Im Moment ihres großen Durchbruchs lässt Angelique Kerber ihren Schläger fallen und purzelt rückwärts auf den Court in Melbourne. 2016, im Finale der Australian Open, hat ihre Gegnerin, die so übermächtig scheinende Serena Williams, gerade den Ball ins Aus befördert - und Kerber so ihren ersten Grand-Slam Titel beschert.
"Im ersten Spiel in diesem Turnier hatte ich Matchball gegen mich und war mit einem Bein in Flugzeug zurück nach Deutschland", sagte sie im Interview nach dem Spiel in Tränen aufgelöst. "Und jetzt stehe ich hier. Heute Nacht wird ein Traum für mich wahr."
Und es war erst der Auftakt in ein Jahr, das für Kerber zum besten ihrer Karriere werden sollte: Bei fünf der sechs wichtigsten Turniere des Jahres erreichte sie das Finale, wird am Ende Sportlerin des Jahres in Deutschland. Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro gewinnt sie Silber.
Bei den folgenden US-Open besiegte sie im Finale die Tschechin Karolína Plíšková und sichert sich ihren zweiten Grand-Slam-Titel - und zum ersten Mal Platz eins in der Tennis Weltrangliste. Nach 186 Wochen, also mehr als drei Jahren, löst sie Serena Williams als beste Spielerin auf der Tour ab. Als erste zweite Deutsche überhaupt nach Steffi Graf.
Der große Triumph: Wimbledon
2018 landete Kerber ihren nächsten und größten Erfolg: In Wimbledon gewinnt sie das prestigeträchtigste Tennisturnier der Welt. Es war der letzte große Triumph von Angie Kerber, wie Fans sie nannten. An diese großen Erfolge konnte sie seitdem nicht wieder anknüpfen.
Jetzt hat Angelique Kerber ihren Rücktritt angekündigt: Die Olympischen Spiele 2024 sollen ihr letztes Turnier sein. "Und obwohl dies tatsächlich die richtige Entscheidung sein könnte, wird es sich nie so anfühlen. Einfach weil ich den Sport von ganzem Herzen liebe und dankbar bin für die Erinnerungen und Möglichkeiten, die er mir gegeben hat", so Kerber bei ihrem Rücktritt.
Familie geht vor
Zuletzt hatte der Sport bei ihr aber an Bedeutung verloren: "Es gibt bei mir gewiss die Priorität und das ist nicht mehr hundertprozentig Tennis", sagte sie nach ihrem Erstrunden-Aus in Wimbledon in diesem Jahr. Mittlerweile ist Tochter Liana der Lebensmittelpunkt. Nach der Geburt versuchte Kerber das Comeback auf der Tennis-Tour. Die großen Erfolge vergangener Jahre blieben allerdings aus.
"Sie ist eine, die wie keine andere es gelernt hat, immer wieder aufzustehen", sagt Barbara Rittner dem Deutschlandfunk zum Rücktritt von Kerber: "Die auch toughe Niederlagen einstecken musste, schwierige Auslosungen hatte. Und sich immer wieder aufgerappelt hat." Rittner hat Kerbers Weg seit Jugendjahren begleitet, die Spielerin war lange Jahre Teil des von ihr geleiteten Nationalteams: "Ich bin unglaublich stolz und dankbar, Teil ihrer Karriere gewesen zu sein. Mit allen Höhen und Tiefen, wir haben unglaublich viel voneinander gelernt."
Im deutschen Tennis hinterlässt sie eine Lücke: "Mit Angelique Kerber tritt eine der erfolgreichsten und populärsten Tennisspielerinnen ab, die Deutschland je hervorgebracht hat", so der Chef des Deutschen Tennis Bundes, Dietloff von Arnim: "Mit ihrem besonderen Kampfgeist und der großen Leidenschaft auf dem Platz war sie stets ein strahlendes Vorbild für den Nachwuchs."
Kerber war die erfolgreichste Spielerin einer Art "goldenen Generation" im deutschen Frauentennis in den 2010er-Jahren, zu denen neben ihr auch Andrea Petković, Sabine Lisicki oder Julia Görges gehörten. In den vergangenen Jahren konnten Spielerinnen wie Jule Niemaier oder Laura Siegemund immer wieder Achtungserfolge feiern - die großen Siege hingegen blieben meist aus. Ein starkes Zugpferd, wie es Kerber einst war, sind sie nicht.
In Paris "nichts zu verlieren"
Für Kerber schließt sich mit der Teilnahme an den olympischen Spielen in Paris ein Kreis: "Die olympischen Spiele, bei denen ich bisher dabei war, waren für mich viel mehr als Wettkämpfe", schreibt sie zu ihrem Rücktritt auf Instagram: "Sie stehen für verschiedene Abschnitte meines Lebens als Tennis-Profi: Für den Aufstieg, den Höhepunkt, und jetzt die Ziellinie."
"Die Olympischen Spiele haben ihr immer besonders viel bedeutet", berichtet Barbara Rittner, die damals auch bei der Silbermedaille in Rio mit dabei war: "Es war ein sehr besonderer Moment, damals zusammen in das Stadion einzulaufen und dann am Ende über die Medaille zu jubeln."
Dass Kerber noch einmal über einen Turniersieg freuen darf, ist der derzeitigen Form aber unwahrscheinlich. Zudem trifft sie schon in der ersten Runde auf eine andere ehemalige Nummer 1 der Weltrangliste: Naomi Okasa. "Ich habe nichts zu verlieren", so Kerber zu diesem Los: "Ich freue mich auf das Match und auf das Turnier. Ich werde es so gut es geht genießen." Außerdem ist sie noch im Doppel am Start, zusammen mit Laura Siegemund.