Ein Rollstuhlfahrer dämmert auf dem U-Bahnhof Osloer Straße vor sich hin. Eine Wolldecke liegt auf seinen Knien, er wirkt verwahrlost. Tüten und Taschen hängen am Wagen. Wie jeden Tag patroulliert die Polizeistreife vom Abschnitt 36 über den Bahnhof im Berliner Wedding: vier Männer mit schusssischeren Westen und Pistolen am Gürtel. Sie kontrollieren den Mann im Rollstuhl und entdecken: Er hat Heroin bei sich. Die Polizisten wollen untersuchen, ob er mehr bei sich trägt.
"Du bist ein Hurensohn. Deine Mutter ist gefickt."
Immer wieder beschimpft der Rollstuhlfahrer die Polizisten, auf Arabisch und Deutsch. Die Polizisten untersuchen den Mann in einem Bahnhofskabuff. Eine Leibesvisitation. Sie begleiten den schimpfenden Obdachlosen im Rollstuhl zum Aufzug. Er bekommt auch wegen seiner Beleidigungen eine Anzeige, die wahrscheinlich folgenlos bleiben wird.
Schreckschusspistole auf Sanitäter abgefeuert
Es bleibt nicht immer bei Respektlosigkeiten. Am 20. Juni greifen zwei Betrunkene einen Rettungswagen des Roten Kreuzes in Berlin an. Sie dringen in den Rettungswagen ein, der am Straßenrand steht. Zwei Sanitäter an Bord vertreiben sie, es kommt zu "kleinen Schubsereien", wie es Heiko Jünger nennt, der Geschäftsführer des DRK-Rettungsdienstes in Berlin.
"Dann verschwanden die zwei Herren und nach geschätzt 30 Sekunden, 40 Sekunden kamen sie zurück, zogen die Waffe und hielten das unserem Mitarbeiter, dem Notfallsanitäter ins Gesicht und haben abgedrückt."
Bei der Waffe handelt es sich um eine Schreckschusspistole, aus der der 28-jährige Täter Tränengas abfeuert. Die beiden Rettungssanitäter sind drei Wochen danach traumatisiert und krank geschrieben. Zwei Stunden nach der Attacke lässt der Ermittlungsrichter den Täter wieder frei.
"Für andere Rettungskräfte ein ganz schlechtes Signal. Weil: Wie soll man sich schon schützen, wenn der Staat nicht schützt?"
Gerade eben hat Heiko Jünger eine andere Meldung erhalten. Er berichtet, was in einem Rettungswagen des Roten Kreuzes am 8. Juli geschah:
"16-jähriges Mädel greift Rettungswagenbesatzung an, schlägt mit Füßen ins Gesicht und gegen Oberschenkel. Polizei wird dazu gerufen."
Drogen, Alkohol, Werteverlust
Heiko Jünger, der früher selbst im Rettungswagen unterwegs war, kennt die Gründe für solche Übergriffe, die immer häufiger werden.
"Ich glaube, das ist der Alkohol, die Hemmschwelle sinkt, möglicherweise auch durch Drogen, dass dieser Werteverlust gegenüber Hilfskräften, Ordnungskräften deutlich zunimmt. Und die Akzeptanz, dass da jemand kommt und helfen will oder soll durch andere, die den Rettungswagen oder die Polizei gerufen haben, wird nicht mehr akzeptiert."
Heiko Jünger zählte im vergangenen Jahr 15 bis 20 "tätliche Angriffe" auf Rotkreuz-Sanitäter in Berlin. Die Zahl steige von Jahr zu Jahr, sagt er. Die Berliner Polizei stellte 6959 "Straftaten gegen die Freiheit und körperliche Unversehrtheit" von Polizisten im Jahr 2018 fest. 2016 waren es noch 600 weniger.
Die Polizeistreife ist immer noch im Berliner Untergrund unterwegs, jetzt am U-Bahnhof Gesundbrunnen. Ein 16-jähriger Jugendlicher, begleitet von zwei Freunden, steigt aus der Bahn aus, blickt zu einem der Polizisten und macht Affenlaute. Einer der Schutzpolizisten stellt ihn zur Rede.
"Ist das normal so? Warum macht man Faxen mit der Polizei? Du brüllst durch die Gegend und guckst mich an!"
"Was soll ich machen? Ich bin hier mit meinen Freunden."
"Sind wir hier im Zoo, dass wir einfach Laute von uns geben oder was?"
"Wir haben doch nichts zu Ihnen gemacht."
Der Polizist sagt, die Affenlaute hätten eindeutig ihm gegolten - es handle sich um ein respektloses Verhalten des 16-Jährigen.
"Man hat einfach diese, wie Sie gesagt haben, Zoo-Laute gemacht."
"Ach doch, ja?"
"Warum, ist doch ganz normal. Jeder Penner kackt hier hin und so."
"Tun sie? Zeig mal."
"Woher soll ich wissen, gucken Sie mal Videos und alles mögliche an."
"Wollen wir mal Kacke suchen gehen?"
Der Chef der Streife, ein Polizeikommissar, erklärt, warum es zu solchen Respektlosigkeiten kommt.
"Das passiert gerade bei jungen Erwachsenen, die ihren Freunden imponieren wollen. Die sehen uns und sagen sich dann: Wollen wir mal schauen, wie weit die gehen."
"Ja, also ich merke das auch besonders bei Verkehrskontrollen. Wenn wir jemanden überprüfen, dann fahren die anderen Fahrzeugführer, die dann gerade besonders mit ihren Protzkarren unterwegs sind, hochmotorisierte Fahrzeuge, an uns vorbei. Die wissen, wir sind in der Kontrolle, wir können denen gerade nicht habhaft werden. Dann drehen sie gerne noch mal auf, fahren an uns vorbei und schreien vielleicht noch irgendwas auf dem Fenster, das kommt jetzt hier öfter vor."
Die Männer in den blauen Uniformen tauchen aus den Tiefen der Berliner Untergrundbahn auf. Am Tageslicht ziehen sie Bilanz - auch über Respektlosigkeiten und Angriffe. Innerhalb von vier Stunden sind sie mehrfach schwer beleidigt und belogen worden. Tätliche Angriffe gab es an diesem Tag nicht. Alltag für die Polizeistreife im Abschnitt 36 im Berliner Wedding. Zurück zum Revier.