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Angst vor Ausschreitungen in Kinshasa

Im Kongo haben die zweiten demokratischen Wahlen seit der Unabhängigkeit stattgefunden. Der amtierende Präsident Joseph Kabila erhielt 49 Prozent der Stimmen. Oppositionsparteien haben die Wahlen bereits im Vorfeld als unfair und gefälscht deklariert. Die Stimmung in Kinshasa ist angespannt.

Von Simone Schlindwein |
    Fast täglich kommt es in Kongos Hauptstadt Kinshasa zu Ausschreitungen. Oppositionsanhänger versammeln sich in den staubigen Gassen der Armenviertel der Zehnmillionen-Metropole. Immer wieder greift die Polizei ein, feuert in die Menge. Mindestens 18 Menschen starben bei den Protesten der vergangenen Tage. Viele fürchten einen erneuten Bürgerkrieg.

    Knapp zwei Wochen liegen die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Kongo zurück. Eine gewaltige Herausforderung für ein Land, das so groß ist wie Westeuropa, aber über kaum Straßen verfügt. Mit Hubschraubern mussten die Wahlurnen in den Dschungel transportiert werden.

    Die Erwartungen waren groß – es sind erst die zweiten demokratischen Wahlen seit der Unabhängigkeit 1960. Am Wahltag standen die Menschen in der Hauptstadt Kinshasa schon am frühen Morgen vor den Wahllokalen an. Doch viele wurden dann nicht hineingelassen, wie der 32-jährige Guylain Mavula.

    "Mein Name ist nicht auf der Liste, dabei habe ich eine Wählerkarte und bin registriert. Es ist mein Recht als Bürger zu wählen! Ich habe es überall versucht, ich weiß nicht, welches Wahllokal mich abstimmen lässt."

    So wie ihm erging es Unzähligen. Seitdem kocht die Gerüchteküche hoch: Von fiktiven Wahllokalen ist die Rede, in denen systematisch Urnen für Präsident Kabila gestopft worden sein sollen. Und man beschuldigt die Wahlkommission, absichtlich Chaos gestiftet zu haben, damit die Hauptstädter nicht abstimmen können.

    Präsident Kabila ist hier in der Hauptstadt nicht beliebt – die Mehrheit der Hauptstädter stehen traditionell hinter der Opposition. Der 79-jährige Oppositionsführer Tshisekedi hat sich seinerzeit unter Diktator Mobutu als Regimekritiker auf die Seite des Volkes gestellt. In der Nähe seines Hauses tagt regelmäßig das sogenannte Stehparlament: ein Schattenparlament seiner Partei.

    Hunderte Männer stehen unter einem Baum im Kreis. Die Stimmung wirkt angespannt. Die meisten dieser Männer sind gebildet, aber haben keine Jobs. Sie fühlen sich im Stich gelassen: Es gibt selbst in Kinshasa kaum geteerte Straßen, kaum Strom, keine Abwasserleitungen, keine Müllabfuhr – und vor allem keine Hoffnung darauf, dass sich die Bedingungen jemals ändern. Im Stehparlament wird dieser Tage die Revolution geplant, erklärt Israel Mudiambi.

    "Wir Kongolesen sind erwachsen geworden. Wir dulden es nicht mehr, dass man uns irgendeinen korrupten Präsidenten vorsetzt. Wir wissen genau, für wen wir gewählt haben und die Ergebnisse müssen mit dem Volkswillen übereinstimmen. Wir werden hier geduldig bis zur Verkündung der Ergebnisse abwarten. Doch wenn es nicht unseren Willen widerspiegelt, dann werden wir uns auflehnen. Wir sind bereit zu sterben! Es sind schon viele von uns bei gestorben. Die Garde des Präsidenten hat sie erschossen."

    Tagelang hat der Chef der Wahlkommission, Daniel Mulunda, jeden Abend die Teilergebnisse bekannt gegeben. Und mit jedem Abend wurde deutlicher, dass Präsident Kabila seinem Rivalen Tshisekedi außerhalb der Hauptstadt weit voraus ist. Das hat in der Opposition weiteres Misstrauen geschürt – um so mehr, da Mulunda ist ein enger Bekannter von Kabila ist. Der Präsidentschaftskandidat der Opposition Vital Kamerhe wirft ihm vor, die Ergebnisse systematisch zu beeinflussen – schon vor Tagen hat er bekannt gegeben, dass er das Ergebnis nicht akzeptieren werde:

    ""Wir erklären die Teilergebnisse diese gefälschten Wahlen als null und nichtig. Wir machen den Chef der Wahlkommission für diese Fälschung verantwortlich. Die Veröffentlichung der Teilergebnisse ist eine psychologische Vorbereitung des Volkes auf die gefälschten Ergebnisse"."

    Seit Tagen macht sich in der Hauptstadt die Angst breit. Soldaten und Polizisten marschieren auf, patrouillieren die Straßen. Banken und Geschäfte bleiben geschlossen, nach Einbruch der Dunkelheit traut sich kaum mehr jemand auf die Straße. Bisher sind schon rund 3000 Hauptstädter mit dem Boot über den Kongofluss ins Nachbarland Republik Kongo geflohen. Viele haben Angst vor einer weiteren Eskalation der Gewalt, da die Opposition zu Protesten aufruft, wie hier Jaquemin Shabani, Generalsekretär von Tshisekedi-Partei, der UDPS.

    ""Wir haben die Entschlossenheit der Kongolesen gesehen und es Bedarf keinem weiteren Aufruf zu Taten. Die Menschen werden die Verantwortung in ihre Hände nehmen und sich dieser Politik der gefälschten Wahlen , die hier von Kabila umgesetzt wird, entgegen stellen"."
    Unterdessen haben sich Botschafter sowie die UNO eingeschaltet, um zu verhandeln. Das Ziel: Die Glaubwürdigkeit der Wahlergebnisse wiederherzustellen. Damit alle Seiten das Ergebnis anerkennen. Dazu müssen die Resultate aller – der insgesamt 63.000 – Wahlzentren des Landes einzeln aufgelistet werden. Dies bedarf Zeit, da zahlreiche Ergebnisse mit Hubschraubern aus dem Dschungel eingeflogen werden müssen. Zweimal wurde deshalb die Bekanntgabe der Resultate in dieser Woche verschoben.

    Als die Ergebnisse schließlich am späten Freitag Nachmittag veröffentlicht werden, überrascht das Ergebnis niemanden mehr: Präsident Kabila liegt mit 49 Prozent klar vor seinem Herausforderer Tschisekedi, der 33 Prozent einspielt. Noch bevor Kabila-Anhänger zur Siegesfeier ausrufen können, geschieht das Unausweichliche: Oppositionsführer Tshisekedi erklärt sich selbst ebenfalls zum Präsidenten. Jugendliche in den Elendsvierteln zünden Autoreifen an, grauschwarze Rußschwaden hängen über der Millionenstadt. Polizei und Militär rücken aus, um die Proteste niederzuschlagen. Es bleibt zu hoffen, das das krisengeschüttelte Land nach 15 Jahren Bürgerkrieg, die vielen Millionen Kongolesen das Leben gekostet hat, nicht erneut in Gewalt versinkt.