"Die Inselstaaten, die besonders tief liegen, wie die Atoll-Inselstaaten, zu denen auch Kiribati gehört, die sind natürlich besonders vom Klimawandel bedroht, weil ein Meeresspiegelanstieg dort bedeutet, dass gerade die ganzen Häuser, die an der Küste liegen schon auch schnell von Wasser und natürlich noch mehr von den Stürmen, die jetzt mehr geworden sind, sehr schnell überspült werden."
Die Inselwelt von Ozeanien ist nach Ansicht von Silja Klepp zur Ikone des Klimawandels geworden. Die Professorin für Geographie an der Uni Kiel hat wiederholt in Kiribati geforscht, einem Nationalstaat im zentralen Pazifik, der aus 33 Korallenatollen und Inseln entlang des Äquators besteht.
"Die Menschen haben natürlich ganz konkret Angst davor, dass sie in eventuell einer Generation, also 20 bis 50 Jahren, nicht mehr auf der Insel leben können. In diese Richtung gehen auch die Prognosen der Wissenschaftler. Und das bedeutet natürlich, dass die Menschen unglaublich Angst haben, dass sie ihre Heimat verlieren, dass sie ihre Kultur verlieren. Also gerade der Verlust der Sprache, der Gemeinschaft, der Tänze, die es gibt in Kiribati. Das wurde auch immer wieder angesprochen in den Interviews, die ich gemacht habe, das ist eine große Angst, dass das komplett verloren geht, wenn die Menschen aus Kiribati wegziehen müssen."
Angstgefühle können auch eine Gesellschaft erfassen
Die Ethnologin ist Teil eines wachsenden Netzwerks von Wissenschaftlern, die sich mit dem Thema Angstkultur beschäftigen. Ulrich Hoinkes, Professor für Romanistik an der Uni Kiel, hat das Forschungsprojekt zusammen mit Wissenschaftlern von der New Yorker Columbia University initiiert.
Psychologe: Perspektivwechsel ist hilfreich
Ängste seien zum Teil nicht sehr vernünftig, weil sie, wie etwa die Flugangst, statistisch unbegründet seien, sagte der Psychologe Werner Gräve im Dlf. Beim Umgang mit solchen Ängsten helfe es, "so oft wie möglich so unterschiedliche Perspektiven wie möglich zu berücksichtigen".
Ängste seien zum Teil nicht sehr vernünftig, weil sie, wie etwa die Flugangst, statistisch unbegründet seien, sagte der Psychologe Werner Gräve im Dlf. Beim Umgang mit solchen Ängsten helfe es, "so oft wie möglich so unterschiedliche Perspektiven wie möglich zu berücksichtigen".
Ausgangspunkt sei die Feststellung gewesen, dass gesellschaftliche Probleme wie Klimawandel, politischer Extremismus und technologischer Fortschritt als Gefahr und Bedrohung wahrgenommen werden und mit Ängsten verbunden sind. Auch dass nicht wenige Jugendliche und Erwachsene unter einer Angststörung oder Depressionen leiden, spiele eine Rolle.
Diese Angstgefühle äußern sich aber nicht nur beim Individuum, sie äußern sich auch in öffentlichen Diskursen, sie bestimmen Handlungen in der Politik und von öffentlichen Akteuren. So dass wir der Meinung sind, wir müssten genau hinschauen, welche Funktion Angst in der Gesellschaft momentan hat und wie wir mit ihr umgehen."
"Politik funktioniert nur, wenn sie auf Angst basiert"
Angst ist in den Augen der Wissenschaftler nicht nur negativ konnotiert. Für Dirk Nabers, ebenfalls Professor an der Uni Kiel, hat sie grundsätzlich eine positive Wirkung.
"Angst hat es eigentlich immer gegeben, mit der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies eigentlich schon. Politik kann nur funktionieren, Politik kann nur eine Richtung haben, wenn sie auf Angst basiert. Angst vor der Rentenlücke, Angst vor den Folgen des Klimawandels, Angst vor unregulierter Migration. Das Neue ist vielleicht, dass es neue Kanäle gibt, Angst zu produzieren. Wir als Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler beschäftigen uns vor allem mit den Mechanismen, wie Angst produziert wird, wo sie überhaupt herkommt."
Für Dirk Nabers steht fest, dass Krisen – und die mit ihnen einhergehenden Ängste – diskursiv entstehen. Das erkläre, warum der Krieg gegen den Terror als Folge von 9/11, dem Attentat auf das World Trade Center, zeitweise als das größte Menschheitsproblem gesehen worden sei. Dagegen erzeuge das elende Sterben von Menschen in manchen Regionen der Welt anscheinend keine Angst.
Erkenntnisse unterschiedlicher Fachgebiete zusammenführen
Das Forschungsprojekt legt keinen eng definierten Angstbegriff zugrunde, sondern will die Erkenntnisse von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen aus den USA, aus Frankreich und Deutschland nutzen. Jedes Fachgebiet könne Angstkulturen identifizieren, sagt die Romanistin und Kulturwissenschaftlerin Dr. Karen Struve und nennt Beispiele wie den Einsatz von intelligenten Robotern bei Demenzerkrankten oder die Finanzkrise, ausgelöst durch Panikreaktionen an der Börse.
