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Angriffe auf Asylbewerber
"In einen rassistischen Rausch versetzte Menschen"

Menschen, die Anschläge auf Asylbewerber begehen und sich selbst nicht als rassistisch bezeichnen, leiden nach Ansicht des Extremismusexperten Hajo Funke an einem "Akutverlust von humaner Orientierung". Im Fall des Anschlags in Salzhemmdorf, seien die Verdächtigen in einen "rassistischen Rausch" geraten, sagte er im DLF. Die Hemmschwelle für solche Taten in Deutschland sei gesunken.

Hajo Funke im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der Politikwissenschaftler Hajo Funke.
    Der Politikwissenschaftler Hajo Funke. (picture alliance / dpa / Daniel Naupold)
    Anfang September hat es in der Asylbewerberunterkunft im niedersächsischen Salzhemmendorf gebrannt. Drei Verdächtige sollen einen Molotowcocktail in die Wohnung einer Flüchtlingsfamilie geworfen haben. Mittlerweile gibt es Geständnisse. Aus Sicht von Extremismusforscher Funke haben sich die drei in die Tat hineingesteigert und sich zuvor mit Nazi-Propaganda angefeuert. Es handele sich um einen "Akutverlust von humaner Orientierung". An der steigenden Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsheime sehe man, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handele. "Man kann nicht sagen, das ist zufällig so gekommen", so Funke.
    Die Hemmschwelle in Deutschland sei gesunken. Gruppierungen wie Pegida oder die Partei AfD trügen dazu bei, solche Ressentiments weiter zu entfesseln. Funkes Lösungsvorschlag: Die Sorgen ernst nehmen, aber Hetze nicht zulassen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Sie hören Rechtsrock, pöbeln und schubsen bei Demonstrationen, zündeln auf Facebook und werfen am Ende dann auch schon mal Molotow-Cocktails in Asylunterkünfte. Besorgte Bürger oder schlicht Neonazis? - Offenbar klaffen bei vielen dieser Menschen Selbst- und Fremdbild weit auseinander, wie zum Beispiel bei der Frau, die im August mit zwei Freunden einen Anschlag verübt hat auf ein von Syrern bewohntes Haus im niedersächsischen Salzhemmendorf. Ihre Haltung zur eigenen Tat ist irgendwie verstörend. Im ARD-Talk "Hart aber fair" wurde sie in einem Einspieler mit Sprechern dokumentiert:
    O-Ton Einspieler: "Saskia B. wird später erst mal behaupten, sie hätte nicht mitbekommen, dass Dennis N. und Sascha D. den Molotow-Cocktail zusammenbauen. Irgendwann gibt sie zu, dass sie daneben saß. Sie sagt über sich selber, sie sei nicht rechtsradikal. - Ich will mit diesem ganzen Rassismus-Scheiß und so wirklich nichts zu tun haben. Ich meine, ich halte mich davon fern! - Sie erzählt der Polizei, Dennis L. habe auf der Rückfahrt noch diesen Satz gesagt: Wenn der Neger brennt, dann feiere ich richtig. - Ich kann mich nicht erinnern. Ich kann mir das echt nicht vorstellen, dass ich das gesagt haben soll. - Am Morgen nach der Tat bekommt Saskia B. von ihrer Mutter diese Nachricht: Und was hast Du wieder angestellt? Molotow-Cocktail in Asylbewerberheim geworfen? Neh, neh, neh, neh. - Später wird die Mutter erklären, das sei nicht ernst gemeint gewesen. Ihre Tochter hätte ja nichts gegen Ausländer. - Saskia B. antwortet auf die SMS: Wir haben alle artig Heia gemacht. Aber schad' ja nix."
    "Ein Akutverlust humaner Orientierung"
    Heuer: Extremismus, der sich selbst nicht extremistisch findet. Darüber möchte ich jetzt mit dem Berliner Extremismus-Forscher Hajo Funke sprechen. Guten Morgen!
    Hajo Funke: Guten Morgen.
    Heuer: Herr Funke, bleiben wir zunächst bei dem Phänomen. Wie kann es sein, dass man Mordanschläge auf Flüchtlinge verübt und gleichzeitig nichts gegen Fremde haben will?
