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Angriffe auf Politiker und Ehrenamtliche
"Die AfD treibt Spaltung und Hetze voran"

Angriffe auf Politiker haben massiv zugenommen. Parteiübergreifend wurde gestern über mögliche Gegenmaßnahmen diskutiert - allerdings ohne die AfD. Diese distanziere sich nicht von Gewalt und Hetze, sagte Initiator Lars Klingbeil (SPD). Darum habe sie nicht an den Runden Tisch gehört, so Klingbeil.

Lars Klingbeil im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Lars Klingbeil
Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD, initiierte das parteiübergreifende Treffen zu Gewalt und Drohungen gegen Politiker und Ehrenamtliche (picture alliance/Kay Nietfeld/dpa)
Die Zahl der Übergriffe gegen Politiker und vor allem kommunale Verantwortungsträger hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Der Mord an Walter Lübcke war ein dramatischer Höhepunkt dieser Entwicklung. Die Schüsse auf das Büro des SPD-Abgeordneten Karamba Diaby in Halle an der Saale eine weitere Grenzüberschreitung. Gestern Abend (30.01.2020) gab es darum ein Spitzentreffen der Bundestagsparteien, ohne die AfD. Eingeladen hatte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, mit dem wir über das Thema und die Sonderstellung der AfD gesprochen haben.
Stefan Heinlein: Herr Klingbeil, wie gefährlich ist Ihr Beruf als Politiker?
Lars Klingbeil: Ich würde das jetzt für mich sagen, dass es nicht gefährlich ist. Ich glaube, wir sind als Bundestagsabgeordnete, zumal wenn man in einer hohen Funktion einer Partei ist, ausreichend geschützt. Ich mache mir eher Sorgen um diejenigen, die vor Ort als Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker Verantwortung übernehmen. Ich habe in den letzten Wochen viele Gespräche geführt mit Menschen, die aus meiner Partei sind, die Verantwortung übernehmen, aber die diese Verantwortung auch in Frage stellen, die sich fragen, ob sie in diesen Zeiten ihr Engagement noch aufrecht erhalten wollen. Und wenn man in diesen turbulenten Zeiten erlebt, dass Menschen überlegen, sich zurückzuziehen aus ihrem Engagement für die Demokratie, dann, muss ich wirklich sagen, ist es an der höchsten Zeit, dass etwas passiert.
Und ich will auch sagen: Es betrifft ja nicht nur Politikerinnen und Politiker. Ich kenne bei mir aus dem Wahlkreis freiwillige Feuerwehren, Rettungssanitäter, Polizisten, die mir beschreiben, dass die Verrohung und die Bedrohung und auch die Gewalt gegen sie in den letzten Jahren zugenommen hat, und ich glaube, dass die Vernünftigen in diesem Land einfach viel, viel lauter werden müssen.
"Ein Signal der Geschlossenheit und des Kampfes um die Demokratie"
Heinlein: Nun war es in der Vergangenheit schon so, Herr Klingbeil: Wer Verantwortung übernimmt, egal ob jetzt kommunal oder überregional, der muss mit Kritik leben. Wer in der Öffentlichkeit steht, wird angefeindet. Das kann passieren. Was hat sich denn hier verändert in den letzten Jahren?
Klingbeil: Das gehört zum Job des Politikers dazu, dass man einstecken muss, dass man kritisiert wird. Wer Verantwortung übernimmt, der wird immer kritisiert, und darum geht es auch gar nicht. Niemand ist beleidigt, wenn man kritisiert wird. Aber wenn ich die Geschichten erlebe, dass Gewaltandrohungen stattfinden, dass auf Bürgerbüros von Bundestagsabgeordneten geschossen wird, dass Ehrenamtliche, die sich für Flüchtlinge engagieren, auf einmal Patronenhülsen in ihren Briefkästen haben, und der traurige Höhepunkt im letzten Jahr war der Mord an Walter Lübcke, der politisch Verantwortung übernommen hat, auch in der Flüchtlingspolitik, der da eine gerade Haltung hatte und dann ermordet wurde. Das hat sich einfach summiert in den letzten Jahren. Ich merke das, seitdem ich öffentlich über dieses Thema rede, dass sich immer mehr Menschen bei mir melden, mir von ihren Erfahrungen berichten. Der Ansatz gestern – und deswegen hatte ich eingeladen – war ja, dass wir das nicht zu einem Opposition-Regierungs-Thema machen sollten, sondern dass alle demokratischen Parteien hier zusammenstehen und auch versuchen, ein Signal der Geschlossenheit und des Kampfes um die Demokratie zu setzen.
Heinlein: Ist die AfD keine demokratische Partei und haben Sie sie deshalb nicht eingeladen?
Klingbeil: Nein. Die Debatte ist ja permanent, wie geht man mit der AfD richtig um. Aber allein der gestrige Tag hat wieder gezeigt, dass die AfD nicht mit an einen solchen Tisch gehört. Wir hatten gestern einen Fall, dass bei uns eine Kommunalpolitikerin der SPD bedroht wurde. Es ist auf Twitter verbreitet worden, dass man sie an den Galgen hängen müsste. Und das einzige, was dann AfD-Vertreter über hatten, war zu twittern: "Galgen wäre schlecht, aber vielleicht könnte man sie steinigen." Die AfD ist eine Partei, die in den letzten Jahren dazu beigetragen hat, dass die politische Stimmung sich verroht hat, dass auch Auseinandersetzung und Polarisierung zugenommen haben. Das ist eine Partei, die sich nicht von Gewalt und von Hetze distanziert. Ich würde sogar unterstellen, dass diese Partei davon lebt, dass es die Spaltung und die Hetze gibt, und die gehören dann nicht mit an einen solchen Tisch.
