Bernd Lechler: Facebook macht Werbung. Seit dieser Woche, zum ersten Mal in Deutschland auf Plakaten, mit ganzseitigen Zeitungsanzeigen, YouTube-Clips und sogar auf einem extrateuren Sendeplatz: Im ARD-Fernsehen direkt vor der Tagesschau. Bisher schien das Facebook-Imperium von selbst zu wachsen, jetzt also diese Aktion für ein mutmaßliches Millionenbudget; eine, die die Probleme von Facebook-Usern in den Mittelpunkt stellt: "Ich hab mal was gepostet, was ich nie, nie hätte teilen sollen", bekennt da zum Beispiel eine junge Frau. Oder ein rothaariger Brillenträger sagt: "Keine Ahnung, wer meine Posts zu sehen kommt", und natürlich liefert die Anzeige dann sofort die Lösung. Aber warum wohl gerade jetzt? Das haben wir uns kurz vor der Sendung Christian Schiffer gefragt: Journalist, Netzspezialist und Analytiker des digitalen Lebens. Was ist da los bei Facebook, Herr Schiffer?
Christian Schiffer: Naja, Facebook möchte sein Image aufbessern, und wenn man sich so Umfragen anschaut, dann hat der Konzern das auch wirklich dringend nötig. Also nur mal ein paar Zahlen: 16 Prozent aller Deutschen nur finden, dass Facebook sympathisch ist. Und nur sechs Prozent sagen, dass Facebook transparent ist. Und das ist wirklich ziemlich desaströs, vor allem, wenn man das vergleicht mit den Zahlen anderer großer IT-Konzerne mit zum Beispiel Google oder Amazon, die auch nicht besonders beliebt sind, aber eben noch wesentlich beliebter als Facebook und ich denke, das hat wahrscheinlich die Leute bei den blauen Seiten dann dazu veranlasst, da etwas dagegen zu tun.
Gelöscht ist nicht gleich gelöscht
Lechler: Trifft es denn zu, was Facebook in den Anzeigen verspricht? Also etwa dieser reuigen Posterin. "Lösche es und es ist verschwunden". Also ich musste an diesen österreichischen Aktivisten Max Schrems denken, der seine Daten einsehen wollte und dann einen dicken Stapel längst gelöscht geglaubter Sachen bekam und der bis heute gegen Facebooks Datenpolitik kämpft. Da ist man ja skeptisch.
Schiffer: Das war in der Tat so. Also Max Schrems wollte damals seine Daten haben und dann haben sie ihm 1.200 Seiten geschickt. Mittlerweile ist es so, dass man sich anzeigen lassen kann, welche Daten Facebook von einem gespeichert hat. Mir ist es allerdings noch nie gelungen. Und in der Tat ist es so, dass das Wort "Löschen" sehr viel Interpretationsspielraum lässt: Facebook sagt da: "Löschen heißt, von der Seite löschen". Ist aber dann eben bei den Servern von Facebook trotzdem noch vorhanden.
Ganz abgesehen davon, ob das jetzt dann spitzfindig ist oder ob das tatsächlich gelöscht wird, hat natürlich diese Kampagne auch insofern einen negativen Beigeschmack, als dass sie die Verantwortung ausschließlich an den Nutzer delegiert. Alles, was diese Kampagne verbreitet, ist so dieses so 'ihr müsst selber verantwortlich sein', ja, 'ihr könnt löschen, ihr müsst euch um die Privatsphären-Einstellungen kümmern'. Und das ist natürlich vielleicht etwas einfach gedacht, dass man immer sagt, nur der Nutzer ist dafür verantwortlich. Nein, ich denke auch ein Konzern wie Facebook muss dafür sorgen, dass mit den Daten kein Schindluder getrieben wird.
Unbeliebt als Konzern, beliebt als Netzwerk
Lechler: Aber die Taktik der Anzeigen ist ja schon clever. Also man greift diese Kritikpunkte auf und ordnet sie gleich als nicht weiter wild ein. Glauben Sie, dass das greift? Also wird deswegen jemand zu Facebook gehen oder bei Facebook bleiben?
Schiffer: Ich glaube, dass es den Leuten bisher zum großen Teil sowieso egal war, welche Datenschutzpolitik betreibt, das ist ja das interessante. Facebook ist sehr, sehr unbeliebt als Konzern, als Netzwerk und trotzdem ist jeder da. Wir haben in Deutschland 29 Millionen Menschen, die bei Facebook angemeldet sind. Das ist enorm, ja, das ist übrigens ganz typisch, also auch, zum Beispiel, Google ist so unbeliebt wie fast nirgendwo in der Welt als Konzern hier in Deutschland. Und nirgendwo wird mehr gegoogelt als hier.
