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Angleichung der Renten
"Eine faire Lösung" für Arbeitnehmer in Ost und West

Die Spitzen der Großen Koalition haben sich auf Eckpunkte einer Rentenreform geeinigt - unter anderem auf eine Angleichung der Ostrenten ans Westniveau bis 2025. Alle müssten sich auf längere Arbeitszeiten einstellen, sagte der CDU-Politiker Jens Spahn im DLF - und denkt an einen Monat Mehrarbeit pro Jahr, auch nach 2030.

Jens Spahn im Gespräch mit Bettina Klein |
    Der CDU-Rentenexperte Jens Spahn
    Der CDU-Rentenexperte und Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Jens Spahn (dpa/Karlheinz Schindler)
    Darüber hinaus brauche es zwei weitere Dinge, um sich auf die Alterung der Bevölkerung in Deutschland vorzubereiten, meinte Spahn: steigende Rentenbeiträge und ein sinkendes Rentenniveau. Letzteres bedeute aber keineswegs, dass die Renten tatsächlich sinken, sondern dass sie nur weniger stark steigen würden, so der CDU-Politiker.
    Die dem Vernehmen nach am Abend vereinbarte Angleichung der Ostrenten an das Westniveau nannte der CDU-Politiker eine gute Nachricht – unter anderem deshalb, weil sie eine faire Lösung für Arbeitnehmer in Ost und West darstelle. Der Grund: Mit der Erhöhung der Ostrenten wird die Höherbewertung der ostdeutschen Löhne und Gehälter in der Rentenversicherung zurückgestuft.
    Kritik der Opposition
    In der Opposition stießen die Ergebnisse des Rentengipfels auf Kritik. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte der Deutschen Presse-Agentur, es sei nun klar geworden, dass die Koalition alle wirklichen Reformschritte hin zu einer armutsfesten Rente beerdigt habe. FDP-Chef Christian Lindner meinte, Union und SPD hätten sich auf das Einzige verständigt, was sie verbinde, nämlich Mehrausgaben. Lob kam dagegen von Arbeitgeberseite. Gesamtmetall-Geschäftsführer Zander sagte, es sei bemerkenswert, wie die Koalition dem Populismus trotze und versuche, Ruhe in das komplizierte Thema Rente zu bringen. Er lobte insbesondere die Pläne zur Stärkung der Betriebsrente.

    Das vollständige Interview:
    Am Telefon ist Jens Spahn (CDU). Er ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Guten Morgen, Herr Spahn.
    Jens Spahn: Schönen guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Gehen wir mal ein paar Punkte durch und beginnen wir mit der Ankündigung, die sich heute Morgen so als Erfolgsschlagzeile liest: "Angleichung des Rentenniveaus zwischen Ost und West bis 2025." Im Koalitionsvertrag war die Rede von 2020, also fünf Jahre früher. Das heißt, eine wirklich gute Nachricht für die Rentner in Ostdeutschland ist das ja nicht, oder doch?
    Spahn: Klar ist das eine gute Nachricht, dass wir jetzt schrittweise die Angleichung der Systeme zwischen West und Ost nach dann über 30 Jahren haben werden. Gleichwohl ist das eine schwierige Operation, weil zum einen werden die Ostrentner dann gleichgestellt auf das Niveau der Westrente. Aber gleichzeitig geht es im Moment um einen Beitrag, der im Osten gezahlt wird, 14 Prozent mehr als einer, der im Westen gezahlt wird. Das wird parallel enden müssen natürlich, wenn Sie dann beide Systeme zusammenführen und es auch fair sein soll gegenüber den Arbeitern im Westen, den Beitragszahlern im Westen. So dass das schon was ist, was man schrittweise tun sollte, damit sich alle darauf einstellen können.
    Klein: Aber wir halten noch mal fest: Da konnte ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag nicht gehalten werden.
    Spahn: Das Versprechen im Koalitionsvertrag, das Entscheidende war, dass wir in dieser Legislatur aufzeigen, wie wir schrittweise zu dieser Angleichung kommen. Es dauert jetzt ein Stück länger, das stimmt. Aber am Ende geht es hier um fast vier Milliarden Euro. Es ist, glaube ich, auch fair gegenüber allen Beteiligten, auch denen, die es bezahlen müssen, das über mehrere Schritte zu verteilen. Und wie gesagt: Es ist auch fair gegenüber den Jüngeren im Osten, dass sie sich darauf einstellen können, dass ihr Beitrag in Zukunft genauso viel und damit weniger wert ist wie der im Westen.
