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Angezündetes Flüchtlingsheim
"Das hat schon eine eigene Qualität"

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl verzeichnet mehr Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte. Im Jahr 2014 habe es so viele gegeben wie in den zwei Jahren davor zusammengenommen, sagte der Europareferent von Pro Asyl, Karl Kopp, im DLF. Die Vorfälle in Tröglitz in Sachsen-Anhalt hätten eine besondere Qualität - trotzdem: "Tröglitz ist nicht überall."

Karl Kopp im Gespräch mit Christine Heuer |
    Luftbild des ausgebrannten Dachstuhls.
    Blick auf das Haus mit dem ausgebrannten Dachstuhl in Tröglitz. (dpa / Hendrik Schmidt)
    Kopp begründet das mit der "Gemengelage in Tröglitz". Dort war der ehrenamtliche Bürgermeister Markus Nierth zurückgetreten, weil er sich in seinem Engagement für Flüchtlinge und im Kampf gegen Rechtsextreme von den Behörden nicht ausreichend unterstützt sah. "Das hat schon eine eigene Qualität", sagte Kopp im Deutschlandfunk.
    Insgesamt sei die Zahl rassistischer Angriffe deutschlandweit deutlich angestiegen: 2014 habe es über 150 Angriffe gegeben, so viele wie die zwei Jahre davor zusammengenommen. "Das zeigt: Es ist was passiert", so Kopp. Pegida und der rechtspopulistische Diskurs insgesamt begünstigten dies.
    Was die Brandstiftung im geplanten Flüchtlingsheim in Tröglitz angeht, spricht Kopp von einem Angriff mit Ansage - und er frage sich: "Ist die Polizei in der Lage, dort diese Flüchtlinge, die dann kommen sollen, zu schützen?" Das sehe er momentan nicht gewährleistet.
    Heute gebe es mehr Menschen und "hoffentlich auch die Polizei", die sich schützend vor Flüchtlinge und deren Häuser stellen, sagte Kopp. In den 90er-Jahren habe man noch "Volksfeste" gefeiert, bevor die Gebäude angezündet worden; das habe sich geändert.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Nach dem Brandanschlag auf die geplante Asylbewerberunterkunft in Tröglitz in Sachsen-Anhalt wächst die Sorge vor einer bundesweit zunehmenden Fremdenfeindlichkeit. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD Eva Högel sagte der „Rheinischen Post", sie habe Sorge, dass die Stimmung in Deutschland wie Anfang der 1990er-Jahre kippen könnte. Meine Kollegin Christine Heuer hat gestern Abend mit Karl Kopp gesprochen, er ist Europabeauftragter der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl.
    Christine Heuer: Stimmt es - ist Tröglitz überall?
    Karl Kopp: Nein, Tröglitz ist nicht überall. Es gibt überall die Gefahr von Brandanschlägen, ja, in ganz Deutschland, wir haben einen massiven Anstieg, aber die Gemengelage in Tröglitz war jetzt noch mal eine andere, dass zum Beispiel ein Bürgermeister zurücktrat, weil er sich überhaupt nicht unterstützt fand, weder von der Bevölkerung, noch von den Behörden, noch von der Polizei. Das hat schon eine eigene Qualität.
    Heuer: Eine eigene Qualität, die besonders in Ostdeutschland zu Hause ist oder auch in Bayern, wie eine Langzeitbeobachtung der Uni Leipzig nahelegt?
    Kopp: Es ist so, dass wir in der ganzen Fläche rassistische Angriffe haben, die steigen an, die Zahl steigt. 2014 gab es über 150 Angriffe. Das waren so viele wie die Jahre davor, die zwei Jahre davor. Das zeigt: Es ist was passiert. Wir haben Pegida, wir haben einen rechtspopulistischen Diskurs in bestimmten Ecken, und das bedient diese Ressentiments. Und in diesem Windschatten finden auch die flüchtlingsfeindlichen und rassistischen Debatten und zum Teil Gewalttaten statt. Das heißt, wir haben es auf der Fläche, aber es gibt zeitgleich auch ein wahnsinniges zivilgesellschaftliches Engagement. Wir haben auch auf der ganzen Fläche in Deutschland neue Initiativen. In bestimmten Regionen Deutschlands gibt es überproportional viele Angriffe. Das ist zum Teil in bestimmten Teilen Ostdeutschlands - das ist statistisch einfach objektiv nachweisbar.
