Dass der in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilte Russe Krasikow nur wenige Jahre nach einem Mord freikomme, sei eine "niederschmetternde Nachricht", hieß es in einer Stellungnahme der Angehörigen des Opfers aus dem Berliner Tiergarten. Man sei zwar froh darüber, dass durch den Gefangenenaustausch Leben gerettet werden konnten. Gleichzeitig sei die Enttäuschung darüber, dass Gerichte und ihre Urteile in Deutschland übergangen werden könnten, groß. Im August 2019 war ein georgischer Staatsbürger mit tschetschenischen Wurzeln in Berlin am helllichten Tag von Krasikow erschossen worden, die Vermutung liegt nahe, dass es sich um einen vom Kreml initiierten Auftragsmord handelte.
Der CDU-Sicherheitspolitiker Kiesewetter warnte, dass mit der Freilassung Krasikows ein Präzedenzfall geschaffen worden sein könnte. Dieser könne von Russland massiv ausgenutzt werden, sagte Kiesewetter dem "Berliner Tagesspiegel".
Ähnliche Befürchtungen äußerte auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Russlands Präsident Putin instrumentalisiere augenscheinlich Recht und Gesetz, um mit politischen Gefangenen als Faustpfand seine Interessen durchzusetzen.
Buschmann: "Bitteres Zugeständnis"
Bundeskanzler Scholz sagte, niemand habe sich die Entscheidung einfach gemacht, einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder nach nur wenigen Jahren der Haft abzuschieben. Es habe eine sorgfältige Beratung und Abwägung gewesen, auch Oppositionsführer Merz (CDU) sei frühzeitig informiert worden. Justizminister Buschmann bezeichnete die Freilassung Krasikows als "bitteres Zugeständnis". So sei 16 Menschen ein neues Leben in Freiheit ermöglicht worden. Als Justizminister sei für ihn das Prinzip "im Zweifel für die Freiheit" entscheidend gewesen, betonte der FDP-Politiker.
Der CDU-Außenpolitiker Röttgen begrüßte den Gefangenenaustausch als im Grundsatz richtige Entscheidung. Er sagte im Deutschlandfunk, es sei gelungen, 16 unschuldigen Menschen die Freiheit zu ermöglichen. Es handle sich zugleich um einen schwierigen Abwägungsprozess. Er verstehe deshalb jeden, der sich mit der Entscheidung schwer tue. Der Verzicht, den der deutsche Rechtsstaat für ein höheres Gut in Kauf nehme, sei gewaltig, sagte Röttgen mit Blick auf die Freilassung des sogenannten Tiergartenmörders Krasikow.
Lagodinsky (Grüne): "Moralische Asymmetrie"
Der grüne Europa-Abgeordnete Lagodinsky bezeichnete den Gefangenaustausch - ebenfalls im Deutschlandfunk - als moralisch und politisch vertretbar. 16 Leben seien gerettet worden. Deutschland mache mit der Entscheidung außerdem deutlich, dass es für seine Bürger einstehe. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass Russland unschuldige Geiseln gegen Kriminelle und Spione getauscht habe. Das sei eine moralische Asymmetrie, sagte Lagodinsky.
Juristisch zulässig
Rechtlich gibt es in der Strafprozessordnung die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen auf eine Vollstreckung von Urteilen zu verzichten, beispielsweise in Bezug auf mögliche Abschiebungen. Das könnte auch die Grundlage für einen Gefangenenaustausch bilden. Der Bundesjustizminister verfügt zudem über ein grundsätzliches Weisungsrecht gegen über den Staatsanwaltschaften in Deutschland. Eine weitere rechtliche Möglichkeit für einen Gefangenenaustausch wäre die Begnadigung eines in Deutschland Verurteilten durch den Bundespräsidenten. Dies geschah im Fall Krasikow nicht.
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Diese Nachricht wurde am 02.08.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.