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"Angst, Angst, Angst regiert da"

Martina Gedeck zählt zur kleinen Schar deutscher Schauspieler, die regelmäßig in großen internationalen Filmproduktionen zu sehen sind. Nun spielt sie in der Literatur-Verfilmung "Nachtzug nach Lissabon" an der Seite von Jeremy Irons.

Mit Sigrid Fischer |
    Sigrid Fischer: Martina Gedeck, Sie waren auf der Berlinale gerade in zwei internationalen Produktionen zu sehen - in dem französischen Film "Die Nonne" und in Bille Augusts "Nachtzug nach Lissabon". Es gibt so eine Handvoll deutscher Schauspieler, die so wie Sie regelmäßig auch international besetzt werden. August Diehl zum Beispiel, Bruno Ganz, Daniel Brühl oder Moritz Bleibtreu. Warum sind es mehr oder weniger immer die gleichen, und andere kommen nie zum Zuge?

    Martina Gedeck: Das hat oft damit zu tun, ganz einfach, dass sie die Sprache nicht können. Es gibt viele Kollegen, die können nicht genug englisch, die können kein Französisch. Und das ist immer die allererste Hürde: Spricht sie genug englisch, um spielen zu können? Wie stark ist der Akzent? Das ist das A und O. Wenn sich das dann herumgesprochen hat - bei mir ist es so, ich bin dann in diesen Dingen auch wahnsinnig pingelig und trainiere das bis zum Umfallen, damit ich keine Fehler mache, weil es mir ein bisschen peinlich ist, wenn ich mich verspreche oder so. Ich sage dann: gut, ich bereite das vor und dann sind sie erfreut, dass ich es kann.

    Fischer: Was ist denn für Sie der markanteste Unterschied, ob Sie nun in einer internationalen Produktion vor der Kamera stehen oder ob Sie in einem deutschen Film mitspielen?
    Gedeck: Für mich ist der Unterschied, dass ich im Ausland weniger mitkriege, was passiert hinter den Kulissen. Ich kann mich eigentlich wie ein kleines Baby zurücklehnen und sagen: ich widme mich meiner Arbeit und sonst gar nichts. In Deutschland ist es schon so, dass ich noch anders involviert bin, auch in das Rundherum, in das Umfeld. Das mach ich im Ausland nicht, das kann ich auch nicht. Da bin ich außen vor. Und das ist ganz angenehm.

    Fischer: Vor ein paar Jahren haben Sie in Amerika gedreht, unter der Regie von Robert De Niro in "Der gute Hirte", aber meistens sieht man Sie und Ihre Kollegen in europäischen Produktionen oder Koproduktionen. Heißt das, der amerikanische Filmmarkt liegt für europäische oder deutsche Schauspieler dann doch sehr in der Ferne?

    Gedeck: Ich sage Ihnen, das ist nichts, was man selber forcieren kann. Ich glaube nicht, dass es einen Schauspieler gibt, von denen, die heute Weltstars sind, die das selber gestrickt haben. Ich sehe das jetzt bei jemand wie Jeremy Irons oder Helen Mirren. Wie haben die angefangen? Die haben Serie gemacht, und die Serien waren erfolgreich. Und das hat sie rauskatapultiert aus dem Haufen von vielen, vielen Schauspielern, und sie haben die nächste Chance bekommen und immer so weiter. Bei mir ist es im Grunde nicht anders. Wenn Sie sich anschauen, wie ich angefangen habe: mit kleinen Fernsehrollen, auch mal ne Hauptrolle, aber letztlich doch wie alle, also nichts besonders Herausragendes. Wahrscheinlich sogar eher schwierig zu besetzen, weil ich ein sehr ausgeprägter Typ bin, und damals als junge Frau war. Und wie sich das trotzdem entwickelt hat, ohne dass ich das forciert hätte in einen Kinobereich hinein, dann bin ich da schon relativ gut aufgestellt jetzt. Also es kommen schon immer wieder solche - wo ich denke: super! Und dann platzt das. Ich war jetzt zum Beispiel im Gespräch für die Rolle der Raissa Gorbatschowa, Michael Douglas, Christoph Waltz. Da habe ich den Regisseur schon getroffen, das war schon so gut wie unter Dach und Fach. Das hat dann nicht funktioniert, weil sie gesagt haben: Das sind dann zwei Deutsche im Film, und das ist uns zu viel Deutsche im Film. Und da muss man sagen: okay, das war das und weitermachen. Es hat viel mit Glück zu tun oder mit Zufall vielleicht auch, ich weiß es nicht.