    Funke: Ja, das ist ja nicht glaubwürdig. Es war ja so, das ist ja sehr gut rekonstruiert worden, dass sie sich hineingesteigert haben. Sie sind über die hergezogen im Chat. Sie haben "Adolf Hitler, Sieg heil" geschrieben und Hakenkreuze ausgetauscht und haben dann an dem Abend sich betrunken und in einer Art kollektivem Rausch mit Rockliedern der Band "Kategorie C" zugeschlagen, und zwar zu dritt. Dass sie danach im Gefängnis sitzend alles relativieren wollen, das kann man fast verstehen. Aber die Tatsache selbst, dass sie sich zu einer rechtsextremen oder mit Neonazi-Einspielung, Adolf Hitler und dergleichen Szene entwickelt haben in dieser Nacht, ist unbestreitbar, und wenn sie das bestreiten, dann wissen sie nicht, was sie getan haben. Es ist ein Akutverlust humaner Orientierung.
    Heuer: Ist die Hemmschwelle in Deutschland insgesamt gesunken?
    Funke: Ja natürlich! Das sehen wir an den Gewaltzahlen und an den Übergriffen auf Flüchtlinge und Flüchtlingsheime und wir sehen es insbesondere an der Zahl der Brandstiftungen von über 60 in diesem Jahr.
    Heuer: Reden wir über besorgte Bürger, die dann einfach noch ein Schrittchen weitergehen? Verschwimmen da die Grenzen?
    Funke: Nein.
    Heuer: Worüber reden wir dann?
    "Das sind doch keine besorgten Bürger"
    Funke: Über in einen rassistischen Rausch versetzte Menschen. Das ist doch sehr klassisch beschrieben worden. Wir haben es in anderen Situationen ja aufgedeckt. Und auch in Tröglitz, wo es zu einem Brandanschlag kam, war es der örtliche NPDler und der den Brandanschlag verübt hat war ein NPD-Sympathisant. Und in Meißen haben wir es offenkundig, sind wir kurz vor der Ermittlung, auch mit Rechtsorientierten zu tun. Nein, nein! Man kann nicht sagen, das ist rein zufällig so gekommen.
    Heuer: Sie sagen, es gibt Menschen, die steigern sich hinein in einen rassistischen Rausch. Sie erwähnen die NPD. Sind das tatsächlich die Anstifter, die NPD, vielleicht auch andere Parteien oder Bewegungen in Deutschland? Ist das gesteuert, oder passiert das einfach?
    Funke: Weder noch. Es ist natürlich nicht nur von der NPD, aber auch von dieser und dem Dritten Weg und anderen Neonazi-Gruppen gesteuert - da wo es gesteuert worden ist. Zugleich steuert das Chat, indem man sich auf Adolf Hitler einigt. Ich bitte Sie! Das ist doch nicht besorgter Bürger.
    Heuer: Liegt das im Kalkül rechter Parteien, dass sie selber nicht Gewalt ausüben müssen, aber dass sie die Leute so anstiften, dass die irgendwann selber zur Tat schreiten und mit ihnen vielleicht nicht unbedingt direkt in Verbindung gebracht werden können, jedenfalls nicht als Parteimitglieder?
    Funke: Ja natürlich. Das wissen wir von der NPD, die ja auch Sorge hat, dass sie verboten wird, genau auch deswegen. Die Gefahr für sie, wenn man das so sagen soll, ist sehr groß, dass sie verboten wird. Aber es gibt auch die Anstiftung durch das Internet. Wenn man sich das runterlädt und sagt, Adolf Hitler war toll, Sieg heil, Zyklon B und wir verbrennen und dergleichen, dann ist das die Sprache des Unmenschen, die man in einer Art Mischung von Fantasie und Vorbereitung der Tat - das ist ja das Interessante - ausspricht und ausspuckt. Der Rassismus ist Chat.
    "Pegida hat die Ressentiments entfesselt"
    Heuer: Aber nun schreibt das Internet ja nicht selber. Wer steckt denn da dahinter?
    Funke: Die, die sich da geeinigt haben in dieser Gruppe, die sich zur Szene in Salzhemmendorf, zu diesem Mordanschlag verstanden haben. Das sind die drei und das Umfeld, so wie es beschrieben worden ist. Es ist sehr exakt beschrieben worden und deswegen ein sehr wertvolles Dokument und es zeigt, dass man, wenn man dann gefasst ist, natürlich fassungslos vor sich selbst steht. Das heißt, es kommt dann nach dem Rausch des Rassismus und dem Rausch des Alkohols womöglich ein Rest an Vernunft zurück, polizeigestützt. Das ist ja immerhin etwas. Das finden wir auch nicht immer, bei Neonazis zum Beispiel nicht.