    "Altlasten aus den frühen 90er-Jahren"
    Heuer: Woran liegt denn das?
    Kopp: Ich denke, dass wir auch Versäumnisse der letzten 20 Jahre haben, auch auf der Fläche, im Osten wie im Westen, also denken Sie nur an die frühen 90er-Jahre, Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen. Damals hat man zum Teil, die Polizei hat zum Teil fraternisiert mit den Angreifern, das war sehr stark im Osten, aber auch zum Teil im Westen. Wir haben den NSU-Skandal, diese Morde an Migrantinnen und Migranten, die jahrelang nicht aufgeklärt wurden, wo auch Geheimdienste eine sehr dubiose Rolle spielen oder der Verfassungsschutz, wo man sich fragt: In welchem Land leben wir? Es ist natürlich wichtig, dass diese Mordserie lückenlos aufgeklärt wird. Und ich denke, wir haben noch diese Altlasten aus diesen frühen 90er-Jahren, die auch in bestimmten Teilen, beispielsweise Sachsen-Anhalt, dazu führen, dass eine rechte Subkultur dominiert in bestimmten Regionen. Man muss einfach sagen: In Tröglitz ist es halt eine Minderheit, die sich für Flüchtlinge einsetzt, und eine schweigende Mehrheit, die auch dazu geführt hat, dass beispielsweise der ehrenamtliche Bürgermeister kapituliert hat vor einigen Wochen.
    Heuer: Nun sagt man ja in Tröglitz, wir lassen uns nicht unterkriegen, wir bringen trotzdem Flüchtlinge in unserem Ort unter, vielleicht erst einmal weniger als geplant. Darf man Flüchtlinge, Herr Kopp, dort unterbringen, wo man sie am wenigsten leiden kann?
    Kopp: Es hat ein Angriff mit Ansage stattgefunden, und ich frage mich halt: Ist die Polizei in der Lage, dort diese Flüchtlinge, die dann kommen sollen, zu schützen? Momentan sehe ich das nicht gewährleistet.
    "Wegschauen muss ein Ende haben"
    Heuer: Ja, Sie haben Zweifel. Aber wenn die Flüchtlinge nicht nach Tröglitz kommen, dann funktioniert ja dieser gelebte Fremdenhass, dann geht dort keiner hin, wo Heime angezündet werden.
    Kopp: Wir wollen diese Argumentationskette natürlich unterbrechen, ja, weil wir das in den 90er-Jahren erlebt haben, wie Flüchtlinge evakuiert werden mussten, beispielsweise in Hoyerswerda. Der Unterschied zu den 90er-Jahren ist, dass man heute vielleicht nicht drei Tage lang ein Volksfest vor dem Flüchtlingswohnheim, bevor man es niederbrennt, feiern kann, sondern dass es mehr Menschen gibt und hoffentlich auch die Polizei, die schützend eingreift. Das war in den 90er-Jahren nicht gewährleistet, in den frühen 90er-Jahren, das war fatal. Wegschauen muss ein Ende haben. Wir haben viele Meldungen von Schutzsuchenden, von Flüchtlingen, die Opfer von rassistischer Gewalt wurden, wo die Polizei zu spät gekommen ist, zu lange gebraucht hat. All diese Mechanismen müssen unterbrochen werden, und da hilft uns vielleicht dieses wirklich dramatische Beispiel von Tröglitz und anderswo, endlich innezuhalten und den entschlossenen Kampf gegen die rassistische Gewalt zu führen.
    Heuer: Ja, ein entschlossener Kampf, der hätte ja nun schon geraume Zeit geführt werden müssen. Sie haben Hoyerswerda, Lichtenhagen, Mölln, Solingen erwähnt, Sie haben auch erwähnt, dass fremdenfeindliche Aktionen wieder sprunghaft ansteigen. Was hat die Politik denn versäumt in den letzten 25 Jahren und dann ganz akut vielleicht auch in den letzten ein, zwei Jahren?
    Kopp: Man muss Unterbringung von Schutzsuchenden, von Menschen muss man besser planen, besser vorbereiten. Das ist in einigen Kommunen völlig falsch gelaufen. In Tröglitz gab es sogar eine Informationsveranstaltung, man hat sehr lange darum gerungen, und man hat diesen Menschen nicht entschlossen geholfen.
    Kaess: Die Meinung von Karl Kopp, er ist Europabeauftragter der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. Die Fragen stellte meine Kollegin Christine Heuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.