    "System mit zwei Haltelinien"
    Klein: Um das ganz große Problem, Herr Spahn, ging es wohl gestern Abend gar nicht, oder zumindest ist da keine Einigung erzielt worden, nämlich wie insgesamt das befürchtete Absinken des Rentenniveaus in den nächsten Jahrzehnten verhindert werden kann, ohne dass die Beiträge ins Unermessliche steigen. Viele Stellschrauben gibt es nicht. Gibt es eine Linie in der Koalition, oder gehen da beide Seiten schon getrennte Wege?
    Spahn: Zum ersten Mal haben wir bis 2030 ein System, das mit zwei Haltelinien arbeitet. Der Beitragssatz darf nicht zu stark steigen, weil wir sonst die Arbeiter und Angestellten überfordern. Und wir haben ein Mindest-Sicherungsniveau von 43 Prozent bis 2030. Wir werden übrigens wahrscheinlich eher bei 45 Prozent landen, weil die Wirtschaft gerade so gut läuft.
    Ich will nur eins sagen: Sinkendes Rentenniveau heißt nicht, dass die Renten sinken. Das ist leider eine missverständliche Kiste immer. Das merke ich in vielen Diskussionen. Es heißt, dass die Renten weniger stark steigen. Das ist immer sehr, sehr schwer zu erklären. Die Renten steigen auch in Zukunft. Eine Rente in 2030 wird nominal wie real deutlich mehr wert sein als heute. Einige Prognosen rechnen mit 40 Prozent mehr, weil auch die Löhne entsprechend steigen. Aber sie steigen weniger stark, als sie in der Vergangenheit gestiegen wären. Und das ist der Beitrag der Älteren dafür, dass dieses Land einfach älter wird. Wir leben immer länger, wir bekommen immer länger Rente. Und dann muss man natürlich diese Rente sozusagen auch ein Stück über eine längere Lebenszeit verteilen.
    Klein: Aber das Grundproblem, Herr Spahn, bleibt doch bestehen, dass in Zukunft immer mehr Menschen Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung bekommen werden bei sinkenden Bürgern, die einzahlen. Das ist einfach der demographischen Entwicklung geschuldet. Und dieses Problem ist ungelöst.
    Spahn: Und das Thema, das eigentliche Thema kommt noch mal nach 2030. Wir hatten in den 1960er-Jahren sehr viele Geburten, die Babyboomer nennt sich das, 1964 etwa 1,4 Millionen Geburten. Das ist die höchste Zahl jemals. Und die gehen eben in den 2030er-Jahren in Rente. Und es kommen gleichzeitig jedes Jahr aus den Schulen nur halb so viele nach. Es werden im Moment nur knapp 700.000 Kinder geboren. Das heißt, es ist wirklich so: Nur halb so viele kommen auf den Arbeitsmarkt, um Beiträge zu zahlen, wie in Rente gehen. Auf diese Zeit, auf diese Alterung Deutschlands in den 2030er-Jahren, auf die müssen wir uns tatsächlich und vor allem das Rentensystem noch vorbereiten. Aber das sollten wir jetzt nicht als Schnellschuss machen. Das sollten wir auch nicht machen, indem wir Milliarden Versprechen ins Schaufenster stellen, wo am Ende ja immer irgendjemand bezahlen muss und die wir wahrscheinlich nicht werden halten können. Das produziert nur Enttäuschungen. Dafür braucht es zum Beispiel, wäre mein Vorschlag, eine Kommission, die sich das einfach noch mal in Ruhe anschaut, weil die 70-Jährigen von 2035, die sind ja schon geboren.
    Klein: Herr Spahn, vom Schnellschuss kann vielleicht auch nicht die Rede sein bei einem Problem, über das wir seit ungefähr 25 Jahren diskutieren. Mir ist nach der Ausbildung schon empfohlen worden, gehen Sie raus aus der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn Sie können, das befindet sich auf der schiefen Ebene. Das war damals noch eine Minderheitenmeinung. Heute weiß man um die Probleme und benennt sie auch, nur gelöst ist es ja nicht.
