Nach der schweren Wahlniederlage der CDU und ihres Kanzlerkandidaten Armin Laschet geriet der Streit um die Wiederwahl von Ralph Brinkhaus zum Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Laschet zur politischen Überlebensfrage. In letzter Minute wurde ein Kompromiss gefunden und Brinkhaus für zunächst weitere sechs Monate im Amt bestätigt. Üblicherweise wird der Fraktionsvorsitzende für zwölf Monate gewählt.
Laschet soll Sondierungsgespräche führen
Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Andreas Jung erklärte im Deutschlandfunk-Interview, dass es während der konstituierenden Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine "sehr offene Aussprache" unter allen Teilnehmenden gegeben hätte: "Jetzt geht es darum, Armin Laschet zu unterstützen, den Rücken zu stärken. Wir wollen jetzt mit ihm in mögliche Gespräche gehen und deshalb habe ich da wirklich eine breite Unterstützung für eine gemeinsame Linie wahrgenommen, in der Union, CDU und CSU."
Die Union sei weiterhin bereit, über eine Jamaika-Koalition zu verhandeln, stellte Jung klar. Die Partei würde "in so einer Situation nicht die Tür zuschlagen" und zu Sondierungsgesprächen einladen.
Konzepte für Nachhaltigkeit vorlegen
Unabhängig von Koalitionsverhandlungen müsse sich die Partei jedoch inhaltlich erneuern, betonte der CDU-Politiker. Die Priorität habe "Nachhaltigkeit in der ganzen Breite, mehr als Bruttoinlandsprodukt und Schuldenbremse". Zwar sei in diese Richtung schon in den vergangenen Jahren gearbeitet worden, aber es müsse konkreter werden. Die Union müsse "ein überzeugendes Konzept für eine ökologische und soziale Marktwirtschaft" vorlegen.
Das Interview in voller Länge:
Stefan Heinlein: Nach einem aufregenden Tag am Abend der Kompromiss. Wir haben es gerade gehört. Haben Sie deshalb gut schlafen können in dieser Nacht, Herr Jung?
Andreas Jung: Ich habe nicht deshalb gut schlafen können, aber es war trotzdem ein gutes Ergebnis. Wir hatten gestern eine sehr offene Aussprache und wir hatten zwei klare Ergebnisse. Armin Laschet wurde der Rücken gestärkt für mögliche Gespräche, die jetzt stattfinden. Ralph Brinkhaus ist mit einem ganz klaren Votum als Fraktionsvorsitzender wiedergewählt worden. Jetzt ist es, glaube ich, wichtig, dass wir uns den Inhalten widmen - das war gestern übrigens im Mittelpunkt der Sitzung – und fragen, was bedeutet diese Situation für die Union, wo müssen wir uns auch erneuern, was ist unser Profil, was sind die Fragen, die Antworten, die jetzt anstehen.
"Unterschiedliche Vorstellungen, wie man in dieser Situation umgeht"
Heinlein: Das hatte ich mir für den zweiten Teil unseres Gespräches vorgenommen, über die Inhalte, über die künftige Ausrichtung zu reden. Aber spannend ist dennoch die Frage zunächst, Herr Jung: Ralph Brinkhaus nur für ein halbes Jahr im Amt. Warum wurde seine Amtszeit halbiert? Geplant war ja eigentlich und üblich ist ein ganzes Jahr.
Jung: Es gab da unterschiedliche Vorstellungen, wie man in dieser Situation umgeht. Armin Laschet hat dann den Vorschlag gemacht für diesen Kompromiss, hinter dem haben sich alle versammelt, die sich interessiert eingebracht hatten, die das mit vorbereitet haben. Deshalb war es, glaube ich, gut, dass man diesem Vorschlag so gefolgt ist, und damit haben wir jetzt die Grundlage, um in der nächsten Zeit uns hart an der Sache in die Gespräche einzubringen. Wir sind als Fraktion arbeitsfähig.
Heinlein: Sie haben gesagt, es gab unterschiedliche Interessen. Können Sie das noch ein wenig erläutern? Fächert sich das auf in Laschet-Anhänger und Laschet-Gegner?
Jung: Überhaupt gar nicht. Das war ja gar nicht die Frage. Sie haben es gerade auch berichtet gehabt in Ihrem Programm. Da gab es unterschiedliche Personen, unterschiedliche Vorstellungen für die Zeiträume. Das ist, glaube ich, normal. Es ist zwei Tage nach der Wahl und die Frage, wie stellen wir uns auf. Dass wir dann aber in einer konstruktiven Sitzung zu so einem klaren gemeinsamen Ergebnis kommen, das war gestern ein guter Punkt.