"Die AfD lebt von gesellschaftlicher Spaltung"
Heinlein: Sie bezeichnen jetzt quasi die AfD als geistige Brandstifter und haben sie deshalb nicht eingeladen. Ist das aber nicht auch schon verbale Gewalt? Geben Sie damit die Vertreter der AfD nicht zum Abschuss frei – zumindest vielleicht aus Sicht der linksradikalen autonomen Szene?
Klingbeil: Nein. Ich würde mich von Gewalt auch immer distanzieren. Das weiß auch jeder, dass ich Gewalt aus jeglicher Richtung ablehne, sie auch verurteile. Aber man muss trotzdem klar benennen, was die AfD tut. Die AfD lebt von gesellschaftlicher Spaltung. Sie macht Politik auf dem Rücken von Minderheiten. Wissen Sie, wenn wir uns als Generalsekretäre auf Dinge einigen, wie ein anderes gesellschaftliches Klima geschaffen werden kann, wie man gegen Gewalt vorgeht, wie man Ehrenamtliche und Kommunalpolitiker besser schützt, dann kann die AfD sich gerne dazu bekennen. Ich bin gespannt, ob man sich dann auch von Gewalttätern aus den eigenen Reihen, von Menschen, die die Sprache verrohen, ob man sich von diesen Menschen dann auch konsequent distanziert. Wenn ich mir Herrn Höcke angucke, der offiziell als Faschist bezeichnet werden kann, wie der gesellschaftliches Klima vergiftet – ob man sich von solchen Menschen dann distanziert -, dann muss die AfD sich entscheiden. Aber Stand heute muss ich ganz klar sagen: Diese Partei gehört nicht mit an einen Runden Tisch, wenn es um die Frage geht, wie können wir unsere Demokratie und die Ehrenamtlichen besser schützen.
Heinlein: Aber dennoch, Herr Klingbeil. Im letzten Jahr – ich habe extra nachgeschaut – gab es 150 Übergriffe gegen AfD-Politiker, deutlich mehr als gegen Vertreter Ihrer Partei, der SPD. Ist Gewalt gegen die AfD, gegen AfD-Politiker weniger beklagenswert als Übergriffe gegen Ihre Genossen?
Klingbeil: Gewalt gegen Menschen, die sich engagieren, Gewalt generell ist nicht hinnehmbar, ist auch mit nichts zu rechtfertigen und muss konsequent bekämpft werden.
"Die AfD treibt Spaltung und Hetze in diesem Land voran"
Heinlein: Ohne die AfD? Sie wollen nur über die AfD reden, aber nicht mit der AfD, wie man Gewalt gemeinsam gegen Politiker bekämpfen kann?
Klingbeil: Ich erwarte von einer Partei wie der AfD, dass man sich erst mal konsequent distanziert von Gewalt und von Verrohung und von der Spaltung der Gesellschaft. Das passiert nicht. Aber das, was wir natürlich als Generalsekretäre uns gestern vorgenommen haben zu entwickeln, dass wir Demokratie stärken, dass wir gucken, wie wir Betroffene besser schützen können, wie man auch als Rechtsstaat konsequent gegen Bedrohung und gegen Gewalt gegen Kommunalpolitiken vorgeht, das wird alle beschützen, wenn wir dann auch auf einen gemeinsamen Weg kommen. Aber noch mal: Erst mal liegt es an der AfD, sich von all dem zu distanzieren, und ich kann Ihnen weitere Beispiele nennen. Wenn auf das Bürgerbüro des Kollegen Diaby in Halle geschossen wird und dann AfD-Bundestagsabgeordnete öffentlich in Frage stellen, ob er nicht selbst oder seine Mitarbeiter diese Schüsse aus dem Büro abgefeuert hätten, um Aufmerksamkeit zu erregen, dann frage ich mich schon, was diese Partei treibt, und ich sehe, dass sie Spaltung und Hetze in diesem Land eher vorantreibt, als dass sie etwas dagegen tut.
"Gewalt und Bedrohung werden oft als Bagatelle abgetan"
Heinlein: Der Rechtsstaat muss klare Kante zeigen. So habe ich Sie verstanden, Herr Klingbeil. Muss ein Bürger, der künftig bei einer Demonstration Sie als SPD-Generalsekretär symbolisch an den Galgen hängt, mit einer Strafverfolgung rechnen? Nur dann kann Gewalt gegen Politiker seriös bekämpft werden. Ist das ein Ertrag Ihres gestrigen Treffens?
Klingbeil: Noch mal: Ich möchte eigentlich gerne davon wegkommen, dass wir jetzt über mich als Bundestagsabgeordneten und als Generalsekretär reden. Aber das, was wir als häufige Fälle hatten – und das haben alle gestern berichten können -, ist, wenn es vor Ort Gewalt gegen Kommunalpolitiker gibt, wenn es dort Bedrohung gibt, dass so was häufig dann auch als Bagatelle eingestellt wird. Und ich glaube ja, hier muss der Rechtsstaat anders vorgehen, und das betrifft – noch mal – nicht nur Kommunalpolitiker; das betrifft auch Feuerwehrleute, das betrifft Rettungssanitäter. Der Rechtsstaat muss da konsequenter handeln. Ich finde, wenn Menschen die Verantwortung für den Staat übernehmen, wenn die bedroht werden und wenn die sich bedroht fühlen, dann muss der Staat hier ein klares Signal setzen. Das darf dann nicht verharmlost werden und nicht als Bagatelle abgetan werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.