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Angehörige bei der Pflege entlasten
"Ich sehe eine große Akzeptanz in der Gesellschaft"

Es gebe eine große Bereitschaft, die Angehörigen und Familien von Pflegebedürftigen zu entlasten, sagte der CDU-Gesundheitsexperte Erwin Rüddel im Dlf. Wie die Kosten finanziert würden, müsse in Gesprächen noch genau geklärt werden. Da werde es wohl einen Kompromiss geben.

Erwin Rüddel im Gespräch mit Martin Zagatta |
Eine Altenpflegerin begleitet eine ältere Frau mit dem Rollator durch den Flur eines Pflegeheims.
Für die Kosten der Pflege müssen oft auch die Kinder aufkommen - ein Gesetz soll deren Belastungen verringern (picture alliance / dpa / Christoph Schmidt)
Martin Zagatta: Muss ein Elternteil im Heim gepflegt werden, sind die Kosten häufig so hoch, dass Pflegeversicherung und Rente nicht ausreichen. Gefragt sind dann sehr oft die Kinder. Das will Sozialminister Hubertus Heil jetzt ändern. Er will für Abhilfe sorgen. Die Kinder sollen nur noch ab einem sehr hohen Einkommen für ihre Eltern aufkommen müssen – ab einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro.
Mitgehört hat Erwin Rüddel, CDU-Politiker und Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Tag, Herr Rüddel!
Erwin Rüddel: Guten Tag!
Zagatta: Herr Rüddel, in der Großen Koalition ist ja vieles umstritten. Wie ist das jetzt mit diesem Angehörigen-Entlastungsgesetz? Steht die Union da voll und ganz zu dem, was der Minister, was der SPD-Politiker Hubertus Heil heute durchs Kabinett gebracht hat?
Rüddel: Wir haben das im letzten Jahr bei den Koalitionsverhandlungen einmütig so beschlossen. Es hat leider etwas länger gedauert, bis jetzt die Kabinettsvorlage kommt und wir ins Gesetzgebungsverfahren einsteigen können. Aber ich sehe hier großes Einvernehmen und ich halte es auch für ein wichtiges Signal, dass die Gesellschaft die Leistungen und Belastungen von Angehörigen und Familien von Pflegebedürftigen anerkennt. Das ist eine Wertschätzung der Gesellschaft gegenüber dieser Arbeit, dieser Leistung, und ich sehe da großes Einvernehmen in der Koalition.
"Das ist alles erst ein erster Schritt"
Zagatta: Beim Geld ausgeben auf Kosten der Steuerzahler – das ist der kleinste gemeinsame Nenner in der Großen Koalition -, da sind Sie sich einig?
Rüddel: Wir haben, gerade was Pflege angeht, sehr viele neue Leistungen auf den Weg gebracht. Wir wollen auch, dass die Pflegekräfte in Zukunft besser bezahlt werden. Das kostet Geld, aber da sehe ich auch auf der anderen Seite eine große Akzeptanz in der Gesellschaft, dass man diese Mittel bereitstellen will. Und wir haben die Beiträge zur Pflegeversicherung innerhalb weniger Jahre um einen Prozentpunkt erhöht und es hat keine Klagen in der Gesellschaft gegeben. Pflege hat eine große Akzeptanz. Ich bin aber doch der Meinung, dass das alles erst ein erster Schritt ist. Wir müssen auch herangehen, Strukturen zu ändern, weil ich glaube, durch das Verändern von Strukturen zwischen Ambulant und Stationär kann man Geld einsparen und dieses eingesparte Geld zur Entlastung von Angehörigen einsetzen.
Zagatta: Herr Rüddel, ich wollte Sie gerade fragen. Wo kommt das Geld her? Die Städte fürchten ja, sie bleiben auf diesen Kosten sitzen. Haben Sie denn durchgerechnet, was dieses Entlastungsgesetz die Kommunen jetzt kostet?
Rüddel: Im Gesetzentwurf steht drin, dass das gut 300 Millionen Euro ausmachen kann.
Zagatta: Das ist die Zahl, von der Sie auch ausgehen? Die Kommunen sagen ja, das sei völlig untertrieben. Die rechnen mit bis zu einer Milliarde.
Rüddel: Ich sage jetzt mal, ich glaube, dass hier Stimmung gemacht werden soll auf dem Rücken von Familien mit pflegebedürftigen Menschen und auf dem Rücken von Menschen mit Behinderungen. Ich halte das nicht für ein gutes Signal. Wir müssen Hilfen schaffen.
"An erster Stelle stehen die Familien mit Pflegebedürftigen"
Zagatta: Herr Rüddel, wenn ich da nachfragen darf. Habe ich Sie richtig verstanden? Der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund, die machen da diese Stimmung?
Rüddel: Wenn wir Gesetze auf den Weg bringen, gibt es immer Interessenvertreter, die diese Gesetze befürworten und die diese Gesetze am liebsten verhindern wollen. Wir sind ja erst am Anfang des Verfahrens. Innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens wird es sicherlich viele Kontakte und viele Gespräche mit dem Städte- und Gemeindebund geben. Da sehe ich uns auf einem Weg, dass man auf der einen Seite vielleicht einen Kompromiss findet, aufeinander zugeht, was die Belastungen angeht. Auf der anderen Seite glaube ich aber auch, dass wir noch Überzeugungsarbeit leisten können. An erster Stelle stehen für mich die Familien mit Pflegebedürftigen.
