"Guten Tag zusammen, einmal den Fahrausweis bitte." Ursula Heinz-Peisker schlängelt sich routiniert durch die Düsseldorfer U-Bahn. Etliche Jahre war sie Busfahrerin der Öffentlichen Nahverkehrsbetriebe. Als das aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ging, wurde sie Fahrkartenkontrolleurin. Für ihr Arbeitsklima ein riesiger Unterschied, denn als Fahrkartenkontrolleurin ist sie fast täglich Attacken ausgesetzt, verbal und zum Teil auch körperlich: "Das merken wir an der ganzen Haltung. Wenn der also schon ziemlich versteift da sitzt oder aufspringt, man sieht am Gesichtsausdruck: Das gibt Ärger."
Was das bedeutet, Ärger, das erklärt ihr Kollege Slobodan Trifkovic: "Ob’s körperlich ist, bespucken, oder …" – "Beißen… Ja, beißen, oder ob man sich eine Kopfnuss einfängt."
Laut dem Deutschen Beamtenbund – kurz dbb - sind zwei Drittel der Zugbegleiter aus NRW im Nahverkehr schon einmal angegriffen worden. Die Zahlen für den öffentlichen Personennahverkehr in den Städten dürften ähnlich hoch sein. Und auch aus anderen Bereichen des Öffentlichen Dienstes erzählen immer mehr Mitarbeiter von Übergriffen, berichtet der Vorsitzende der dbb Jugend in NRW, Jano Hillnhütter: "Für uns ist das Problem, dass wir aus ganz vielen Bereichen geschildert bekommen, dass es immer mehr Übergriffe gibt, ob gegen Rettungssanitäter, ob gegen Mitarbeiter in den Kommunen, beim Ordnungsamt oder der Polizei, wir aber keine Statistiken haben, mit denen wir das überprüfen können."
Denn zum einen wird nicht jede Attacke zur Anzeige gebracht, zum anderen landen die Angaben über die Angriffe zum Teil in der allgemeinen Kriminalstatistik – dann ist nicht mehr ersichtlich, ob ein Übergriff am Arbeitsplatz geschah oder auf der Straße beispielsweise.
Führungskräfte bagatellisieren Vorfälle
Damit das Thema stärker in den Fokus auch der Arbeitgeber rückt und um jungen Angestellten und Beamten im Öffentlichen Dienst konkrete Hilfen an die Hand zu geben, hat die dbb Jugend in Düsseldorf zu einer Sicherheitskonferenz eingeladen, schon zum zweiten Mal. Gut 30 junge Menschen sind gekommen – und was sie zu berichten haben, erschreckt den stellvertretenden Vorsitzenden der dbb Jugend NRW, Frank Meyers. "Nun sind das alles junge Mitarbeiter, die sind alle erst seit fünf, sechs Jahren vielleicht dabei im Öffentlichen Dienst und jeder konnte einen eigenen Fall, ein Beispiel vortragen. Und deswegen ist es schon erschreckend, dass Führungskräfte das ganz oftmals bagatellisieren und sie sind sehr froh, die Kollegen, die jetzt hier sind, dass das ganze thematisiert wird und zur Sprache gebracht wird."
Auch der Aachener Hauptkommissar Ulrich Trommer, einer der Experten der Sicherheitskonferenz, glaubt, dass viele Mitarbeiter darunter leiden, dass die Gefahr von der Führungsebene nicht anerkannt oder kleingeredet wird: "Man hat die Angst, dass zu wenig gemacht wird, dass man nicht ernst genommen wird. Das ist das, was hier so rüberkam: Man wird nicht ernst genommen."
Jeder Übergriff soll angezeigt werden
Dbb-Jugend-Chef Hillnhütter fordert deshalb, dass jeder Übergriff, auch ein vermeintlich kleiner, angezeigt werden muss: "Selbstverständlich auch Beleidigungen. Die klare Botschaft muss sein: Jede Behörde ist ein Raum ohne Gewalt und auch das ist eine Form von Gewalt, wenn ich tagein tagaus von morgens bis abends immer wieder beleidigt werde, ist das sicherlich ein Arbeitsumfeld, in dem ich nicht sein möchte."
Bei der eintägigen Sicherheitskonferenz in Düsseldorf lernen die Teilnehmer, welche Eskalationsstufen es gibt und ab wann sie anfangen müssen, sich zu schützen. Bei einer üblen Beleidigung, einem Tritt gegen den Stuhl, oder erst bei einer Ohrfeige? Und wann muss Hilfe gerufen werden? Zwar sind die Antworten hierzu immer auch situationsabhängig, aber laut Hauptkommissar Trommer ist spätestens bei einem körperlichen Angriff, so klein er auch war, die Grenze überschritten.
Außerdem gibt es ganz praktische Tipps: Zum Beispiel sollten Scheren, schwere Locher oder ähnliches nicht auf dem Schreibtisch liegen – sie könnten von aggressiven Kunden als Waffe benutzt werden. Und: Es muss immer einen Fluchtweg geben. Wer hinter seinem Schreibtisch nur noch das Fenster hat, ist schnell eingesperrt. Besser, es gibt noch eine Tür zum Nebenraum oder der Schreibtisch steht in der Nähe der Haupttür.
Notfalls kommen Kollegen zu Hilfe
Zurück in der Düsseldorfer U-Bahn. Ursula Heinz-Peisker und ihre Kollegen haben ihre eigenen Maßnahmen entwickelt, damit es gar nicht erst zu kritischen Situationen kommt: "Ich bin vorsichtiger geworden. Meine Kollegen sind auch soweit, dass sie mich in die Mitte nehmen in den Bahnen, sodass wir uns alle in den Augen haben und sobald etwas ist, sind die auch da."
Und wenn ein Fahrgast aggressiv wird und die Situation droht, zu eskalieren, ist das Team sofort da, erklärt ihr Kollege Hasan Cuma: "Bei solchen Fällen kommen die Kollegen zu einem, falls das mit dem Kollegen schlimmer wird, wird ja nur dieser Kollege angegriffen, dann übernimmt ein anderer Kollege…"
An diesem Vormittag bleibt es aber relativ ruhig während der Kontrollen. Das könnte das schöne Wetter sein, sagt Heinz-Peisker, dann seien die Menschen grundsätzlich besser gelaunt. Zwar fällt mal hier, mal da ein unschönes Wort, aber das registrieren die drei Fahrkartenkontrolleure schon kaum noch: "In der Regel geht’s rechts rein und links wieder raus, weil man muss das ja mal so sehen, viele Leute beleidigen nicht uns, sondern das Unternehmen." - "Ich versuche ruhig zu sein, nichts zu sagen, nichts zu antworten, weil es bringt eh nichts."