    Fischer: Das heißt, man braucht schon ein dickes Fell und viel Geduld.

    Gedeck: Ich habe mir schon länger abgewöhnt, solange ich noch nicht den unterschriebenen Vertrag auf meinem Tisch liegen habe, mich zu sehr festzubeißen in ein Projekt. Seit vielen Jahren gehe ich nur einen kleinen Schritt darauf zu innerlich. Ich habe inzwischen auch ein Feeling dafür, kommt etwas zustande? Kommt es nicht? Wird es verschoben? Alles, was ich letztes Jahr gemacht habe, hätte ich vorletztes Jahr machen sollen. Es ist dann doch noch gekommen, aber es ist viel später gekommen. Und das heißt, man entwickelt eine Flexibilität. Ich kann jetzt noch nicht sagen, was ich mache in diesem Jahr. Die Sachen liegen da, aber ich weiß nicht ob sie - und es kann sich noch ganz umdrehen. Und irgendwann ist man an dem Punkt, wo man sagt: Gut, ich lebe damit, dass ich in einer Unsicherheit lebe, was das angeht, und in einer Planungsunsicherheit bin. Und das muss man aushalten können. Und dass man sein Herz nicht zu sehr daran hängt. Dass man nicht zu enttäuscht ist und sagt: oh, ich bin ein Nichts. Man muss immer in einem gesunden Selbstwertgefühl bleiben und nicht sagen: Ja, ich bin eben nichts und der ist eben dies. Das kann man nicht. Dann kannst Du einpacken als Künstler oder Schauspieler. Und den Beruf wegschmeißen.

    Fischer: Aber so eine Haltung muss man doch wahrscheinlich lernen, die hat man nicht von Anfang an, oder?

    Gedeck: Ich hatte immer das Glück - oder das ist glaub ich eine Gabe - dass mir die kleinen Sachen, die dann kamen, dass die mir auch gefallen haben. Abgesehen vom Geld - es ist immer schön, wenn man eine gewisse Sicherheit hat - habe ich aber auch in den kleinen Sachen, da konnte ich immer viel draus ziehen. Ich mache ja viele Lesungen und solche Dinge. Wo man wieder in die Literatur eintaucht, wo man sich mit Goethe oder Rilke beschäftigt, oder mit dem Performen von Gedichten, oder mit der Stimme, Sprache, wie krieg ich sie raus in den großen Raum. Das heißt, der Beruf an sich, wenn man ihn so nimmt und nicht immer wertet, ist ja sehr reich. Und wenn man diese Dinge mit einbezieht, dann hat man eigentlich immer etwas, womit man sich beschäftigen kann. Und wenn mal gar nichts ist, was bei mir auch - sehr selten aber auch ab und zu passiert - dann sage ich mir: ein Glück - das muss ich allerdings tun als Haltung, ich muss sagen: gut, ein Glück, jetzt habe ich mal zwei Monate nichts. Jetzt kann ich endlich mal das und das und das machen.

    Fischer: Man sieht Sie überwiegend in Kinofilmen. Kann Ihnen das deutsche Fernsehen überhaupt noch was bieten?

    Gedeck: Es gibt jetzt ein sehr gutes Fernsehprojekt, was ich geneigt bin zu machen im Herbst. Da geht es um eine Geschichte, die passiert ist. Das ist halt der aktuelle Zeitbezug, das finde ich immer toll beim Fernsehen, dass man tatsächlich wirklich reagieren kann auf das, was passiert ist. Und ich habe ja jetzt mit Klaus Maria Brandauer über Demenz - fantastisches Drehbuch - wir haben letztes Jahr gedreht und der kommt im Mai ins Fernsehen. Also es gibt immer wieder tolle Projekte, wo ich auch gerne mitmache. Ich finde, das Fernsehen ist unbedingt eine kulturelle Kraft, die ausgeschöpft werden muss bei uns. Und die auf Vordermann gebracht werden muss. Das muss sich jetzt wirklich mal modernisieren, das Ganze. Weil, das guckt keiner mehr an - es gibt tolle Sachen dort und tolle Leute, aber die müssen mehr Möglichkeiten kriegen und das muss ein bisschen freier werden.