Heinlein: Wird Ralph Brinkhaus nach einem halben Jahr, nach sechs Monaten aufs Nebengleis gesetzt, wenn die Union dann doch noch auf den Oppositionsbänken platznimmt, wenn es mit Jamaika nicht klappt?
Jung: Das ist doch gar nicht die Frage, die jetzt ansteht. Der Ralph Brinkhaus hat die Unterstützung bekommen. Er hat gestern angekündigt, dass er bereit ist, darüber hinaus weiterzumachen, und er hat viel Zustimmung in der Fraktion.
Heinlein: Sie waren, Herr Jung, im Wahlkampf Teil des sogenannten Zukunftsteams von Armin Laschet. Welche Zukunft hat denn Ihr gescheiterter Kanzlerkandidat jetzt noch in Partei und Fraktion? Gab es dazu auf der gestrigen Sitzung auch klare Aussagen, klare Ergebnisse?
Jung: Ja, da gab es ein ganz klares Ergebnis, ein übrigens sehr einvernehmliches Ergebnis. Armin Laschet wurde beauftragt, die Gespräche zu führen, die jetzt möglich sind, und da gab es gar kein Vertun und in dieser Frage große Klarheit.
"Breite Unterstützung für eine gemeinsame Linie"
Heinlein: Aber er kann diese Gespräche nicht alleine führen, sondern Markus Söder und Alexander Dobrindt sind mit dabei.
Jung: Es ist ja klar, dass der Kanzlerkandidat Gespräche nicht alleine führt, dass CDU/CSU das gemeinsam machen, dass die Fraktion eingebunden ist. Genauso muss es sein. Da muss ja die ganze Breite der Union auch stattfinden. Deshalb ist auch das gestern Ergebnis gewesen, dass wir gemeinsam und mit Geschlossenheit in diese Phase gehen.
Heinlein: Ich würde gerne dennoch noch mal nachfragen. Sie betonen diese Geschlossenheit. Wie groß ist denn der Rückhalt, die Geschlossenheit für Armin Laschet in der Fraktion? Was ist Ihr Eindruck? Es gab doch sicherlich auch Kritik.
Jung: Ich berichte Ihnen mal aus der Landesgruppe Baden-Württemberg. Da gab es in den letzten Monaten sehr unterschiedliche Präferenzen. Das ist bekannt. Markus Söder hat auch viele Anhänger. Aber das war gestern nicht die Frage, sondern gestern war, ganz egal, wie in den letzten Monaten die Präferenzen waren, eine ganz klare Linie, dass man gesagt hat, jetzt geht es darum, Armin Laschet zu unterstützen, den Rücken zu stärken. Wir wollen jetzt mit ihm in mögliche Gespräche gehen und deshalb habe ich da wirklich eine breite Unterstützung für eine gemeinsame Linie wahrgenommen, in der Union, CDU und CSU.
Heinlein: Hat sich denn in dieser Landesgruppe auch Wolfgang Schäuble zu Wort gemeldet? Er war ja derjenige, der zusammen mit Bouffier und anderen Laschet als Kandidat durchgesetzt hat.
Jung: Wolfgang Schäuble ist Mitglied unserer Landesgruppe. Er war gestern selbstverständlich dabei und er hat sich genauso wie alle sehr konstruktiv in diese Diskussion eingebracht.
Heinlein: Hat er denn noch die gleiche alte Autorität wie vor der Wahl?
Jung: Die Autorität von Wolfgang Schäuble, die ist ungebrochen. Er ist jemand, der mit seiner Erfahrung und mit seinem Hintergrund auch Debatten prägen kann. Er hat das immer wieder gezeigt. Da gibt es keine Veränderung.
Wahlniederlage akzeptiert
Heinlein: Markus Söder, der CSU-Chef, hat ja gestern offen Olaf Scholz zum Wahlsieg gratuliert. Gab es bei Ihnen in der Fraktion und nicht nur in der Landesgruppe Baden-Württemberg die Forderung, die Aufforderung an Armin Laschet, dem nachzufolgen und klar zu sagen, liebe SPD, lieber Olaf Scholz, Du hast die Wahl gewonnen?
Jung: Diese Aufforderung, die war ja nicht nötig, weil das Ergebnis ja klar ist. Es liegt auf dem Tisch. Demnach ist die SPD auf dem ersten Platz, die CDU auf dem zweiten, auf dem dritten die Grünen und auf dem vierten die FDP. Dieses Ergebnis haben alle akzeptiert und daraus ergibt sich nicht ein Auftrag, aber daraus ergibt sich jetzt die Notwendigkeit, Gespräche zu führen. Die werden jetzt geführt von Grünen und FDP.
