Als einziges arabisches Land hatte Algerien seine Revolution schon, sagt die Schriftstellerin Maïssa Bey, und zwar im Oktober 1988. Damals gingen die Menschen gegen die algerische Einheitspartei FLN auf die Straße, wahrscheinlich verloren ungefähr 1000 bei den Auseinandersetzungen mit der Polizei ihr Leben. Die Algerier erkämpften eine demokratische Verfassung und ein Mehrparteiensystem, doch diese Errungenschaften sollten sie teuer bezahlen: Die ersten freien Wahlen 1991 gewann die islamistische FIS-Partei, was Regierung und Militär nicht hinnahmen – Algerien stürzte in einen blutigen Bürgerkrieg.
"Danach hatten wir zehn grauenhafte Jahre. Deshalb sind die Voraussetzungen bei uns anders als in den anderen arabischen Ländern. Die Algerier, die den Bürgerkrieg erlebt haben, haben große Angst vor Chaos, neuen Attentaten, vor allem, was das prekäre Gleichgewicht, das wir heute haben, stören könnte. Und diese Angst kann eine Bremse für eine mögliche Revolution sein. Der Wind der Veränderung hat Algerien aber sehr wohl erreicht – das ist also eine Frage der Wortwahl."
Trotz der traumatischen Erinnerungen an das "schwarze Jahrzehnt" und der massiven Bedrohung durch die Polizei versuchen im Moment jeden Samstag Hunderte von Menschen in den großen Städten zu demonstrieren. Anders als in Ägypten, Libyen und Tunesien ist nicht der Rücktritt des alten und angeblich kranken Präsidenten Abdelaziz Bouteflika das Hauptanliegen, denn damit würde das undurchschaubare Machtgeflecht an der Staatsspitze nicht zerstört, das Grundproblem nicht gelöst:
"Für mich ist das wichtigste Wort in Algerien "Dialog". Es gibt keinen Dialog. Immer wenn es uns notwendig erscheint, Dinge auszusprechen – und das bedeutet, dass wir gehört werden wollen -, bekommen wir keine Antwort. Als Antwort gibt es nur Unterdrückung und hogra – das ist bei uns ein sehr starkes Wort und bedeutet Verachtung. Wir haben nie einen Minister mit den Menschen sprechen sehen."
Schon gar nicht mit einem kritischen Intellektuellen. Algerien hat eine relativ freie Presse, Schriftsteller schreiben, worüber sie wollen – aber sie werden in Algerien kaum gehört, sagt Maïssa Bey:
"Die Intellektuellen veröffentlichen brillante Analysen in den Zeitungen, Soziologen schreiben zum Beispiel über die Machtstrukturen – aber Intellektuelle haben in Algerien nie etwas zu sagen gehabt, niemand hört auf sie. Einige demonstrieren im Moment mit, aber da hört ihr Einfluss auf. Man muss wissen, dass man mithilfe unseres Schulsystems unseren Kindern sorgfältig jede Form von Reflexion und Argumentation vorenthält."
Das Ignorieren der intellektuellen Stimmen in Algerien ist also vielleicht noch schlimmer als Zensur, denn dagegen kann man sich kaum wehren.
Maïssa Bey blickt nicht sehr zuversichtlich in die algerische Zukunft:
"Ich bin in einer gespannten Erwartungshaltung, ohne allerdings optimistisch zu sein. Denn ich weiß, dass eine Revolution sich wie eine Geburt unter Schmerzen, Trauer und Tränen vollzieht. Und danach muss man das Baby großziehen, aber wer wird das tun? Menschen, denen man Kultur, Bildung, die Fähigkeit, Dinge zu analysieren, vorenthalten hat? Werden sie fähig sein, das Baby großzuziehen? Und auf die Art und Weise, wie wir es wachsen sehen möchten?"
Nur in einem Punkt ist sich Maïssa Bey sicher: Die Islamisten werden das Baby nicht großziehen. Denn die haben in Algerien ihre Chance schon gehabt – und vertan.
"Danach hatten wir zehn grauenhafte Jahre. Deshalb sind die Voraussetzungen bei uns anders als in den anderen arabischen Ländern. Die Algerier, die den Bürgerkrieg erlebt haben, haben große Angst vor Chaos, neuen Attentaten, vor allem, was das prekäre Gleichgewicht, das wir heute haben, stören könnte. Und diese Angst kann eine Bremse für eine mögliche Revolution sein. Der Wind der Veränderung hat Algerien aber sehr wohl erreicht – das ist also eine Frage der Wortwahl."
Trotz der traumatischen Erinnerungen an das "schwarze Jahrzehnt" und der massiven Bedrohung durch die Polizei versuchen im Moment jeden Samstag Hunderte von Menschen in den großen Städten zu demonstrieren. Anders als in Ägypten, Libyen und Tunesien ist nicht der Rücktritt des alten und angeblich kranken Präsidenten Abdelaziz Bouteflika das Hauptanliegen, denn damit würde das undurchschaubare Machtgeflecht an der Staatsspitze nicht zerstört, das Grundproblem nicht gelöst:
"Für mich ist das wichtigste Wort in Algerien "Dialog". Es gibt keinen Dialog. Immer wenn es uns notwendig erscheint, Dinge auszusprechen – und das bedeutet, dass wir gehört werden wollen -, bekommen wir keine Antwort. Als Antwort gibt es nur Unterdrückung und hogra – das ist bei uns ein sehr starkes Wort und bedeutet Verachtung. Wir haben nie einen Minister mit den Menschen sprechen sehen."
Schon gar nicht mit einem kritischen Intellektuellen. Algerien hat eine relativ freie Presse, Schriftsteller schreiben, worüber sie wollen – aber sie werden in Algerien kaum gehört, sagt Maïssa Bey:
"Die Intellektuellen veröffentlichen brillante Analysen in den Zeitungen, Soziologen schreiben zum Beispiel über die Machtstrukturen – aber Intellektuelle haben in Algerien nie etwas zu sagen gehabt, niemand hört auf sie. Einige demonstrieren im Moment mit, aber da hört ihr Einfluss auf. Man muss wissen, dass man mithilfe unseres Schulsystems unseren Kindern sorgfältig jede Form von Reflexion und Argumentation vorenthält."
Das Ignorieren der intellektuellen Stimmen in Algerien ist also vielleicht noch schlimmer als Zensur, denn dagegen kann man sich kaum wehren.
Maïssa Bey blickt nicht sehr zuversichtlich in die algerische Zukunft:
"Ich bin in einer gespannten Erwartungshaltung, ohne allerdings optimistisch zu sein. Denn ich weiß, dass eine Revolution sich wie eine Geburt unter Schmerzen, Trauer und Tränen vollzieht. Und danach muss man das Baby großziehen, aber wer wird das tun? Menschen, denen man Kultur, Bildung, die Fähigkeit, Dinge zu analysieren, vorenthalten hat? Werden sie fähig sein, das Baby großzuziehen? Und auf die Art und Weise, wie wir es wachsen sehen möchten?"
Nur in einem Punkt ist sich Maïssa Bey sicher: Die Islamisten werden das Baby nicht großziehen. Denn die haben in Algerien ihre Chance schon gehabt – und vertan.