    Und ich finde auch, dass der Bürger sich ein bisschen mehr bewusst machen muss, dass ihm da ein X für ein U vorgemacht wird mit den Gebühren und mit dem ganzen Geld, was da fließt. Und wie intransparent das ist, wo dieses Geld landet. Denn wir haben davon nichts, wir Künstler. Es wird immer nur gesagt, dass kein Geld da ist und dass wir mit weniger Drehtagen zurechtkommen müssen. Und die Gagen werden halbiert. Ich weiß nicht, wo das Geld wirklich landet. Und die Apparate sind sehr intransparent. Das ist wirklich noch alles gute alte Bundesrepublik. Das ist ganz eigenartig.

    Fischer: Im amerikanischen Fernsehen gibt es ja jetzt immer mehr dieser beliebten, hochkarätig besetzten und auch sehr hochgelobten Serien, die auch von Hollywoodregisseuren gedreht werden. Schauen Sie solche Serien und wenn ja, wie neidisch sind Sie, dass es diese Art von Qualitätsfernsehen bei uns doch eher selten gibt?

    Gedeck: Das schaff ich deshalb nicht, weil mir alle sagen: Wenn du dir eine anguckst, dann guckst dir gleich die nächste und die nächste an. Ich habe jetzt zum Beispiel die ganzen "Mad Men" bekommen von einer Freundin. Jetzt habe ich Angst, wenn ich eine schaue, am Abend um elf, dass ich dann bis drei Uhr früh vor der Glotze hänge. Und ich weiß, wie ich mich danach fühle: Ich gehe danach ins Bett und denke: Mensch, diese vielen Stunden, die hätte ich ja ganz anders nutzen können. Für mich ist es schon stark auch ne vertane zeit. Ich weiß, ich muss es mir von Berufswegen angucken, aber wahrscheinlich, weil ich jetzt in der zweiten Lebenshälfte bin, denke ich: Was mache ich mit meiner Zeit? Ich möchte lieber mit meinen Eltern zusammen sein, die sind nicht mehr die jüngsten, ich möchte lieber mit meinen Nichten zusammen sein, ich möchte lieber alleine sein und einen Brief schreiben an jemand. Oder was lesen. Aber diese Serien verschlingen die Zeit, und das ist auch ein Suchtmittel, und es ist auch als Suchtmittel gebaut. Ich habe mehr Lust, so was zu spielen, ich möchte, dass wir solche Serien hier auch machen.

    Ich finde, dass jemand wie Dominik Graf - ich könnte da 100 Jahre drüber schreien vor Wut - dass der Mann auf 23 Uhr platziert wird mit seiner Serie. Und dass alles getan wird, um das ins Abseits zu schießen. Und da gibt es noch ein paar andere Regisseure, die Großes leisten könnten. Jetzt haben sie sich mühsam vom Zweiteiler zum Dreiteiler hingearbeitet. Jetzt gibt es den "Turm", jetzt muss es gleich 20 "Turms" geben. Jetzt müssen es plötzlich alles DDR-Stoffe sein mit immer den gleichen Schauspielern nach immer dem gleichen Grundprinzip. Also Angst, Angst, Angst, Angst, Angst regiert da.
    Der britische Schauspieler Jeremy Irons als Gymnasiallehrer Raimund Gregorius und Martina Gedeck als Mariana in einer Szene des Films «Nachtzug nach Lissabon»
    Der britische Schauspieler Jeremy Irons und Martina Gedeck in einer Szene des Films "Nachtzug nach Lissabon" (picture alliance / dpa / Sam Emerson/NTTL production/C-Films AG)
    Szenenfoto: Die Polizisten der Direktion 6 der Berliner Bereitschaftspolizei auf dem Weg zum Einsatz (v.l.n.r.): Anja Kirchner (Carmen Birk), Marek Gorsky (Max Riemelt), Sven Lottner (Ronald Zehrfeld) und Eva Padelski (Klara Manzel).
    Szenenfoto aus der Serie "Im Angesicht des Verbrechens" von Dominik Graf (arte.tv)