Vor vier Jahre brachte der "Spiegel" einen Bericht über dubiose Geldflüsse in Zusammenhang mit der Vergabe der Fußball-WM 2006 heraus. "Für mich war immer klar, dass die Schweiz ein klares Zeichen setzen wird. Jetzt kommt das in Gange, was man erwarten konnte", sagte Harald Stenger, Ex-Pressesprecher beim DFB, über die Anklageerhebung gegen drei ehemalige Funktionäre des Deutschen Fußball-Bunds (DFB). Auch wenn bereits im April nächsten Jahres der Vorgang verjährt, gehe er davon aus, dass das Verfahren abgeschlossen werde. Die Schweizer Staatanwaltschaft stehe unter Druck: Kungeleien dürften nicht durchgehen.
"Es gibt keinen in Fußball-Deutschland, der Franz Beckenbauer nicht alles Gute wünscht", betonte Stenger. Die Abtrennung seines Verfahrens sei allerdings suspekt, wenn nicht skandalös. Bei Beckenbauer könne es sich um den Anstifter handeln. Dass die Schweizer Bundesanwaltschaft die Abtrennung mit Beckenbauers Gesundheitszustand begründe, werfe einige Fragen auf. Der damalige Chef des WM-Organisationskomitees habe ein Attest seiner "Leib"-Ärzte vorgelegt. Da es sich um "keine neutrale Institution" handele, seien Zweifel angebracht.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Christine Heuer: Ganz schön was los im deutschen Fußball – und nichts Gutes. Bei Schalke zerbrechen sie sich den Kopf über ihren Aufsichtsratschef: Ist der Fleischbaron Clemens Tönnies in Wahrheit ein Rassist, reicht es aus, dass der Mann sich für seine Äußerungen über Afrikaner, die bei Licht angeblich weniger Kinder zeugen, entschuldigt hat? Gestern Abend hat dazu der Schalke-Ehrenrat getagt. Ebenfalls gestern wurde bekannt, dass in der Schweiz Anklage gegen Verdächtige im Sommermärchen-Skandal erhoben worden ist. Wolfgang Niersbach, Theo Zwanziger und Horst R. Schmidt müssen sich vor Gericht verantworten. Das Verfahren gegen den Kaiser selbst, gegen Franz Beckenbauer, wurde aus Gesundheitsgründen abgetrennt. Das Gericht verhandelt über Vorwürfe, nach denen die Fußball-WM 2006 gekauft wurde, zumindest das getäuscht wurde, als Deutschland sie zugesprochen bekommen hat.
- Harald Stenger war von 2001 bis 2012 Pressesprecher beim Deutschen Fußballbund und ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Stenger!
Harald Stenger: Ja, guten Morgen, Frau Heuer!
Heuer: Nun gibt es also doch noch Anklagen im Sommermärchen-Skandal. Haben Sie damit überhaupt noch gerechnet?
Stenger: Ja, ich habe immer damit gerechnet. Vier Jahre ist es nun her, dass der "Spiegel" seine Enthüllungen publik gemacht hat. Und es waren dann viele Ermittlungen. In der Öffentlichkeit ist das Interesse auch ein bisschen erlahmt. Aber es war eigentlich für mich immer klar, dass irgendwann in der Schweiz da noch mal ein klares Zeichen gesetzt wird. In Deutschland ist man da ja zurückhaltender, obwohl auch hier noch ein Verfahren läuft. Und jetzt kommt halt das in Gang, was man immer erwarten konnte, wenn man realistisch und kritisch auf die Sache draufgeschaut hat.
Heuer: Herr Stenger, aber im April nächsten Jahres ist die ganze Sache verjährt. Rechnen Sie auch damit, dass da überhaupt noch jemand verurteilt wird?
Stenger: Ja, ich denke schon, dass das Verfahren abgeschlossen wird. Ob jemand verurteilt wird, das lassen wir jetzt erst mal dahingestellt.
Heuer: Da haben Sie recht.
"Die Schweizer Anwaltschaft ist einfach unter Druck"
Stenger: Die Schweizer Anwaltschaft ist einfach unter Druck – das hängt gar nicht mit dem Sommermärchen zusammen, sondern mit der Fifa. Der Chef der Ermittlungsbehörde in Bern, Michael Lauber, hat sich ja einige Finten einfallen lassen, um sich geheim und ohne Protokollführung mit dem umstrittenen FIFA-Präsidenten Gianni Infantino zu treffen und um dessen Eskapaden zu diskutieren. Er ist nun quasi von diesen Fußballverfahren suspendiert. Und es kann sich keine Behörde nachsagen lassen, im Grunde genommen, fußballfreundlich zu sein und im Grunde genommen der Bedeutung von König Fußball so weit zu gehen, dass man da die Rechtsprechung außer Acht lässt und die Kungelei und die Freundschaften obendrüber stellt.