Zagatta: Die Frage ist aber, wer das bezahlt. Der Deutsche Städtetag sagt, diese Kosten müssten ihm voll erstattet werden. Sie sagen jetzt, man geht aufeinander zu. Ein Kompromiss wäre dann, die Städte oder die Kommunen zahlen die Hälfte. Das können die sich doch unter Umständen gar nicht leisten.
Rüddel: Die Finanzsituation grundsätzlich in den Ländern und Kommunen ist nicht so schlecht. Ich weiß, dass es viele Belastungen gerade im kommunalen Bereich gibt. Aber dieses Gesetz wird ja auch mit den Ländern verhandelt. Wir werden sehen, wie das finanziert werden kann. Wir werden dafür Lösungen finden und wir müssen dafür Lösungen finden, weil wir die Angehörigen von Pflegebedürftigen schonen müssen. Die haben schon relativ viele Leistungen erbracht. Wenn diese Grenze zum Tragen kommt, dann ist ja zuerst mal das Ersparte aufgebraucht, die Leistungen aus der Pflegeversicherung reichen nicht aus, und dann kommt ja erst die Frage, ob Angehörige, ob Kinder für ihre Eltern zahlen müssen. An erster Stelle steht eine gute Versorgung. Ich bin der Meinung, wir brauchen das Solidarprinzip. Das heißt auch, dass Kinder für ihre Eltern und Eltern für ihre Kinder einstehen.
"Wir müssen über Strukturen nachdenken"
Zagatta: Aber das wird ja damit jetzt aufgehoben.
Rüddel: Nein, es wird nicht aufgehoben, sondern es wird abgemildert. Ich glaube, wir müssen diesen Weg weitergehen, weil wir gerade in der stationären Versorgung immer mehr steigende Eigenanteile haben, weil auch Pflege gut bezahlt wird, und weil wir im ambulanten Bereich sehr viele Entlastungsmöglichkeiten haben durch Pflegesachleistungen, durch Tagespflege, durch Behandlungspflege, durch Eigenleistungen, die ich erbringen kann, hauswirtschaftlich zum Beispiel. Wechsele ich dann in den stationären Bereich, dann bekomme ich nur noch Pflegesachleistungen und alle anderen Leistungen, die ich ansonsten im ambulanten Bereich bekomme, muss ich aus der eigenen Tasche zahlen. Ich denke, da müssen wir über Strukturen nachdenken, wo kann man Geld sparen und wo kann man Geld gezielter einsetzen zur Entlastung von Familien von Pflegebedürftigen, und damit es erst gar nicht zu Belastungen von Kommunen kommt.
Zagatta: Herr Rüddel, da sagen jetzt die Kritiker, wenn ich als Angehöriger künftig nicht mehr mitzahlen muss, dann kann ich ja auch ein Pflegeheim suchen, das etwas teurer ist. Die Kosten werden da jetzt noch einmal nach oben gehen, weil das die Bereitschaft von Menschen auch stärkt. Dann sagen sie, dann muss ich mich ja nicht zuhause pflegen lassen, sondern dann kann ich in ein Heim gehen. Das wird doch zu einer Kostenexplosion führen.
Rüddel: Wenn die Versorgung im Heim besser ist im Individualfall, dann wäre es doch ein Fehler, wenn jemand nur deshalb zuhause bleibt, weil er die Kinder schonen will. Ich denke, wir brauchen hier die Wahlfreiheit, und ich glaube, wir müssen – ich wiederhole mich – an Strukturen heran, dass zum Beispiel auch im Heim sowie im betreuten Wohnen Familien auch Eigenleistung in der Hauswirtschaft erbringen können, um damit die Belastungen zu senken und erst gar nicht in die Situation zu kommen, dass man Leistungen von den Kommunen über Sozialhilfe beantragen muss.
"Wir brauchen eine Verknüpfung von ambulanten und stationären Versorgungen"
Zagatta: Da gibt es ja großen Widerstand. Läuft das alles darauf hinaus, ist das nicht schon absehbar? Sie haben gesagt, die Beiträge sind gerade erst angehoben worden. Mit all dem, was Sie uns geschildert haben, ist da nicht jetzt schon abzusehen, dass die Pflegeversicherung, dass die Beiträge dort demnächst ganz, ganz deutlich angehoben werden?
Rüddel: Wenn wir nicht handeln, wird das unumgänglich sein, weil im Moment sehr viele Einrichtungen gebaut werden, wo betreutes Wohnen mit Tagespflege kombiniert wird. Das sind eigentlich pseudostationäre Einrichtungen, die die Sozialkassen, also Pflegeversicherung, Krankenversicherung sehr stark belasten, während im Heim nicht die Krankenversicherung zahlt, die Pflegeversicherung einen begrenzten Betrag hat und auch mit steigenden Löhnen die Eigenanteile für die Pflegebedürftigen und Familien enorm steigen werden. Ich denke, wir brauchen eine Verknüpfung, eine stärkere Vernetzung von ambulanten und stationären Versorgungen. Wir müssen Sektorengrenzen auflösen. Dann glaube ich, dass wir uns Hilfe schaffen können, ohne dass wir die Beiträge erhöhen müssen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.