"Sorgen, Ängste, Zweifel, Unsicherheit, Bedrohung – das alles gruppiert sich um diesen Angstbegriff. Und kulturphilosophisch gibt es einen Unterschied. Sören Kierkegaard, der Philosoph, hat im 19. Jahrhundert mal die Unterscheidung gemacht zwischen Angst und Furcht. Und er sagt: Furcht ist etwas, was objektbezogen ist, und Angst ist eher so eine Art diffuses oder vages Gefühl. Also Sie sehen, hier gibt es schon viel terminologische Unterscheidungshilfe, die wir aber zum einen nicht streng vornehmen, sondern das ganze komplexe Feld anschauen und auch nicht bewerten. Also es geht auch nicht darum: Gibt es schlechte oder gute Ängste? Sondern es geht eher um die Mechanismen und die Diskursivierung dieser Ängste. Also wie artikuliert sich die, woraus resultiert die, worauf bezieht sich die?"
Gesellschaften gehen unterschiedlich mit Angst um
Anders als Dirk Nabers schaut Karen Struve nicht primär auf die Konstruktion von Ängsten im gesellschaftlichen Diskurs. Sie interessiert sich für kulturspezifische Wahrnehmungen und Umgangsformen.
Die Globalisierung von Ängsten, so argumentieren Karen Struve und Ulrich Hoinkes, führt nicht dazu, dass alle Nationen gleich damit umgehen. Die Romanisten führen dafür mehrere Beispiele an. Dass nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima nicht Japan, sondern Deutschland aus der Atomenergie aussteigt, hänge damit zusammen, dass hierzulande schon seit Jahrzehnten über die Gefahren der Atomenergie – und die damit verbundenen Ängste – debattiert worden ist.
Als weiteres Beispiel nennt Hoinkes eine Reihe von Shootings, die kürzlich in den USA stattfanden:
"Diese Shootings sind ein sehr beherrschendes Thema in den USA. Sie führen zu Verhaltensmustern in der Gesellschaft, also einem hohen Maß an Sicherheitsbestimmungen, bewaffnete Polizisten, die Sie sehen. Das Ganze wird als Beruhigung wahrgenommen in der Regel. Bei uns würde das ganz anders aufgenommen, weil wir in einer anderen Situation sind und auch diese Gefahren anders einschätzen. Das hängt auch damit zusammen, dass wir nicht so eine Waffenlobby haben, die den freien Verkauf von Waffen und Gebrauch von Waffen unterstützt. Diese Traditionen wirken, schlagen durch auf Angstkultur in einzelnen Nationen, in diesem Fall auf die USA."
Vier Elemente für Entstehen von gesellschaftlichen Ängsten wichtig
Dirk Nabers, der sich am Institut für Sozialwissenschaften mit verschiedenen Krisen beschäftigt wie dem Fall der Berliner Mauer oder der Finanzkrise 2007/2008, plädiert dafür, genau hinzuschauen: Für wen war das eine Krise? Wer hat Angst gehabt? Wer hat profitiert?
Dass es angesichts einer Krise wie dem Erstarken sogenannter populistischer Bewegungen tatsächlich zu gesellschaftlichen Ängsten kommt, dafür hält der Soziologe vier Elemente für ausschlaggebend.
"Das sind sogenannte sedimentierte Praktiken, also Praktiken, die eine Gesellschaft ausmachen über Jahrzehnte, Jahrhunderte vielleicht, Traditionen. Also auch vielleicht so was wie Identität: Wer bin ich? Zu welcher Gruppe gehöre ich? Wer gehört sonst noch dazu? Wer gehört klassisch nicht dazu? Der zweite Begriff ist derjenige der Dislokation, also ein anderer Begriff für Krise. Identitäten geraten in Krisen, wenn sie mit Komplexität konfrontiert sind, also fremdes Aussehen, fremdes Wissen, fremde Sprachen, fremde Religionen. Vieles ist fremd und kommt über uns in unserer Gesellschaft und wird dann mit Ängsten verknüpft."
Ein dritter Aspekt sei der Antagonismus: Um sich als Gesellschaft selbst zu formieren, werden andere ausgeschlossen. Deutschland etwa sei im 19. Jahrhundert aus über 40 Provinzen, Städten und Fürstentümern durch Abgrenzung nach außen entstanden.
"Und so sind eben dann Ängste, 2015 auch, produziert worden, weil eben wieder Fremdes über uns kam. So war es bei 9/11 in den USA. Der letzte Aspekt ist der der Institutionalisierung. Ängste werden in einer Gesellschaft also auch wirklich materiell institutionalisiert. In den USA war es so, dass ein Department of Homeland Security gegründet wurde, um den äußeren Feind, der zum Teil aber im Inneren saß, dann abzuwehren. Und dazu muss man natürlich zunächst erst mal Ängste massiv artikulieren und sagen: Ist das jetzt für uns eigentlich schlimm?"
Nicht blockieren, sondern Lösungen suchen
Dass Ängste nicht nur blockieren, sondern auch dynamisieren und dazu antreiben, neue Lösungen zu suchen, zeigt Silja Klepp am Beispiel Kiribati. Der frühere Präsident Anote Tong habe den Klimawandel zum großen Thema gemacht und für die rund 100.000 Einwohner eine neue Strategie ins Spiel gebracht: "Migrate with dignity".
"Migrieren in Würde. Also die Vorstellung ist, dass die Menschen auf keinen Fall zu Flüchtlingen werden wollen, weil sie genau wissen, dass das keine Lobby hat in der Welt, sondern dass man in Würde migrieren kann. Und das beinhaltet auch die Migration von ganzen Communities, also von Dorfgemeinschaften zum Beispiel. Kiribati hat dafür in Fidschi Land gekauft mit dem Einverständnis von Fidschi, von der Regierung von Fidschi. Und dieses große Stück Land ist in Zukunft dafür bestimmt, dass ganze Communities umsiedeln können. Das wurde konkret dafür gekauft, und ich denke, das ist einzigartig weltweit."