ist richtig? Was ist falsch? Und der beste Trick ist natürlich, dass man mit den eigenen Kollegen drüber sprechen kann, ob die da schon Erfahrungen gemacht haben. Und wenn die eigenen Kollegen da noch keine Erfahrungen gemacht haben, dann geht man nen Schritt weiter und ist da vielleicht in einer Social Media-Gruppe drin, auf Facebook oder auf Twitter, und folgt da den Leuten, folgt den Erzählungen dann, und hofft, dass die dann auch das Richtige erzählen und man da irgendwie in diesem Dschungel dann zurecht kommt."
Sebastian Funks dringende Empfehlung: Bevor man irgendein Programm anschafft, sollte man erstmal hören, welche Erfahrungen andere Lehrkräfte gemacht haben. Denn sonst besteht die Gefahr, auf mehr oder weniger fundierte Werbeversprechen hereinzufallen. Und von denen gibt es derzeit ziemlich viele in den Mail-Postfächern der Lehrerinnen und Lehrer.