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Angehörigen-Entlastungsgesetz
Weniger Last für Kinder pflegebedürftiger Eltern

Künftig sollen Kinder pflegebedürftiger Eltern erst ab einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro an der Heimunterbringung beteiligt werden. Die Kommunen befürchten, dass sie dadurch auf einem Großteil der Kosten sitzenbleiben.

Von Manfred Götzke |
Die Hand eines älteren Menschen
Im Grunde könne das Gesetz nur ein erster Schritt sein zu einer weitreichenden Reform der Pflege-Finanzierung, sagt Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags (imago / epd)
Ines Verspohl vom Sozialverband VDK kennt die Sorgen der Kinder gut, deren Eltern im Pflegeheim sind. Immer wieder kommen Angehörige in die Beratung ihres Verbands, nachdem ein Brief der Kommune im Kasten steckte. Mit einer Anfrage vom Sozialamt: Wie viel Geld haben Sie zur Verfügung?
"Die kommen bei uns in die Beratungsstellen, haben diese Anfrage vom Sozialamt und müssen jetzt alles offen legen; die große Angst ist dann natürlich: Muss ich mein Haus verkaufen, können meine Kinder noch studieren, wie viel muss ich denn jetzt überhaupt bezahlen? Das alles führt zu Streitigkeiten unter Geschwistern zu Spannungen mit den Eltern."
Angst vor finanzieller Überforderung
Können Pflegebedürftige den Eigenanteil für ihre Heimbetreuung nicht oder nicht mehr selbst aufbringen, weil die Rente nicht reicht und das Vermögen aufgebraucht ist, übernimmt erstmal das Sozialamt der jeweiligen Kommune die Kosten. Die kann sich das Geld dann bei den Kindern wieder holen. Jedenfalls, wenn sie monatlich mehr als eine bestimmte Summe als "bereinigtes Nettoeinkommen" zur Verfügung haben. Das liegt derzeit bei monatlich mindestens 1.800 Euro für einen Alleinstehenden.
Berechnet wird es so: Einkommen minus bestimmter Posten. Doch was absetzbar ist, war immer strittig, sagt Verspohl: "Das lag wirklich an der Kommune. Es gab Kommunen, die haben gar nicht angefragt und es gab Kommunen, die haben wirklich jeden gefragt. Und dann war immer die Frage: Was kann ich absetzen? Also, von meinem Einkommen kann ich schon was absetzen, zum Beispiel Unterhalt für eigene Kinder, Abzahlungen fürs Haus, eigene Altersvorsoge. Und was da anerkannt wurde und was nicht, das war immer sehr, sehr strittig, und so kam bisher immer zu unterschiedlichen Werten zwischen den Kommunen."
Unklarheit, Unsicherheit, Angst vor finanzieller Überforderung - das alles soll sich nun durch das neue Gesetz ändern. Und das ist auch gut so, meint Verspohl, die beim VDK die Abteilung Sozialpolitik leitet.
"Weil der Grundsatz einer Sozialversicherung, wie wir sie in Deutschland haben, sein sollte, dass man sozial abgesichert ist. Und dass es nicht drauf ankommt, wie viel Kinder man hat und ob man gut verdienende Kinder hat. Deshalb haben wir eine Rentenversicherung und deshalb haben wir eine Pflegeversicherung."
Nach Angaben des Bundessozialministeriums werden ab dem 01.01.2020 rund 275.000 Angehörige entlastet. Denn dann gilt eine einfach Regel: Nur wenn Angehörige mehr als 100.000 Euro brutto im Jahr verdienen - Mieteinnahmen oder Einnahmen aus Kapitalerträgen inklusive -, werden sich die Städte die Kosten künftig von den Angehörigen zurückholen können. 90 Prozent der Kinder pflegebedürftiger Eltern werden so entlastet.
Kommunen bleiben auf einem Großteil der Kosten sitzen
Entlastung der Angehörigen bedeutet umgekehrt: Die Kommunen bleiben auf einem Großteil der Kosten sitzen. Und das ist ein Problem, meint Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags.
"Die Koalition hat ja mal im Koalitionsvertrag gesagt, wer bestellt bezahlt. Und das heißt eigentlich übersetzt: Wenn wir etwas tun als Bund, müssen wir auch finanzpolitisch dafür gerade stehen. Das tut der Bund aber nicht, sondern er entlastet die Angehörigen und belastet die Städte. Das führt dazu, dass wir weniger Rückgriff nehmen können. Wir gehen ja mit der Hilfe zur Pflege in Vorleistung können es uns dann zurückholen - und das können wir in einem geringeren Umfang."
Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigt
500 Millionen Euro im Jahr wird die Reform die Kommunen kosten, prognostiziert Dedy. Tendenz steigend: "Wir wissen ja, dass die Pflegekosten zunehmen und wir wissen auch seit der Prognos-Untersuchung, dass die Zahl der der pflegebedürftigen Menschen stark ansteigen wird. Also ist relativ klar, die Kurve steigt nach oben."
Auch weil das Gesetz das Verhalten Pflegebedürftiger ändern wird, sagt Dedy.
"Ich kann natürlich eher bereit sein, einen Heimplatz oder Pflegeleistungen in Anspruch zu nehmen, wenn ich weiß, dass ich dafür meine Angehörigen nicht belasten muss. Diese Verhaltensänderungen werden sich auch nochmal niederschlagen, so dass wir perspektivisch mit einer Mehrbelastung der Städte von einer Milliarde pro Jahr rechnen."
Wie viel die Reform die Kommunen tatsächlich kostet, will der Bund evaluieren, allerdings erst 2025. Im Grunde könne das Gesetz nur ein erster Schritt sein zu einer weitreichenden Reform der Pflege-Finanzierung, da sind sich Dedy und Ines Verspohl einig.
Dedy: "Die Kernfragen sind, wo kommt das Geld her, was ist an Pflegeversicherungsbeitrag möglich und wo muss gegebenenfalls der Steuerzuschuss herhalten."
Verspohl: "Man müsste nochmal ganz neu ran und weg von diesem Teilkostenprinzip. Man müsste die Pflegeversicherung nochmal neu aufstellen und eine Pflegevollversicherung schaffen."
So weit ist die Politik nicht. Aber erst einmal nimmt das neue Gesetz den Kindern pflegebedürftiger Eltern einige Sorgen und führt auch zu, dass alte Menschen nicht mehr fürchten müssen, ihre Kinder durch die Heimunterbringung zu belasten.