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Angriffe auf Journalisten nehmen zu
"Ihr geht sowieso bald alle hops"

Die Stimmung ist aufgeheizt, die Hemmschwelle sinkt: Wieder wurden auf einer Demonstration von Gegnern der Corona-Maßnahmen Journalisten angegriffen - vergangenen Samstag in Leipzig. Die Häufigkeit solcher Vorfälle nehme zu, sagen Journalistenverbände.

Text: Nina Magoley / Mirjam Kid im Gespräch mit Alexander Moritz |
07.11.2020, Sachsen, Leipzig: Teilnehmer der Demonstration der Initiative ?Querdenken? rufen und gestikulieren mit ausgebreiteten Armen auf dem Augustusplatz vor Medienvertretern und Polizisten. An der Kundgebung gegen die von Bund und Ländern beschlossenen Corona-Maßnahmen nehmen mehrere Tausend Menschen teil. Foto: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Demonstration «Querdenken» in Leipzig (ZB)
Es dämmert bereits, als der Journalist mit einer Kamera in der Hand von mindesten drei brüllenden Männern attackiert wird. Sie packen den Reporter, schlagen und treten auf ihn ein, einer trifft mit einem Gegenstand den Kopf des Journalisten. Irgendwann gehen Polizeibeamte dazwischen. Die Szene, die auf Twitter aus mehreren Perspektiven dokumentiert wurde, ereignete sich vergangenen Samstag (07.11.2020) auf der Demonstration der coronakritischen Bewegung "Querdenken" in der Leipziger Innenstadt.
In einem anderen Video ist zu sehen, wie ein Demonstrant auf den Reporter zugeht, ihn mit "Dreckmaul" beschimpft und droht, die Kamera zu zerschlagen.
Mindestens 43 Journalistinnen und Journalisten seien am Samstag in Leipzig an ihrer Arbeit gehindert worden, meldet die Deutsche Journalisten Union (DJU) in Berlin Brandenburg. Viele von ihnen seien nicht nur bedroht, sondern auch körperlich angegriffen worden. Auf Twitter hat Landesgeschäftsführer Jörg Reichel den Tag in zahlreichen Einträgen dokumentiert, Videos und Beobachtungen von Kollegen retweetet.
Einer, der auch mit dabei war, ist der junge Fotograf Tim Mönch. Seiner Aussage zufolge liefen mehrere Neonazis auf ihn zu und stießen ihn zu Boden. Zum Glück sei er schnell wieder auf die Beine gekommen, sagte er gegenüber dem Deutschlandfunk. Doch eine Prellung und ein paar Schürfwunden habe er noch - und die bedrückende Erinnerung an die Bedrohlichkeit dieses Moments.
Deutliche Eskalation innerhalb weniger Monate
Für Publikationen wie "Der Spiegel", die "taz" und öffentlich-rechtliche Sender fotografiert Mönch seit Jahren auf Demonstrationen vor allem der rechten Szene. Angriffe gegen ihn und seine Kamera hätten "leider eine traurige Regelmäßigkeit", sagt der Journalist. Doch in den vergangenen Monaten habe er eine deutliche Eskalation beobachtet - allein auf den drei aufeinanderfolgenden Demonstrationen von "Querdenken" sei das Agressionspotential spürbar gestiegen.
Auch der Journalistenverband bestätigt das: Im Vergleich zu den Anti-Corona-Demonstrationen in Berlin habe man am Samstag "eine völlig neue Dimension beobachtet, was das Ausmaß der Gewalt betrifft", sagt DJU-Vorsitzende Tina Groll. Nicht nur bei einschlägigen Neonazis, auch bei "vermeintlich bürgerlichen" Demonstranten sei eine Radikalisierung zu beobachten, werde die Presse zunehmend zum Feindbild erklärt, bestätigt Fotograf Mönch.
Bilder von Journalisten in Sträflingskleidung
Die Bilder von der Demo in Leipzig zeigen das. "Ihr geht sowieso bald alle hops", sagt ein langhaariger Demonstrationsteilnehmer in die Kamera eines Journalisten, andere brüllen Beschimpfungen und Drohungen. In zahlreichen Aufnahmen ist zu sehen, wie Demonstranten immer wieder drohend auf Journalisten zugehen. Wie schon auf anderen "Querdenken"-Demonstrationen sind auch hier Plakate zu sehen, die Journalisten und Moderatoren von ARD-Sendungen in Sträflingskleidung zeigen, auf der Brust ein Schild mit der Aufschrift "schuldig".
Heftige Vorwürfe macht die Journalistengewerkschaft auch der Polizei. Deren Strategie habe "in Passivität" bestanden, sagt die DJU-Vorsitzende Groll. Die Beamten seien ihrer Aufgabe, die Pressefreiheit durchzusetzen und Journalisten zu schützen, nicht nachgekommen. "Sie haben diese zum Teil selbst an ihrer Arbeit gehindert", kritisiert sie, und nennt das "eine gefährliche Entwicklung für die Demokratie und ein Alarmsignal auch für die politisch Verantwortlichen".
Tatsächlich berichten mehrer Pressevertreter übereinstimmend, von Polizisten an ihrer Arbeit gehindert worden zu sein. Häufig seien die Beamten erst zögerlich hinzugekommen, wenn sich die Stimmung gegen Fotografen und Reporter aufheizte. Einen freien Journalisten habe die Polizei vorübergehend in Gewahrsam genommen, nachdem dieser von Demonstranten angegriffen wurde, berichten mehrere Augenzeugen.
Polizistin verbietet das Fotografieren
Ebenfalls auf Video dokumentiert ist die Szene, wie Reporter Tim Schulz im Leipziger Bahnhof die ankommenden Demonstranten fotografieren will. Eine Polizistin hält ihre Hand vor sein Objektiv und fordert ihn auf, das Fotografieren zu unterlassen. Dabei hatte die Bundespolizei Mitteldeutschland noch am Tag der Demonstration auf Twitter verkündet, dass "aufgrund der Versammlungslage" auch im Bahnhofsgelände für Pressevertreter keine besondere Drehgenehmigung nötig sei.
Parteien fordern Aufklärung des Leipziger Polizeieinsatzes
FDP und Grüne im Bundestag fordern eine Aufarbeitung des Polizeieinsatzes. Weder die Behörden vor Ort noch die sächsische Polizei seien auf die Eskalation der Lage hinreichend vorbereitet gewesen, kritisierte der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, am Montag im Deutschlandfunk. "Wir brauchen ein neues Verständnis dafür, welche Gefahren durch solche Demonstrationen für andere Grundrechte ausgehen", sagte Kuhle, es gehe eine konkrete "Gefahr für die Pressefreiheit" davon aus. Das nehme in Coronazeiten deutlich zu, "da müssen wir professioneller hinschauen".