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Angst vor der Anti-Moderne

Der Soziologe Ulrich Beck ist mit seinen Büchern noch nie dafür bekannt gewesen, ausgesprochen optimistische Zukunftsszenarien zu zeichnen. Auch in seinem neuen Buch Weltrisikogesellschaft" bleibt er sich in dieser Hinsicht treu: Die nahende Klimakatastrophe, der globale Terrorismus und die Verwerfungen einer globalisierten Wirtschaft lassen für ihn die Zeiten des Kalten Krieges als vergleichsweise idyllisch erscheinen. Conrad Lay stellt den Band vor.

    Es gab im Mittelalter Mönche, die ihr Leben damit zubrachten, immer wieder das Antlitz Christi zu malen, immer wieder das gleiche Bild, und doch war es jedes Mal um einige Nuancen anders. Ähnliches könnte man von dem Soziologen Ulrich Beck behaupten: Seit Jahrzehnten kreist sein Denken um die Risiken ökologischer, technischer, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Art. Zur Zeit der Katastrophe von Tschernobyl, also vor 21 Jahren, hat er das Buch "Risikogesellschaft" geschrieben. Längst ist es zu einem Klassiker geworden, und jeder Soziologiestudent liest es im zweiten Semester, falls er es nicht schon von der Schule her kennt. Nun also "Weltrisikogesellschaft", ein Titel, der sich in Zeiten der Globalisierung aufdrängt. Was ist neu, was ist anders?

    "Der Kernpunkt der Kosmopolitisierung ist, dass die Vorstellung, wir könnten die Welt nach wie vor in die Unterscheidung zwischen national und international, zwischen innen und außen, zwischen wir und die anderen aufteilen, nicht mehr funktioniert. Diese grundlegenden Unterscheidungen, unser Nationalstaatsverständnis, das wir verallgemeinert haben zu der grundlegenden Voraussetzung politischen Handelns überhaupt, stimmen einfach empirisch nicht mehr."

    Risiko bedeutet gedankliche Vorwegnahme der Katastrophe. Weltrisiken sind Katastrophen, die die ganze Welt betreffen, etwa die Klimaerwärmung. Doch ist das Besondere von Risiken gerade, dass sie erst in Zukunft eintreffen, sich jeder ein anderes Bild der Welt ausmalt. Sie sind also soziale Konstruktionen, Inszenierungen, die stark von dem jeweiligen kulturellen Hintergrund abhängig sind. Ulrich Beck hält deshalb nicht einen "Krieg der Kulturen" für wahrscheinlich, sondern einen "Zusammenprall der kulturell unterschiedlichen Risikowahrnehmungen". Anders ausgedrückt: Es gibt keine gemeinsame Einsicht in gemeinsame Gefahren.

    Wie schon vor 20 Jahren gehen für den Münchner Soziologieprofessor die Unsicherheiten und Gefahren aus den Erfolgen der Modernisierung hervor. Sie sind abhängig von menschlichen Entscheidungen, von den Erfolgen von Wissenschaft und Technik, die eben die berühmten "nicht beabsichtigten Nebenfolgen" nach sich ziehen, wenn man so will: Kollateralschäden der Modernisierung. Der letzte Adressat, so Ulrich Beck, ist immer derselbe:

    "Der Restrisiko-Empfänger der Weltrisikogesellschaft ist das Individuum. Alles, was das Risiko vorantreibt und unkalkulierbar macht, alles, was die institutionelle Krise sowohl auf der Ebene der regierenden Politik als auch der Märkte hervorruft, wälzt die ultimative Verantwortung des Entscheidens auf die Individuen ab, die letztlich alleingelassen werden. Zweifellos liegt hier eine mächtig sprudelnde, schwer einzudämmende Quelle für Rechtsradikalismus und Fundamentalismus in der Zweiten Moderne."

    Individualisierung wird in der Weltrisikogesellschaft in erster Linie erlitten, da ist wenig mehr übrig von der positiven Gestaltung eines eigenverantwortlichen Lebens, wie es Beck in den achtziger und neunziger Jahren noch so euphorisch beschrieben hatte. Der Optimismus der Individualisierungsthese, die den Soziologen in früheren Zeiten zu einer nahezu harmlosen Reduktion individueller Lebensentwürfe auf so genannte Bastelbiographien geführt hatte, ist hinweggefegt. Beck huldigt heute einer Realpolitik, allerdings einer kosmopolitischen. Was früher einmal als Völkerverständigung gefeiert wurde, sieht Beck nun als Zwangsvereinigung: Es gibt kein Entkommen vor den weltweiten Risiken mehr, wir alle sind eingebunden ins "World Wide Web der Risikoproduktion". Kosmopolitismus in diesem Sinne ist eine gemeinsame Bedrohung durch Risiken, aber keine Wahl. Man kann Ulrich Beck nur schwer widersprechen, wenn er schreibt:

    "Es ist nicht abwegig zu vermuten, dass das, was alle Menschen heute miteinander gemein haben dürften, die Sehnsucht nach einer Welt ist, die ein bisschen weniger geeint ist."

