Die Kritik von Gina Lückenkemper nach der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Eugene hatte es in sich: „Das kommt davon, wenn man Halbprofis gegen Vollprofis antreten lässt“, schrieb die Top-Sprinterin auf Instagram nach dem enttäuschenden Auftritt der deutschen Athleten und Athletinnen, die nur zwei Medaillen holen konnten. Und ein paar Tage später legte sie im Gespräch mit dem Bezahlsender Sky nach:
"Diese ganze Negativität, die den Athleten da entgegengeschlagen ist, fand ich nicht okay, weil es teilweise so klang, als hätten sich die Athleten auch keine Mühe gegeben. Und wenn man dann mal in Relation setzt, woher unsere Athleten kommen, und was die sonst noch alles tun müssen und wie sie sich den Arsch aufreißen, um gegen die ganzen Vollprofis bestehen zu können, finde ich, man sollte eher vor den Athleten den Hut ziehen, statt nur über sie her zu ziehen."
Kaum finanzielle Sicherheit, deshalb wenig Medaillen
Auch wenn sich das Bild durch die Medaillen bei der Europameisterschaft in München etwas verändert hat, bleibt die Kritik: Zu wenig Unterstützung, kaum finanzielle Sicherheit, und deshalb wenig Medaillen. Ein Argument, dem auch Lückenkempers Sprinterkollegin Christina Hering etwas abgewinnen kann.
"Das große Problem ist, dass häufig die Sicherheit fehlt, vor allem die langfristige Planung. Weil man wirklich jedes Jahr seine Leistung bringen muss, um eben nicht durch dieses Netz zu fallen und aus der Förderung ganz schnell wieder draußen zu sein. Und ich glaube auch, dass es vielen Sportlern deshalb schwerfällt, sich ganz auf den Leistungssport zu konzentrieren, weil man eben gewappnet sein möchte."
Kritik an deutscher Sportförderung
Die Sportförderung in Deutschland steht schon seit längere Zeit in der Kritik. Einige Spitzenathleten und Spitzenathletinnen sind bei der Polizei oder als Sportsoldat oder -Soldatinnen bei der Bundeswehr angestellt und beziehen ein fixes Gehalt. Andere wiederum sind auf private Sponsoren angewiesen und auf die Unterstützung der deutschen Sporthilfe.
Da dies häufig nicht zum Leben reicht, müssen sie trotz mehrerer Trainingseinheiten am Tag häufig nebenher arbeiten – und international trotzdem Medaillen abräumen. Eine doppelte Belastung, die nicht immer leicht ist.
"Was wir im Austausch mit Athleten gehört haben, ist dass diese Frage, inwiefern gelte ich als Profi oder inwiefern stülpt man mir diesen Amateurstatus über, erwartet aber von mir Verhalten wie ein Vollprofi, dass das durchaus Konfliktpotenzial in so etwas wie Rollenidentität birgt", sagt Maximilian Seltmann.
Er leitet an der Sporthochschule Köln zusammen mit Partnern aus vier europäischen Ländern das Projekt „Employs“ zu Anstellungsverhältnissen im europäischen Spitzensport.
Recht auf Mindesteinkommen, Selbstvermarktung, Gesundheitsschutz
Aus Gesprächen mit Sportlerinnen und Sportlern sowie auf Basis von Arbeitsrechtsbestimmungen haben Seltmann und sein Team 27 Prinzipien der „Good Governance“ im Sport entwickelt. "Good Governance für Athleten bedeutet, dass sie grundlegende Rechte, dass sie die erfüllt brauchen, um eine sichere und zukunftsträchtige Karriere im Leistungssport zu ermöglichen."
Zu diesen 27 Prinzipien zählen etwa ein ausgehandelter Vertrag, wie er im Profifußball bereits Standard ist, ein Mindesteinkommen, das die Grundbedürfnisse der Sportler und Sportlerinnen abdeckt, das Recht auf Selbstvermarktung über Sponsoren, ein gesetzlich festgelegter Gesundheitsschutz oder auch Möglichkeit der Mitsprache innerhalb der Verbände.
"Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Prinzipien zu erfüllen. In Deutschland zum Beispiel, wenn man Bundeswehrathlet ist, hat man aus dieser Perspektive, zum Beispiel wenn man in Sachen Sozialversicherung schaut, relativ viele Prinzipien erfüllt. Es gibt aber auch andere Wege in anderen Ländern, diese Prinzipien zu erfüllen."
Bewusstsein entwickeln, dass Sportler Arbeit verrichten
Mit den Sportlerinnen und Sportlern ordentlich umgehen, sie fair bezahlen und Sicherheit geben. Auch für den Verein Athleten Deutschland, der die Athleten und Athletinnen im deutschen Sport vertritt, ist das ein wichtiges Anliegen, erklärt Geschäftsführer Johannes Herber:
"Das ist etwas, woran wir bei Athleten Deutschland arbeiten. Und überhaupt erstmal dieses Bewusstsein zu schaffen, dass hier eine Arbeit auch verrichtet wird von den Athletinnen und Athleten, die auch einen Gegenwert hat, die entsprechend auch honoriert werden muss und für die man auch den nötigen rechtlichen Rahmen schaffen muss."
Sprinterin Christina Hering ist Sportsoldatin und kann über sich so auf ihren Sport konzentrieren. Aber auch ein anderer Weg könne zum Erfolg führen: "Im Laufen und in der Leichtathletik sieht man international, dass sich dann eher so Profiteams bilden, die sich dann einfach von verschiedenen Sponsoren getragen werden. Man kann dazu stehen, wie man will. Aber ich denke, dass es sich in diese Richtung entwickeln muss, weil sonst sind wir nicht mehr in der Lage, da mitzuhalten."
Wie die Länder in Europa mit ihren Athleten und Athletinnen umgehen und wie die 27 Prinzipien in den europäischen Ländern am besten umgesetzt werden können, untersuchen Maximilian Seltmann und sein Forscherteam in der nächsten Stufe ihrer Studie. Ende des Jahres möchten sie die Ergebnisse dieser Auswertung präsentieren.