Nirgendwo werden Journalisten so oft attackiert wie bei Demos gegen Corona-Maßnahmen. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) beobachtet diese Veranstaltungen deswegen schon seit Beginn der Pandemie genau. Als ihr Kontaktmann ist Jörg Reichel, Geschäftsführer des Berliner Landesverbands, in den vergangenen Monaten regelmäßig auf Protestveranstaltungen dabei gewesen, um Pressevertreterinnen zu unterstützen und Übergriffe zu verhindern.
Gewerkschafter kam verletzt ins Krankenhaus
Nun ist er selbst zum Opfer von Gewalt geworden. Als am Sonntag,dem 1. August, in Berlin Mensche gegen die Corona-Maßnahmen demonstrierten, obwohl die Demozüge des Bündnisses "Querdenken" zuvor verboten worden waren, war Reichel vor Ort. Der Gewerkschaftsvertreter wurde attackiert und so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus gebracht werden musste. Laut "Tagesspiegel" war er vom Fahrrad gezerrt, geschlagen und getreten worden.
Es gehe ihm den Umständen entsprechend, sagte Renate Gensch, Vorsitzende der dju Berlin, im Dlf, "aber das hat ihn schon angefasst, mit welcher Brutalität da gegen ihn vorgegangen worden ist." Ein Autofahrer und zwei weitere Passanten hätten eingegriffen und Schlimmeres verhindert. Die Täter seien noch nicht bekannt, es gebe aber wohl Fotos von dem Vorfall, die Hinweise liefern könnten.
Bundesregierung verurteilt den Vorfall
Wie epd berichtet, ermittelt die Berliner Polizei inzwischen wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und versuchten Diebstahls. Die Bundesregierung verurteilte den Vorfall als unverständlich und "Missbrauch des Demonstrationsrechts".
Gensch erklärte, die Situation sei am Sonntag "besonders krass" gewesen, weil "marodierende Banden" durch Berlin marschiert seien. Reichel habe am Anfang eines Demozuges gestanden, wo keine Polizei gewesen sei, und eine 360-Grad-Aufnahme gemacht. Der dju-Geschäftsführer sei bekannt, weil er seit April 2020 unter anderem auf Twitter über Vorfälle auf Demonstrationen berichte.
Mehr als 100 Übergriffe seit Pandemiebeginn
"Man muss leider sagen, dass gerade bei diesen Demonstrationen immer wieder versucht wird, Kolleginnen und Kollegen einzuschüchtern, eben auch durch das Abfilmen und Veröffentlichen in den üblichen Telegramkanälen, und dass dann eben Leute aus der Medienbranche ins Visier solcher Leute geraten", sagte Gensch.
Zwischen April 2020 und Februar 2021 habe ihre Gewerkschaft allein in Berlin 119 Übergriffe auf Journalisten dokumentiert– hauptsächlich von Teilnehmenden von Demonstrationen, meist aus der rechten und "Querdenker"-Szene. Ein Drittel sei von der Polizei ausgegangen, so Gensch. Viele Kollegen hätten sich inzwischen aus der Berichterstattung zurückgezogen.
Inzwischen gebe es Schutzzonen und "Runde Tische" mit Polizei und Gewerkschaft, die Situation sei bei vielen Demonstrationen besser geworden – auch durch den unermüdlichen Einsatz von Reichel, betonte Gensch. Gleichzeitig forderte die Berliner dju-Vorsitzende mehr Unterstützung von der Politik: "Sonntagsreden helfen uns nicht weiter, sondern wir brauchen wirklich Hilfe vor Ort, dass wir unterstützt und geschützt werden."