    Spahn: Aber, Frau Klein, Sie müssen schon sehen: Wir haben in den letzten 15 Jahren Rentenreformen in Deutschland gemacht, Anfang dieses Jahrhunderts, die wirklich immer die Perspektive bis 2030 gehabt haben. Und andere europäische Länder beneiden uns darum, dass wir diesen Dreiklang geschafft haben aus 'Die einen, die Jüngeren zahlen etwas höhere Beiträge - die Älteren verzichten auf Rentensteigerung, auf einen Teil der Rentensteigerung, auch schon in der Vergangenheit'. Und wir gehen schrittweise auf Rente mit 67 bis 2030. Also wir haben das System - das sagen auch alle, selbst die Professoren, die sonst eher kritisch damit umgehen -, bei den Rentenreformen, die wir bisher gemacht haben, sind wir im internationalen Vergleich ziemlich gut. Kaum ein Rentensystem ist so sehr auf die Alterung vorbereitet wie das deutsche.
    "Wir werden länger arbeiten müssen"
    Klein: Soweit die gute Nachricht. Die schlechte ist, das Problem ist noch nicht gelöst. Ich habe es gerade schon angedeutet: Es gibt nicht sehr viele Stellschrauben. Es gibt die Möglichkeit, die Renten sinken oder die Beiträge steigen. Und dann gibt es noch die Möglichkeit, es wird aus den Steuermitteln zugeschustert, oder aber die Beitragsbemessung wird erweitert. Das heißt, es werden auch Unternehmer und Selbständige quasi gezwungen, auch in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Was, auf einen Nenner gebracht, Herr Spahn, ist im Augenblick da die Linie der Union?
    Spahn: Es braucht im Grunde einen Mix aus drei Dingen aus meiner Sicht. Zum einen werden natürlich die Beiträge auch in Zukunft wieder weiter steigen. Im Moment läuft es ja ganz gut, wir haben viele Beschäftigte, da sind die Beiträge relativ niedriger als geplant. Aber sie werden steigen. Wir müssen parallel weiter machen bei der Frage, dass die Renten nicht so stark steigen wie die Löhne. Das Rentenniveau wird weiter leicht sinken. Aber das heißt, in Zukunft weiter steigende Renten. Und wir werden länger arbeiten müssen. Wenn wir jeden Tag sechs Stunden länger leben, dann werden wir zumindest mal ein, zwei Stunden von diesen sechs Stunden noch arbeiten müssen, um die anderen zu finanzieren. Jedes zweite heute geborene Mädchen wird 100 Jahre alt werden. Da ist schon die Frage, zwischen 67 und 100 muss da noch eine ganze Zeit finanziert werden.
    Klein: Bis 85 dann arbeiten?
    Spahn: Nein, darum geht es nicht, bis 85. Es geht auch nicht um Schreckensmeldungen. Sie müssen doch mal schauen: 70 Prozent der 70-Jährigen sagen, sie fühlen sich wie 50. Es gibt immer mehr Ältere, die wollen gerne auch länger arbeiten, vielleicht nicht mehr Vollzeit. Wir sollten nicht immer aus dem Jahr 2016 heraus darüber diskutieren, wie es uns mit 67 im Jahr 2030 geht. Wir sehen heute schon, dass deutlich mehr Ältere deutlich fitter sind. Und der, der mit 55 kaputt gearbeitet ist, der Dachdecker, wie man bei uns im Münsterland sagt, der Dachdecker zum Beispiel oder der Maurermeister, der braucht die Erwerbsminderungsrente. Der kommt ja weder bis 63, noch bis 67. Deswegen war die Einigung von letzter Nacht auch wichtig, dass wir bei der Erwerbsminderungsrente eine Verbesserung machen.
    Worum es mir nur geht: Wir brauchen einen Dreiklang. Einen Teil müssen die Arbeiter und Angestellten mehr bezahlen. Einen Teil müssen Rentner auf Steigerungen verzichten. Und wir müssen ein Stückchen länger arbeiten. Wenn wir den Dreiklang machen, dann kommen wir auch über die Alterung in den 30er-Jahren gut hinweg.
    Klein: Punkt Nummer vier haben Sie jetzt nicht genannt, nämlich dass auch die Arbeitgeber wieder paritätisch einbezogen werden müssen. Denn das ist, was zum Beispiel der DGB ja fordert.
    Spahn: Die Arbeitgeber sind bei der Rentenversicherung paritätisch in der gesetzlichen Rentenversicherung mit beteiligt.