    Heuer: Über die NPD haben wir gesprochen, auch über das Verbot, ganz kurz haben wir das gestreift. Wie viel Verantwortung tragen an dieser Entwicklung, die wir in Deutschland beobachten, Pegida und auch die AfD aus Ihrer Sicht?
    Funke: Eine sehr große, eine entscheidende. Pegida wird von jemandem geleitet, der selbst Asylflüchtlinge für Viehzeug hält und das Ressentiment entfesselt. Und wenn Herr Gauland von der AfD, der Stratege der Partei, sagt, wir wollen überhaupt keine arabischen Flüchtlinge, also gerade die, die es am nötigsten haben, im Land haben, dann ist das etwas zurückhaltender das gleiche. Wir haben also einen codierten oder offenen Rassismus oder beziehungsweise eine offene oder codierte Abwehr, und das verstehen diejenigen, die der AfD zujubeln. Und nun kommt das Entscheidende: Mit Pegida im Oktober letzten Jahres fing eine Bewegung an, die solche Ressentiments entfesselt hat, und innerhalb von drei Monaten ist die Zahl der Gewaltakte gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsheime auf das doppelte angestiegen. Das heißt, im Schatten dieser Pegida hat sich der braune Mob, haben sich die sich besorgt nennenden, sich im Rausch verwandelnden Bürger zu Taten aufgerufen gesehen. Das ist ein Zusammenhang, der zwar indirekt ist, aber mit diesen Zahlen, die ich eben genannt habe, klassisch klar ist.
    Heuer: Wie kann man gegensteuern, Herr Funke?
    "Eine infamere Formulierung lässt sich kaum denken"
    Funke: Indem man das zunächst einmal für sich selbst zur Kenntnis nimmt - da hätte auch Plasberg mehr tun können in der Sendung, in der das ausgestrahlt worden ist - und auch die Verantwortung der AfD oder von Pegida sehr viel mehr in den Vordergrund rückt. Das ist kontrovers, weil sie sagen, wir sind es gar nicht und eigentlich haben wir gar nichts gegen diese anderen.
    Heuer: Und nachweisen kann man es ihnen ja nicht.
    Funke: Man kann ihnen nachweisen, dass sie hetzen. Natürlich kann man das. Das habe ich gerade mit dem Gauland-Spruch getan. Und wir können auch gern Herrn Höcke hinzuzitieren, der auch in dieser Sendung zitiert worden ist, der - nun vergegenwärtige ich Ihnen das - gesagt hat, wenn die Syrer nach Deutschland kommen, dann bringen sie ihre Heimat mit und unsere wird zerstört. Eine infamere Formulierung lässt sich kaum denken. Syrien ist zerstört durch Terror. Deswegen kommen sie. Aber die Unterstellung ist, wenn die kommen, ist unser ethnisch reines Deutschland, unser tausendjähriges, wie Höcke auch zu sagen beliebt, zerstört. Und das ist Hetze! Tut mir leid.
    Heuer: Herr Funke, die NPD, da gibt es jetzt ein Verbotsverfahren. Wie geht man denn mit so etwas um, wie Sie es gerade schildern, mit Björn Höcke und der AfD? Soll es einen Verbotsantrag geben?
    "Politik muss die Flüchtlingskrise bewältigt und besser als bisher"
    Funke: Auf jeden Fall kann man, wenn Hetze formuliert wird wie mit dem Galgen bei Pegida, sofort einschreiten. Die Polizei muss präsent sein, da wo sie kann und intervenieren kann. Und in der Bevölkerung, unter denen, die zuhören, muss es doch eine klare Scheidung geben können. Was ist noch human, was ist es nicht mehr, wo gleitet man gewissermaßen über Besorgnisse in Hetze ab. Natürlich gibt es riesige Probleme mit den Flüchtlingen und man muss sehen, wie man das bewältigt, und man muss diese Sorgen ernst nehmen.
    Heuer: Die Sorgen ernst nehmen, mehr Aufmerksamkeit in der Bevölkerung und bei der Polizei - das wäre ihr Empfehlungskatalog.
    Funke: Ja, aber kein Zulassen der Radikalisierung dieser Angst, der Verhetzung dieser Angst, der Angstmache durch rechtspopulistische Medien und in der Öffentlichkeit und in der Politik. Da diese Trennung zu ziehen und zu sagen, das lassen wir nicht zu. Aber wir wollen von den Parteien und der Politik, dass die Flüchtlingskrise bewältigt wird und besser als bisher.
    Heuer: Der Berliner Extremismus-Forscher Hajo Funke. Herr Funke, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
    Funke: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.