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Angespannte Lage im Libanon wegen Syrienkonflikt

Politische Beobachter warnen, dass die Gewalt in Syrien auch auf den Libanon übergreifen könnte. Jüngst ist es mehrfach zu Auseinandersetzungen zwischen Sunniten, die die Opposition in Syrien unterstützen, und Schiiten und Aleviten, die beide das Assad-Regime verteidigen, gekommen.

Von Ulrike Hummel | 28.06.2012
    Scharfschützen lauern auf Dächern, Granaten und Raketen kommen immer wieder zum Einsatz. Seit der jüngsten Eskalation in der nordlibanesischen Stadt Tripoli beherrschen militärische Checkpoints und Panzer das Stadtbild. Anfang Juni war es zu heftigen Gefechten zwischen bewaffneten Sunniten und Aleviten gekommen. Zwölf Tote und 50 Verletzte waren es allein an einem Tag. Der seit Jahren schwelende religiöse Konflikt zwischen dem sunnitischen Stadtviertel Bab al-Tebbaneh und den Aleviten in Jabal Mohsen droht durch die Entwicklungen in Syrien zu eskalieren: Sunniten unterstützen die Rebellen in Syrien, während die Aleviten im benachbarten Stadtviertel dem syrischen Präsidenten Assad die Treue schwören. Sheikh Zakaria gehört zu den einflussreichsten sunnitischen Imamen der Stadt. Waffengewalt lehnt er ab, aber mit regelmäßigen Freitagsdemonstrationen will er die Aufständischen in Syrien dennoch unterstützen:

    "Bis jetzt haben wir über 50 Demonstrationen organisiert. Unser Ziel ist es, das syrische Volk moralisch zu unterstützen. Aber die Sicherheitslage hier ist sehr angespannt und es ist zu erwarten, dass die Kämpfe in Kürze wieder ausbrechen. Die Aleviten stiften Unruhe und ich bin sicher, dass die Aleviten von Hassan Nasrallah, dem Chef der radikalen schiitischen Hisbollah, und auch von dem Assad-Regime in Syrien und aus dem Iran Hilfe bekommen."

    "Bald bist Du dran, Nasrallah" singen die sunnitischen Demonstranten vor einer Moschee in Tripoli. Gemeint ist der schiitische Hisbollah-Chef.

    Seitdem libanesische Soldaten im sunnitischen Stadtteil Bab al-Tebbaneh und im alevitischen Stadt Jabal Mohsen Stellung bezogen haben, herrscht gespannte Ruhe in der überwiegend von Sunniten bewohnten Stadt, kommt es dort auch immer wieder zu Schießereien – so auch während des Gesprächs mit dem sunnitischen Kämpfer Bilal El Sayed.

    "In diesem Moment schießen Scharfschützen auf Bab al-Tebbaneh und die Armee feuert zurück. Dieser Konflikt zwischen Bab al-Tebbaneh und Jabal Mohsen existiert letztlich schon, seit die syrische Armee 1976 im Libanon einmarschiert ist, und die Aleviten unterstützt. Das richtet sich natürlich gegen uns Sunniten. Deshalb ist es ein eindeutig religiöser Konflikt."

    Blutige Unruhen im Libanon – so Bilal El Sayed – nützten allein dem Regime in Damaskus, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf einen anderen Schauplatz zu lenken. Der sunnitisch-alevitische Konflikt in Tripoli werde deshalb direkt vom Regime in Syrien gesteuert.
    Die Aleviten im Libanon, die eine religiöse Minderheit sind, betrachten das Assad-Regime, das zur selben Glaubensgemeinschaft gehört, als ihre Schutzmacht.

    Aber auch die religiösen Spannungen zwischen Sunniten und Schiitien nehmen im Libanon zu. Dadurch wird das Land tief gespalten. Houssam ist Schiit und im sunnitischen Stadtteil Bab al-Tebbaneh aufgewachsen. Bis jetzt war das kein Problem, doch nun hat er über Nacht seine Existenzgrundlage verloren:

    "Ich wurde am späten Abend, gegen halb Zwölf, angerufen, weil mein Laden brannte. Ich bin sofort hingefahren. Alles stand in Flammen. Es ist neu hier in Tripoli, dass es Brandanschläge auf die Läden von Schiiten gibt. Bis jetzt habe ich mich nie als Fremder gefühlt."

    Kurz nach dem Einmarsch der libanesischen Armee Anfang Juni, wurden die ersten Fälle von Brandstiftungen in Tripoli gemeldet. Zuerst waren es Läden von Aleviten, dann Geschäfte von Schiiten, inzwischen sind auch sunnitische Räumlichkeiten betroffen. Auch wenn das Assad-Regime an den Konflikten im Libanon interessiert ist, weil damit vom eigenen Land ablenken kann, ist der Bürgerkrieg in Syrien nicht die Ursache für den religiösen Konflikt im zwischen Sunniten und Schiiten.

    Schon 2005 hat sich der Zedernstaat in zwei politische Lager gespalten: die "Bewegung des 14. März", die pro-westlich und anti-syrisch ausgerichtet ist, während die "Bewegung des 8. März" pro-syrisch ist und den Widerstand gegen Israel propagiert. Die bisher nur rhetorisch geführte Auseinandersetzung könnte jederzeit eskalieren, meinen Experten. Für die Christen im Libanon wird die Lage immer mehr zu einer Herausforderung, glaubt Jonas Weiß-Lange, der die evangelische Gemeinde in Beirut leitet:

    "Was für mich als Pfarrer natürlich das größte Problem dabei ist, dass Christen auf beiden Seiten sind und dass die Loyalität zu der ein oder anderen Seite – hier wird das immer nach dem 14. oder 8. März aufgeteilt – dass diese Loyalität quer durch Gemeinden geht, sogar durch einzelne Familien."

    Solange aber der Bürgerkrieg in Syrien andauert, werden auch die religiösen Spannungen im Libanon anhalten. Sheikh Zakaria plädiert daher für ein rasches Handeln im Nachbarland Syrien:

    "Wir bevorzugen eine friedliche Lösung, um das syrische Regime in die Schranken zu weisen oder es auf politischem Wege zu stürzen. Wenn ein Sturz jedoch nur militärisch herbeizuführen ist, sind wir für eine militärische Intervention durch arabische Staaten. Sollten diese die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft brauchen, wären wir auch damit einverstanden. Wir brauchen wieder Ruhe in der Region."