    Klein: Beteiligt, aber nicht mehr paritätisch.
    Spahn: Doch, paritätisch natürlich bei den Beiträgen. Das Thema der Gewerkschaften ist - und darüber muss man natürlich oder kann man diskutieren - betriebliche und private Vorsorge. Bei der privaten Vorsorge zahle ich natürlich erst mal alleine. Deswegen sagen wir ja sehr stark, wollen wir die betriebliche Vorsorge auch noch in dieser Legislatur in den nächsten Monaten stärken. Da können und sollen sich auch Arbeitgeber beteiligen. Wir haben sehr gute betriebliche Vorsorge bei den großen Unternehmen, bei den Automobilherstellern, im Metallbereich. Wo wir schlecht sind, ist bei den kleinen Unternehmen, wo, ich sage mal, ein Familienteil die Abrechnung macht, im Handwerksbetrieb mit fünf Leuten, oder im Dienstleistungsbereich, Gebäudereinigung, Gastronomie. Da gibt es sehr, sehr wenige betriebliche Altersvorsorge-Konzepte, und da wollen wir besser werden, und da wollen wir natürlich auch die Arbeitgeber im Boot haben.
    "Anreize, freiwillig länger zu arbeiten"
    Klein: Legen Sie sich denn fest heute Morgen, Herr Spahn, bei uns im Deutschlandfunk auf eine Zahl, was angeht, wie lange man in Zukunft arbeiten muss? Wir haben es ja gerade angerissen, aber ich habe noch nicht ganz genau gehört, was die Grenze für die CDU wäre, was das neue Renteneintrittsalter angeht.
    Spahn: Wir gehen jetzt schrittweise auf 67. Wir machen parallel gerade die Flexirente, setzen also Anreize, freiwillig länger zu arbeiten. Wir werden uns alle wundern, wie viele das in den nächsten Jahren machen werden. Und ich kann mir vorstellen, dass wir das, was wir bis 2030 machen, im Moment pro Jahr einen Monat länger arbeiten, dass man das anschließend auch fortsetzt, dass man das schrittweise das weiter aufwachsen lässt.
    Klein: Unter dem Strich, Herr Spahn, wir gehen auf die Nachrichten zu: Frau Nahles wird heute ihr Konzept vorstellen. Ist das komplett in allen Punkten mit der Union abgestimmt, oder beginnt in der Tat das, ich habe es vorhin angedeutet, was man erwarten kann, dass jetzt ein Rentenwahlkampf beginnt, weil SPD und Union da verschiedene Wege beschreiten?
    Spahn: Natürlich wird es im Wahlkampf auch Unterschiede zwischen SPD und CDU/CSU in der Rente, in der Rentendebatte geben. Ich kenne nicht alle Details dessen, was Frau Nahles heute vorstellen wird als Ressortministerin für Rente.
    Klein: Das ist gar nicht mit Ihnen abgestimmt in allen Einzelheiten, mit der CDU, oder wie?
    Spahn: Nicht in allen Einzelheiten, nein. Die Teile, die jetzt gestern geeinigt wurden, offensichtlich ja. Aber das, was nach 2030 passiert, ist natürlich jetzt auch Teil der politischen Debatte in den nächsten Monaten. Aber so, wie ich Frau Nahles kenne - ich sage immer, wenn wir beide eine Rentenreform machen sollten, wir wären nach fünf Minuten fertig -, hat sie einen sehr vernünftigen Blick auf die Dinge, weil am Ende ein Blick in die Zahlen, in die Faktenlage, in die Alterung für die Zeit nach 2030 am Ende ja auch erdet. Man sieht einfach am Ende, was in Deutschland passiert. Wir werden auch immer älter. Am Ende muss alles auch bezahlt werden von denjenigen, die arbeiten, und das werden im Zweifel nicht mehr. Deswegen bin ich gespannt darauf.
    Klein: Genau. Herr Spahn, die Diskussion wird fortgesetzt.
    Spahn: Ich bin einfach nur gespannt darauf, ob es jetzt …
    Klein: Die Diskussion wird fortgesetzt auch im Deutschlandfunk. Wir gehen auf die Nachrichten zu, und wir danken an dieser Stelle Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, zur Frage der Rentenreform. Danke, Herr Spahn.
    Spahn: Sehr gerne. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.