Heuer: Also im Fußball hängt alles immer mit allem zusammen. Ich möchte trotzdem noch mal bei den Personen kurz bleiben: Niersbach, Schmidt und Zwanziger, die müssen jetzt also vor Gericht, Beckenbauer selbst aus Gesundheitsgründen erst einmal nicht, das Verfahren wurde abgetrennt. Das klingt ein bisschen nach: "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen." Ist das so?
Stenger: Ja, dem kann ich nicht widersprechen. Ich möchte zunächst mal sagen, ich glaube, es gibt keinen in Fußball-Deutschland, der Franz Beckenbauer nicht alles erdenklich Gute wünscht gesundheitlich, weil man weiß, dass er seit einiger Zeit angeschlagen ist. Und alle wünschen ihm ein langes Leben. Aber die Abtrennung des Verfahrens gegen Beckenbauer ist, um es freundlich und vorsichtig zu formulieren, suspekt, man könnte auch sagen skandalös. Denn in der Anklageschrift der Berner Behörden vom 13. Juni ist er ganz klar als Mittäter, eventuell auch als Anstifter ausgemacht. Dass jetzt das Verfahren abgetrennt wird, hat den faden Beigeschmack, dass eigentlich jeder Normalbürger, wenn vor Gericht etwas ist, ein Attest vorlegen muss. Beckenbauer hat die Bescheinigung seiner Ärzte vorgelegt, also da ist es mit der Neutralität dieser ärztlichen Bescheinigung ja ziemlich weit dahin.
Heuer: Also Sie glauben das nicht, dass er so krank ist, dass eine Befragung für ihn gefährlich ist.
"Der fade Beigeschmack bleibt"
Stenger: Doch, aber wir wissen alle, dass es ihm gesundheitlich nicht gut geht. Gesundheitliche Details, wie gefährlich jetzt so eine Vernehmung ist, kann ich letztlich nicht beurteilen. Aber der fade Beigeschmack bleibt, dass es Bescheinigungen von seinen Leibärzten sind, sag ich jetzt mal etwas provozierend, und eben keine neutralen ärztlichen Gutachten, also das, was man gemeinhin als Attest bezeichnet einer neutralen Institution.
Heuer: Theo Zwanziger sagt ja auch, es würde ihn etwas wundern, weil Beckenbauer noch am 12. Juli eine sehr launige Rede bei einem Golfturnier gehalten hat.
Stenger: Ja, er war jetzt ja im letzten halben Jahr mehrfach unterwegs. Und es sind einfach Zweifel angebracht an dieser Darstellung, dass er nicht mehr vor Gericht aussagen kann. Aber das ist ja nur ein Aspekt dieses Verfahrens. Sie haben es gesagt, die Kleinen – es sind ja auch Niersbach, Zwanziger und Schmidt keine Kleinen - hängt man und die Großen …
Heuer: Im Vergleich zum Kaiser natürlich nur, Herr Stenger.
Stenger: Ja, im Vergleich zum Kaiser, aber die Großen lässt man hängen. Das Thema Beckenbauer, das hat einen sehr faden Beigeschmack. Ich möchte aber noch mal betonen, alle wünschen ihm Gesundheit und ein langes Leben, und viele leiden auch darunter, dass es ihm seit einiger Zeit nicht mehr so gut geht.
Heuer: Also, das Nationaldenkmal zu stürzen, das tut dann irgendwie auch weh. Kommen wir zur Sache, Herr Stenger: War die WM 2006 gekauft?
Stenger: Ich habe vom ersten Tag der "Spiegel"-Enthüllungen gesagt, das, was der "Spiegel" berichtet hat, beweist nicht, dass das Sommermärchen gekauft wäre. Und nach vielen Diskussionen in mittlerweile vier Jahren hat sich meine Meinung daran nicht geändert. Es sind insgesamt fünf Möglichkeiten, die hier in Betracht kommen, was passiert sein kann.
Heuer: Nicht alles aufzählen, oder wenn, dann kurz bitte, Herr Stenger!
Stenger: Es geht darum, dass es Zuwendungen für die Wahl von Herrn Blatter 2002 waren, bis zu den neueren Versionen, dass es eine Honorarzahlung an Franz Beckenbauer war. Oder dass es sich um einen Einstieg ins TV-Geschäft von Franz Beckenbauer mit dem skandalumwitterten Katar-Funktionär Bin Hammam handelt, der ja auch an diesem Geldfluss irgendwie beteiligt war.
Heuer: Aber irgendwas ist faul, das sagen Sie.
