Lange TV-Dokumentationen, Print-Sonderausgaben, eigene Podcast-Formate: Seit Wochen schon verabschieden Medien Angela Merkel. Seit 2005 hat die CDU-Politikerin Deutschland als Kanzlerin regiert. 16 Jahre, so lange wie Helmut Kohl, ebenfalls CDU, der als ihr politischer Förderer galt. Eine Zeit, in der sich die Medienlandschaft verändert hat wie niemals zuvor. Und Merkel einen eigenen Weg gefunden hat, ihre Politik zu vermitteln.
"Merkel hat sich von ihren beiden Vorgängern Helmut Kohl und Gerhard Schröder (SPD) sehr viel abgeguckt, und zwar: wie man es besser nicht macht", sagt der Kommunikationswissenschaftler Thomas Birkner, der zu den Medienbiographien Merkels und ihrer Vorgänger geforscht hat.
Kohl habe auf harte Konfrontation, vor allem gegenüber "den Hamburger liberalen Medien wie 'Spiegel', 'Zeit' und 'Stern'" gesetzt, so Birkner gegenüber dem Deutschlandfunk. Schröder habe sich dagegen als Medienkanzler inszeniert und sich dabei durch eine "zum Teil enge Umarmung" ausgezeichnet. "Und Merkel hat eigentlich immer das richtige Maß zwischen Nähe und Distanz zu den Medien gehalten", analysiert der Wissenschaftler von der Uni Münster.
Zu große Nähe zwischen Merkel und Medien?
Merkel sei immer bewusst gewesen, dass sie "Medien auch als kritische Instanz braucht". Aber war das immer der Fall? Schon früh war da der Vorwurf, Merkel beantworte kritische Fragen nicht – unter anderem auch, weil Journalistinnen und Journalisten diese gar nicht erst stellen würden. "Konfrontation mit dem Gegner oder Streitgespräche sehen anders aus", bilanzierte unter der Überschrift "Kanzlerin Hasenfuß" etwa 2009 die "Zeit" Angela Merkels Umgang mit Medien.
Ein Vorwurf, der nach der sogenannten "Flüchtlingskrise" von 2015 besonders laut werden sollte. Wie der Journalismus mit dieser Zeit umgegangen ist, untersuchte damals der Leipziger Medienwissenschaftler Michael Haller. Das Ergebnis: Medien hätten eine Sicht transportiert, , "die sich fast vollständig deckte mit der politischen Intention der Bundesregierung – und hier insbesondere mit der Position der Bundeskanzlerin". Haller sagte außerdem im Interview mit der Otto Brenner Stiftung, die seine Studie beauftrag hatte, viele Journalisten wollten "Frau Merkel auf dem Schoß sitzen".
In dieser Zeit seien "fast alle Medien ausnahmsweise einer Meinung mit Merkel" gewesen, stellt auch Thomas Birkner fest. Vor allem für die Regierung sei es danach schwierig gewesen, die Balance aus Nähe und kritischer Distanz wiederherzustellen. Ähnlich sei es dann auch in der Corona-Krise gewesen: Auch hier sei der Vorwurf zu großer Nähe aufgekommen. Allerdings habe es zum Beginn der Pandemie ja niemand besser wissen können als Politik und Wissenschaft, auch nicht in den Medien. Da sei eine kritische Berichterstattung einer vernünftigen Politik sicher nicht angebracht gewesen. "Hier haben Politik und Medien funktional interagiert", so Birkner.
"Immer nur die Frisur?"
Haben Medien insgesamt zu positiv über Merkel berichtet? "Eine schwierige Frage", findet der Mainzer Professor für Publizistik Thomas Koch, der den Umgang der Medien mit Merkel in den ersten Jahren ihrer Kanzlerschaft untersucht hat. In dieser Zeit sei Merkel zunächst noch offensiv mit konkreten Inhalten aufgetreten. Doch das habe sich schon bald geändert. "Wenn Themen am heißesten im Journalismus diskutiert wurden, hat sie sich oft gar nicht dazu geäußert", so Koch gegenüber dem Deutschlandfunk. Und so wäre es immer schwieriger für Medien geworden, Merkel inhaltlich zu greifen – und auch anzugreifen.
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Welches Erbe hinterlässt sie ihren Nachfolgern oder ihrer Nachfolgerin im Kanzleramt? SPD-Kandidat Olaf Scholz knüpfe am ehesten an Merkels Art der Kommunikation an: "Auch er bleibt vage, legt sich nicht fest, lässt sich nicht in die Enge treiben", beobachtet Koch. CDU-Chef Armin Laschet würde wahrscheinlich genauso auftreten, läge er nicht so stark in den Umfragen zurück. Inhaltlich konkreter werde aktuell nur Annalena Baerbock von den Grünen.
Eines steht für den Kommunikationswissenschaftler schon jetzt fest: Egal ob Mann oder wieder Frau an der Regierungsspitze, Medien werden hier keinen Unterschied machen in der Art und Weise, wie sie berichten, über Privates wie Politisches. Das hat auch Kochs Untersuchung von 2007 zu Angela Merkels Bild in den Medien ergeben, als er fragte "Immer nur die Frisur?" – und diese These am Ende widerlegt wurde.
"Frei von Kumpeleien"
Merkel sei immer "sehr hart angefasst worden" von Journalistinnen und Journalisten, findet Stephan Detjen. Vor allem in den ersten Jahren sei ihr oft "Unterschätzung entgegengeschlagen".
Detjen leitet seit 2012 das Hauptstadtstudio des Deutschlandradios. Gemeinsam mit dem Politikjournalisten Tom Schimmeck blickt er mit einer sechsteiligen Feature-Reihe auf die Merkel-Jahre zurück. Er habe die CDU-Politikerin bei seinen Begegnungen als einerseits "freundlich" und "respektvoll" erlebt, sagte Detjen im Interview mit Mediasres. Andererseits sei es Merkel "sehr nüchtern" auch stets "um die Sache gegangen". Merkel sei dabei "frei von Kumpeleien" gewesen, die sonst oft Politiker ausgezeichnet hätten.
"Sie war Bundeskanzlerin in einer Zeit, in der sich die Medienlandschaft neu geordnet hat", so Detjen. Damals habe es "keine klaren Lagerbildungen" mehr gegeben. "In diese Welt passte diese Kanzlerin lange sehr gut." Jetzt würden die Polarisierungen wieder stärker, beobachtet der Deutschlandfunk-Journalist. Deshalb stelle sich mit dem Ende der Ära Merkel auch die Frage, welcher Typ von Politiker zu dieser neuen Zeit passe.