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Angriff auf Journalistin in Russland
Nur die Tat eines Irren?

Die kremlkritische Journalistin Tatjana Felgenhauer ist bei einem Messerangriff in ihrer Redaktion schwer verletzt worden. Noch ist ungeklärt, ob die Tat politisch motiviert war oder von einem Geisteskranken ausgeübt wurde. Die kremlkritische Zeitung "Nowaja Gazeta" trifft nun Sicherheitsmaßnahmen.

Von Herrmann Krause |
    Kameraleute stehen in den Räumen von Echo Moskwi vor einem Plakat mit einem Bild von Tatjana Felgenhauer
    Kameraleute stehen in den Räumen von Echo Moskwi vor einem Plakat mit einem Bild von Tatjana Felgenhauer (AFP/Vasily Maximov)
    Sie gehört zu den Stimmen des Radiosenders Echo Moskwy, Tatjana Felgenhauer. Immer scharfzüngig, intelligent, bestens informiert, in ihren politischen Analysen geradeheraus, aber dennoch voller Humor und auch Selbstironie, so kennt man die Frühmoderatorin.
    Gerade aus dem Koma erwacht schrieb sie in ihrem Blog aus dem Krankenhaus: "Zum ersten Mal in meiner Zeit beim Radio kann ich ausschlafen!" Aber es waren schwierige Stunden für sie und ihre Kollegen. Der Schrecken steckte dem Chefredakteur von "Echo Moskwy", Alexey Wennediktow noch in den Gliedern als er erklärte: "Der Täter sprühte dem Wachmann unten am Eingang Pfefferspray in die Augen. Dann sprang er über die Schranke, benutzte den Aufzug nach oben, rannte durch den Korridor, an meinen Referenten vorbei in den Raum, wo Tatjana saß. Er wusste ganz genau wie die Büroräume des Senders gelegen sind, daran besteht kein Zweifel."
    Propagandamedien schaffen eine Atmosphäre des Hasses
    Mit einem Messer stach er der stellvertretenden Chefredakteurin in den Hals bevor er überwältig wurde. Tatjana Felgenhauer, die sich mittlerweile auf dem Weg der Besserung befindet, schaffte es tatsächlich noch nach unten zu fahren und zu dem Krankenwagen zu gehen:
    "Diese Atmosphäre des Hasses, die von den Propagandamedien geschaffen wird, gegen alle, die anders denken, vor allem gegen liberale Journalisten kreiert ein ganz besonderes Informationsumfeld. In diesem Umfeld kann man einen "Echo"-Journalisten abstechen," sagt Jewgenija Albaz, die Chefredakteurin von "The New Times", stets Gast bei "Echo Moskwi".
    Täter fühlen sich sicher, weil die Polizei nichts unternimmt
    War es die Tat eines Geisterkranken, der Tatjana seit Monaten im Internet verfolgt oder vielleicht eine gesteuerte Aktion, um wieder einmal eine kremlkritische Stimme auszuschalten? Diese beiden Versionen werden zurzeit diskutiert.
    Dazu der Chefredaketur der ebenfalls kritischen Zeitung "Nowaja Gazeta" Dimitri Muratow: "Nicht der Staat führt diese Angriffe aus. Nicht Beamte haben Nawalny Säure ins Auge gegossen und Tanja in den Hals gestochen. Nein, das waren sie nicht. Aber weil unsere Polizei wenig unternimmt, fühlen sich die Täter sicher. Sie glauben, sie seien unantastbar. Wo sind diejenigen, die wirklich für den Mord an Boris Nemzow verantwortlich sind?"
    "Echo Moskwy"s Haltung zu Putin schafft Freunde und Feinde
    Boris Nemzow war vor zweieinhalb Jahren auf einer Brücke in der Nähe des Kreml ermordet worden; die Hintermänner sind bis heute nicht bekannt, verurteilt wurden Tschetschenen, die aber die Tat abstritten. Oppositionelle und Journalisten, die kritisch über die Machenschaft der Politiker schreiben, leben gefährlich in Russland. "Echo Moskwy" hat eine sehr distanzierte Haltung zu Putin, was viele Stammhörer begeistert, aber genauso gibt Hetztiraden und Morddrohungen hervorruft, die die Redaktion regelmäßig erreichen. Der Oppositionspolitiker Alexey Nawlany macht das staatlich gelenkte Fernsehen mitverantwortlich.
    "Einige Tage vor dem Überfall auf Felgenhauer gab es einen Film über die Journalisten von "Echo", darin wurde erzählt, wie schlimm sie alle sind, und die Tatjana wurde als CIA-Agentin dargestellt. Es ist doch klar - all die Verrückten in unserem Land sehen das und denken: Na um Russland zu verteidigen gegen die CIA muss man sie mit einem Messer erstechen."
    Der Chefredakteur der "Novaja Gazeta" hat nun beschlossen, seine Redaktion, wie er sagt, zu bewaffnen. Er sehe keine andere Möglichkeit, denn der russische Staat schütze auch nach den vielen Journalisten immer noch nicht.