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Angst vor Sandy

Hurrikan Sandy kündigt sich an der Ostküste der USA an. Die Bevölkerung stellt sich auf einen Jahrhundertsturm ein. Wissenschaftsjournalist Volker Mrasek erläutert im Gespräch, warum der Wirbelsturm, der "nur" Hurrikan-Stufe eins hat, dennoch so bedrohlich werden könnte.

    Arndt Reuning: Zunächst werfen wir einen Blick auf die Ostküste der USA. Die Menschen dort bereiten sich gerade auf den Hurrikan Sandy vor, der in wenigen Stunden das Land erreichen dürfte - ein Wirbelsturm von rekordverdächtigen Dimensionen. Bei mir im Studio ist mein Kollege Volker Mrasek. Herr Mrasek, ist Sandy tatsächlich der Jahrhundertsturm, auf den sich alle vorbereiten?

    Volker Mrasek: Das wird zumindest befürchtet. Viele Meteorologen befürchten das gar nicht mal. Weil das jetzt ein Hurrikan ist - der ist gar nicht so stark. Der ist mit Hurrikan-Stufe eins eingestuft. Tatsächlich gibt es ja sogar vier oder fünf im Extremfall. Der ist also gar nicht so fürchterlich stark. Aber der büxst aus dem Gebiet aus, in dem Hurrikans normalerweise vorkommen. Das ist der Tropengürtel. Der wandert jetzt weiter nördlich in unsere Breiten hinein. Und hier gibt es ganz andere wetterbestimmende Systeme. Das ist immer dieses Zusammenspiel zwischen Hochs und Tiefs. Und dieser Sturm kommt als Hurrikan, der er mal war, relativ schwach dann in unsere Gefilde, geht im Moment wohl gerade noch über den Golfstrom, der entlang der US-Küste fließt, wird dadurch also vielleicht noch ein bisschen stärker, aber jetzt nicht so ein fürchterlicher Monster-Hurrikan. Aber dadurch, dass er quasi auf ein Tiefdruckgebiet jetzt aufläuft und auf ein Hochdruckgebiet, das an der kanadischen, nordamerikanischen Ostküste ist, gerät er hier in unsere Wetterbilden rein und verstärkt sich dadurch noch einmal. Also ein großes, eigentlich sich abschwächendes System wird dadurch, dass jetzt auf einmal andere Gesetze herrschen, also ein Kalt- und Warmfront aufeinandertreffen, nochmal ganz stark verstärkt. Und das ist die Befürchtung vieler Meteorologen, dass es dadurch zu einem Jahrhundertsturm kommen könnte.

    Reuning: Also eigentlich auch eine ganz untypische Situation. Weiß man denn, wo er an Land gehen wird?

    Mrasek: Also es gibt in den USA eine Stelle, die ist verantwortlich für die Vorhersagen, also ein National Hurricane Center, das von der nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde unterhalten wird. Die geben alle sechs stunden im Moment vorhersagen heraus. Wir haben gerade die von acht Uhr morgens auf dem Tisch liegen. Die werden ständig aktualisiert, aber der Stand hier ist, dass dieser Sturm sich jetzt allmählich auf die Küste hinzubewegt. Er ist ungefähr auf 37 Grad Nord im Moment. Das ist, wenn man nach Europa schaut, auf der Höhe von Gibraltar. Und er könnte in einer Schneise zwischen Washington D.C., also der Hauptstadt der USA im Süden, und New York City im Norden hineinlaufen. Auf einem Korridor, wenn man sich die Karte hier so anschaut, könnte man sagen, 150 Kilometer. Und in diesem Korridor liegen Städte wie Philadelphia, Baltimore oder tiefer im Land zum Beispiel Pittsburgh, also durchaus große Millionenstädte, die sich da auf das Schlimmste einrichten müssen.

    Reuning: Ein Wirbelsturm, der Regen mit sich bringt. Was ist das Hauptrisiko: der Sturm oder der Regen?

    Mrasek: Es gibt im Grunde sogar drei Risiken. Einmal ist es so, dass dieses System jetzt an Land drängt und das Meerwasser an der Küste vor sich her schiebt. Das heißt, jetzt hat man erstmal ein großes Risiko für eine starke Sturmflut. Dieser Sturm wird Wasser inlands drängen und wird dann zu Überflutungen führen. Dann wird damit gerechnet, dass er sehr starke Windstärken produzieren wird, also Orkan-Windböen, die natürlich per se schonmal Schäden hervorrufen können. Und der dritte Aspekt ist, dass dieses System so regenreich ist, so feuchtereich ist. Das ist dieses riesige Gebilde, dieser Hurrikane, der sehr viel Feuchtigkeit transportiert. Und wenn sich eine Warmfront über eine Kaltfront schiebt, wie das jetzt der Fall sein wird an der Küste, dann ist das eine Idealbedingung, das es zu Starkregen kommt. Das heißt, dieses System könnte relativ schnell große Regenmengen verlieren, große Niederschlagsmengen. Und dann hat man das dritte Risiko: Starkniederschläge.

    Reuning: Heißt das, dass er damit auch an Energie verliert?

    Mrasek: Er verliert über Land an Energie. Das ist grundsätzlich der Fall. Das ist auch bei Hurrikans der Fall. Die können sehr, sehr stark sein, wenn sie auf die Küste treffen. Aber an Land geht ihnen dann einmal Energievorrat aus dem Meer verloren. In diesem Fall ist das auch so. An diesem Frontensystem ... wenn es denn sehr schnell zu starken Regenfällen kommt, verliert das System natürlich auch Energie - vom Meer her kommt kein Energienachschub mehr. Es hat sich ja wie gesagt in unsere Gebilde verzogen. Aber es ist nicht so, dass es dann eine Sache von Stunden oder ein, zwei Tagen ist. Also die Vorhersage, die zurzeit auf dem Tisch liegt, geht sogar noch bis ins Wochenende hinein. Dann wird das System zumindest noch als Depression vorhanden sein, also als Tiefdruckgebiet, und kann dann über weiten Gebieten Nordostamerikas liegen.