    Einen Ausweg sieht Ulrich Beck in einer Art "Risikoweltbürgerrecht". Die Ethik der "Anerkennung des Anderen", über die in der Soziologie der letzten Jahre so viel gesprochen wurde, schließt seiner Auffassung nach ein, dass wir und die "Anderen" moralisch und rechtlich gleichgestellt werden, was strategische Risikoentscheidungen betrifft.

    Nehmen wir mal ein Beispiel: Amerikanische Wissenschaftler wollen im Weltraum große Schattenschilde installieren, die dafür sogen sollen, dass weniger Sonnenlicht auf die Erde strahlt und auf diese Weise die Erdtemperatur gesenkt wird. Die Erderwärmung ist bekanntlich ebenso wie ihre Eindämmung ein globales Problem. In die "strategischen Risikoentscheidungen", wie Ulrich Beck das nennt, müssten also alle Bürger der Erde einbezogen werden. Sollte also über die Installation der Schattenschilde im Weltraum die UNO entscheiden oder wer?

    Das Beispiel zeigt, dass man zwar leicht von "kosmopolitischer Realpolitik" sprechen kann, aber weder die Bürger noch die politischen Institutionen auf derartige Entscheidungen vorbereitet sind. Die von Ulrich Beck geforderte Realpolitik ist meilenweit von ihrer Realisierung entfernt. Im Grunde weiß er dies selbst, wenn er schreibt:

    "Weltprobleme schaffen transnationale Gemeinsamkeiten. Wer die nationale Karte zieht, verliert. Gegenseitige Abhängigkeit ist keine Geißel der Menschheit, vielmehr die Voraussetzung ihres Überlebens."

    Im Rückblick, so bemerkt der Münchner Soziologe, erscheine ihm sein Buch "Risikogesellschaft" idyllisch, die Welt sei damals noch "terrorfrei" gewesen. Das hat sich geändert und damit auch der Charakter der Risiken: Waren es früher "nicht beabsichtigte Nebenfolgen", so zielen die terroristischen Angriffe gerade auf Schäden ab. Ob sich der Begriff Risiko dafür überhaupt eignet? Die verselbständigte, radikalisierte Moderne hat ihr Gegenteil mitproduziert, die Sicherheitslage hat sich gegenüber der Vergangenheit dramatisch gewandelt. Ulrich Beck:

    "Das Interessante ist, dass die Staaten ja Sicherheit behauptet haben für ihre Bürger. Und da gab es natürlich andere Staaten, die Staaten angriffen, und man musste die entsprechend berechnen, man wusste auch über Spione, welche Machtpotenziale, Waffenpotenziale, da waren. Jetzt mit den Terroristen findet eine Verabschiedung aus diesem klaren staatlichen Feindbild statt und eine Universalisierung von Feinden, die keine Uniform mehr tragen, die alle möglichen Identitäten anhaben. Und jetzt kommt der Punkt, gegen den Staaten mit ihrem alten militärischen Abwehrsystem relativ hilflos sind."

    Auf einmal werden die Grundlagen der Moderne in Frage gestellt: das Recht auf Leben jedes Menschen, die Autonomie des Individuums, die demokratische Legitimation von Herrschaft. Ein Erschrecken breitet sich aus, die Angst vor der Anti-Moderne geht um. Beinahe wehmütig schaut Ulrich Beck auf die "verwaltete Welt" eines Adorno zurück:

    "Was für Weber, Adorno und Foucault ein Schreckensgemälde war - die perfektionierte Kontrollrationalität der verwalteten Welt - , ist für die Bewohner der Gegenwart ein Versprechen: Schön wär's, wenn die Kontrollrationalität kontrollieren würde. Schön wär's, wenn nur der Konsum uns terrorisieren würde."

    Ulrich Becks Theorie der "Weltrisikogesellschaft" ist der anspruchsvolle Versuch, eine kritische Theorie der Globalisierung zu entwerfen. Nicht nur an die soziologische Zunft richtet er die Aufforderung: Wer sich mit Risiken realistisch befassen will, muss sich für Alternativen öffnen.


    Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft
    Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2007
    240 Seiten, 19 Euro