Lechler: Wie geht es Ihnen denn persönlich mit Facebook? Sie sind ja auch drauf. Wie hat sich Ihre pro- und kontra Balance im Laufe der zeit verändert?
Schiffer: Also ich muss, vielleicht leider sagen, dass ich ein sehr, sehr lückenlosen Facebook Lebenslauf habe und sehr, sehr viel auch auf diesem Portal verbringe tatsächlich an Zeit. Also Facebook ist ja groß geworden wegen dieser Netzwerktheorie. Also wenn man halt der einzige ist mit einem Telefon, dann ist es doof. Aber wenn alle ein Telefon haben, dann ist es halt super. Genauso ist es bei Facebook: Je mehr Leute auf dieser Plattform sind, umso nützlicher ist sie. Und für mich ist es tatsächlich so, dass sie für meine Arbeit - ich hab auch noch einen kleinen Verlag nebenbei - ist diese Plattform sehr, sehr nützlich, um Kontakt zu halten, aber auch, um sich zu informieren.
Ich habe mal tatsächlich versucht, dieser Plattform abzuschwören, zumindest für zwei Wochen, und ich muss sagen, es waren zwei sehr unangenehme Wochen. Und es erinnert mich manchmal ein bisschen so an so Mafiafilme, so "Der Pate - Teil 3", wenn man so aus der Familie raus will, sie einen aber immer wieder einholt. So ein bisschen geht es mir mit Facebook. Also zusammengefasst ist es wahrscheinlich so eine Form von Hassliebe.
"Dass Netzwerke verschwinden, kann natürlich immer passieren"
Lechler: Trotz dieser engen Bindung ist es andererseits ja vielleicht normal, dass sich Social-Media und unsere Präferenzen verändern. Manche verschwinden oder werden irrelevant - so wie MySpace oder Schüler VZ - andere kommen dazu, wie Instagram oder Snapchat. Kann es denn nicht sein, dass die Zeit von Facebook auch mal vorbei ist demnächst und dass sie da deswegen versuchen, gerade dagegen anzugehen?
Schiffer: Das kann natürlich immer passieren. Dieser beschriebene Netzwerkeffekt, der funktioniert ja auch in die andere Richtung. Sprich, wenn immer weniger Leute aktiv sind, dann verliert so ein Netzwerk rasant an Bedeutung und das ist eben Studi VZ zum Beispiel passiert. Und dann kann man diesen Prozess auch fast nicht mehr so richtig aufhalten. Trotzdem bin ich immer sehr, sehr vorsichtig. Wissen Sie, jedes halbe Jahr kommt irgendeine Nachricht, dass es heißt, in den USA würden sich die jungen Leute von Facebook abwenden. Und das mag schon alles so sein, nur dann muss man mehrere Dinge glaube ich berücksichtigen:
Das eine ist, dass es immer noch Märkte gibt für Facebook, die sie tatsächlich mit ihrem Netzwerk heimsuchen können, ja. Also Länder, in denen das Internet zum Beispiel noch nicht so verbreitet ist und so. Dann das zweite ist, dass Facebook natürlich als Konzern immer noch attraktiv sein kann, weil, Facebook hat Geld und wenn zum Beispiel Whatsapp aufkommt, dann kaufen sie Whatsapp. Das heißt, es mag sein, dass das Netzwerk an Bedeutung verliert, aber trotzdem wird man halt bei Facebook sein oder zumindest im Facebook Konzern irgendwie dabei sein. Und zum dritten ist es so, dass trotzdem auch die jungen Leute immer noch einen Facebook Account haben, auch wenn sie den nicht mehr so intensiv nutzen.
Nachholbedarf bei Hasskommentaren
Lechler: Ein Thema, für das Facebook bei uns in letzter Zeit heftig kritisiert wurde, war ja der Umgang mit Hasskommentaren. Wie würden Sie bewerten, dass gerade das in diesen Spots nun nicht vorkommt?
Schiffer: Soweit ich weiß, plant Facebook auch eine Kampagne dazu. Aber es ist natürlich völlig klar, dass das natürlich ein sehr, sehr unangenehmes Thema ist für Facebook. Ich glaube, der Konzern weiß auch, dass er dort Fehler gemacht hat, immer noch ist Facebook nicht in der Lage, dieses Problem adäquat zu lösen, so, dass sowohl die Nutzer, als auch die Politik zufrieden sind. Und ich glaube, dass es - wahrscheinlich -zu früh wär für eine Werbekampagne von Facebook zu ausgerechnet diesem Thema.
Lechler: Facebook Deutschland investiert plötzlich kräftig in Werbung. Das war dazu Christian Schiffer in Corso. Danke nach München.
Schiffer: Gerne.
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