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Angriff mit Hochdruck

Biologie. - Viele bekannte Krankheiten wie zum Beispiel Herpes oder Gürtelrose werden von Viren ausgelöst. Eine besondere Gruppe darunter sind die so genannten Bakteriophagen, die allein Bakterien befallen, um sich in ihnen vermehren. Doch viele Details zu den Vermehrungszyklen der DNS-Fähren und ihren Tricks liegen noch immer im Dunklen. Ein US-amerikanischer Biophysiker konnte jetzt etwas Licht in die Welt der Bakteriophagen und ihrer Geheimnisse werfen.

    Genialität zeigt sich in Schlichtheit und so darf "Phi-29" durchaus als geniales biologisches Konzept betrachtet werden. Denn das Virus besteht gerade einmal aus einem Kopf, in dem es sein Knowhow - das Erbgut - transportiert sowie aus einem Stachel, durch den die DNS nach dem Andocken in die Wirtszelle gelangt. Ist dies geschehen, ist es nur eine Frage von wenigen Minuten, bis die gekaperte und umprogrammierte Zelle so viele neue Viren gebildet hat, dass sie unter dem Druck geradezu birst - der Zyklus beginnt von Neuem. Doch ganz so unkompliziert ist vor allem das Einbringen der Virus-DNS in das Bakterium nicht, ist doch der Bakteriophage wesentlich kleiner als sein Ziel und dessen Membran ein beachtlicher Schutzwall. Biophysiker Carlos Bustamante von der Universität Berkeley in Kalifornien sah sich den kleinen Angreifer daher einmal genauer an und stieß auf einen beachtlichen Druck im Kopf des Virus: zehnmal höher als in einer veritablen Champagner-Flasche: "Das Virus benötigt diesen Druck, um seine DNS durch die Membran in die Zelle zu pressen. Für diesen Prozess nutzt es keinerlei Motor. Vielmehr nutzt es gespeicherte Energie wie bei einer Feder, die man zusammendrückt und dann plötzlich loslässt."

    Die Feder, die diese Energie speichert, ist die DNS selbst. Ein winziger, aber kräftiger molekularer Motor rollt noch während der Virusfertigung in einem Bakterium die Spirale aus Erbgut auf, bis die DNS nur noch gerade ein Sechstausendstel ihres normalen Volumens besitzt. Die nötige Energie dazu liefert - wie könnte es anders sein - die Opferzelle: "Das Virus arbeitet mit bestimmte Enzymen, die Energie aus dem "Zellbenzin" ATP in mechanische Energie umwandeln. So besitzt das Virus an seinem unteren Ende quasi einen kleinen Motor aus sechs Enzymen, die das Erbgut in den Viruskopf ziehen und dabei komprimieren." Die Leistung des Nanomotors bestimmten Carlos Bustamante und seine Mitarbeiter mit einem raffinierten Trick. Zunächst koppelten sie an ein Ende eines DNS-Fadens zwei winzige Glaskugeln, während an das andere Ende ein Phi-29-Virus platziert wurde. Anschließend spannten die Wissenschaftler die Konstruktion in einen besonders feinen Manipulator: eine Zange aus Licht. Dabei fixieren und dirigieren Laserstrahlen kleinste Objekte im Raum, so auch Viruskopf an einem Ende, Glaskugeln an dem anderen.

    "Jetzt beginnt das Tauziehen zwischen uns und dem Virus. Wir verhindern, dass die DNS in den Kopf gezogen wird und messen dabei die Kraft des Virusmotors", berichtet der Biophysiker. In einem anderen Experiment koppelten die Forscher ein längeres DNS-Stück als normal an Phi-29 und warteten: "Als der Motor fünf Prozent mehr Erbsubstanz in den Viren-Kopf gedrückt hatte als vorgesehen, wurde der Druck zu groß. Der Motor geriet ins Stocken." Die so ermittelten Werte sind indes erstaunlich - erst bei einem Druck von 60 Atmosphären, vergleichbar mit dem zehnfachen Druck einer Champagnerflasche, ist also Schluss. Damit reicht die Kraft des Motors exakt aus, um den Viren-Kopf mit seiner eigenen molekularen Bauanleitung zu füllen.

    [Quelle: Jan Lublinski]