Von dort gibt es das Signal, man möchte auch mit der Union sprechen, in beide Richtungen. Man will über die Ampel reden, man möchte mit der Union sprechen. Und dass wir in so einer Situation nicht die Tür zuschlagen, sondern sagen, wir sind bereit zu Gesprächen, und dass wir die, wenn wir sie führen, konstruktiv führen und nach vorne gerichtet, das ist klar und das haben alle so gesehen.
Heinlein: Sie haben in Ihrer ersten Antwort bereits darauf hingewiesen. Es ging nicht nur um Personen, Personalien, sondern auch um Inhalte. Herr Jung, was sind denn die Gedanken? Wo sind die größten inhaltlichen Baustellen Ihrer Partei? Wie lange wird es dauern, bis die Erblast der Merkel-Jahre abgestreift wird und die Partei sich nach dieser krachenden Wahlniederlage auch inhaltlich neu positioniert?
Jung: Ich halte Erblast nicht für den richtigen Begriff. Es ist in diesen Jahren vieles gut gewesen. Aber natürlich, wenn man so lange regiert, dann schleifen sich auch Dinge ein, gibt es neue Fragen, Herausforderungen. Deshalb brauchen wir jetzt Erneuerung. Wir müssen klarmachen aus uns selbst heraus, wir haben den Entwurf für die Zukunft, für den wir brennen, für den wir glaubwürdig stehen. Der heißt Nachhaltigkeit in der ganzen Breite, mehr als Bruttoinlandsprodukt und Schuldenbremse. Beides ist wichtig, gehört dazu, aber es geht jetzt darum, dass wir ein überzeugendes Konzept für eine ökologische und soziale Marktwirtschaft entwickeln.
Da haben wir viele Dinge jetzt vorgelegt in den letzten Jahren, Monaten, Wochen, aber das muss konkreter werden. Das muss glaubwürdig vertreten werden. Das stand so mal in unserem Grundsatzprogramm unter Töpfer und Geißler, ist dann verloren gegangen. Wir haben es in unserem Programm jetzt drin gehabt und da müssen wir jetzt vorangehen. Das ist die Aufgabe, die ansteht. Wir haben einen Prozess für ein neues Grundsatzprogramm ja angestoßen. Dann kam Corona, der Wahlkampf, das wurde auf Eis gelegt. Da müssen wir jetzt ran, um einfach sehr klarzumachen, wofür steht die Union und was ist unser Angebot für alle Menschen in Deutschland.
Heinlein: Gehört zu dieser ökologisch-sozialen Erneuerung, die Sie einfordern, auch ein Bekenntnis zu den konservativen, zu den wertkonservativen Wurzeln Ihrer Partei?
Jung: Die Union als Volkspartei hat immer eine Breite. Aber klar ist, wir sind die Kraft der Mitte. Da gibt es kein Rütteln und kein Verrücken. Das ist unser Ort. So sind wir jetzt angetreten. Das ist unser Weg. Unsere Werte, die bleiben gleich, und auf dieser Grundlage müssen wir als Kraft der Mitte jetzt diesen breiten Anspruch vertreten und klarmachen, wir sind die, die für Zukunft stehen. Es muss uns umtreiben, dass bei den Erstwählern FDP und Grüne auf eins und zwei landen, wir weit dahinter. Wir müssen die sein, die für Zukunftsfähigkeit stehen. Das muss unsere Botschaft an alle sein, ob jung, ob alt, und dazu müssen wir umfassende glaubwürdige Konzepte ausgerichtet auf Nachhaltigkeit vorlegen.
Heinlein: Könnten diese glaubwürdigen Konzepte leichter in der Opposition erarbeitet werden? Könnten die harten Bänke der Opposition Ihnen helfen, in Ruhe einen Neuanfang zu machen, ohne den Zwang zu Kompromissen innerhalb einer Regierungskoalition?
Jung: Das sehe ich nicht so. Diese Aufgabe ist unabhängig davon, ob man in der Regierung oder Opposition ist. Das ist jetzt eine Aufgabe, die für uns als Union ansteht. Es ist eine neue Zeit, da brauchen wir jetzt einen neuen Aufbruch und das müssen wir aus der Partei, aus der Union heraus leisten, und das nicht abhängig von Ihrer Frage.
Heinlein: Trotz der herben Verluste, Herr Jung, ich verstehe Sie richtig, die Union will sich inhaltlich erneuern in der Regierung, will eine Jamaika-Koalition? Sie will die Niederlage nicht eingestehen, sondern sagen, wir regieren weiter?
Jung: Die inhaltliche Erneuerung ist unabhängig. Die muss unabhängig stattfinden von der Konstellation, die sich jetzt entwickelt. Das ist die eine Frage und das andere ist, dass wir keine Türen zumachen, dass wir uns Gesprächen nicht verschließen. Demokratische Parteien müssen miteinander reden können. Dazu sind wir bereit. Das ist die Offenheit, die wir erklärt haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.