"Das ist das Skandalöse der FIFA"
Stenger: Das ist völlig klar. Das ist der Verdienst des "Spiegel", der hat nicht bewiesen, aus meiner Sicht, dass die WM gekauft wurde. Aber es ist längst bewiesen, dass hier irgendetwas faul im Fußballstaat Deutschland ist, dass hier in irgendeiner Art und Weise ganz, ganz kräftig gemauschelt wurde. Nur da sind wir nicht weitergekommen, weil einfach alles voran der Kronzeuge Bin Hammam bisher nicht vernommen wurde. Und wenn ich den einen Satz noch sagen darf: Das ist auch das Skandalöse der FIFA – es ist ja 2022 die WM in Katar, da könnte man Druck ausüben auf Katar vonseiten der FIFA. Und da tut der liebe Herr Infantino natürlich überhaupt nichts. So ist das halt in der ehrenwerten Gesellschaft.
Heuer: Aber, Herr Stenger, mit Verlaub, zu dieser ehrenwerten Gesellschaft haben Sie ja irgendwie auch gehört, waren zumindest ganz dicht dran an den wichtigen Protagonisten. Haben Sie als Pressesprecher in Ihrer Zeit Anfang der 2000er-Jahre denn überhaupt nichts mitbekommen von diesen Mauscheleien, wo Sie jetzt sagen, na ja, also irgendwas ist da schon dran faul?
Stenger: Nein, das kann ich immer wieder guten Gewissens behaupten, das war eine ganz kleine Gruppe im WM-Organisationskomitee, die das vorangetrieben hat. Sowohl die Mitarbeiter im WM-Organisationskomitee als auch ich, der sich mehr um die sportlichen Dinge der Nationalmannschaft gekümmert hat, sind bei allen Gerüchten, die da immer wieder mal rumwaberten, dann doch aus allen Wolken gefallen, mit welcher Dreistigkeit das gemacht wurde, als das im Sommer 2015 publik wurde.
Heuer: Aber Niersbach, Schmidt und Zwanziger sagen genau dasselbe: Das haben wir nur am Rande überhaupt mitbekommen, wir waren nicht involviert, wir waren nicht informiert, und wir sind erschüttert. Also war es nur Beckenbauer und die FIFA?
Stenger: Nein, nein, da muss ich Ihnen jetzt widersprechen, die drei – also Niersbach, Schmidt und Zwanziger - wehren sich massiv dagegen und sagen, es ist kein Betrug und das waren alles korrekte Zahlungen. Aber sie bestätigen natürlich schon, dass sie in diesen ganzen Dingen beteiligt waren, Niersbach weniger als Schmidt und Zwanziger. Und dann muss man noch mal differenzieren, als das erste Geld floss von Deutschland nach Katar, da war Zwanziger noch gar nicht im Amt, da waren es nur Niersbach und Schmidt.
Heuer: Okay. Herr Stenger, ich möchte mit Ihnen noch über den Fall Clemens Tönnies sprechen. Der ist ja Aufsichtsratschef bei Schalke, hat rassistische Bemerkungen gemacht, und gestern hat dann der Ehrenrat bei Schalke getagt und sich mit dem Thema beschäftigt. Eingangsfrage an Sie zu diesem Thema: Kennen Sie Clemens Tönnies persönlich?
Stenger: Ja, also ich habe jetzt keine ellenlangen Gespräche geführt, aber man begegnet sich immer wieder mal hin und wieder in der Fußballszene.
Heuer: Welchen Eindruck haben Sie, ist der ein Rassist?
Stenger: Also, es ist so ein hemdsärmeliger Fleischbaron, der in Schalke seine Lebenserfüllung gefunden hat und dadurch auch bekannt geworden ist. Ob er Rassist ist, das konnte ich in den Begegnungen nicht feststellen.
Heuer: Mit Ihnen hat er nicht über Afrikaner und die Zeugung von Kindern gesprochen.
"Das muss auch Folgen haben"
Stenger: Nein, ich sage nur ganz klipp und klar: Wer so was sagt, das sind klare rassistische Äußerungen, die einfach nicht toleriert werden können. Der Fußball betont ja immer seine Vorbildfunktion. Und dann leistet sich eines der Aushängeschilder, wenn man so sagen darf, eines großen Bundesligavereins eine solche Entgleisung. Das ist einfach unfassbar und muss auch Folgen haben und hat ja jetzt auch schon Folgen.
Heuer: Na, welche denn? Also die Folge ist, dass der Ehrenrat bei Schalke gestern Abend gesagt hat, rassistisch ist das nicht, was Clemens Tönnies gesagt hat, Tönnies sagt aber trotzdem, freiwillig verzichte ich jetzt mal drei Monate auf meine Amtsausführung. Und dann geht’s aber weiter. Was ist denn das für eine Konsequenz?
Stenger: Das ist die Konsequenz, die sich oberflächlich darstellt, wenn ich das jetzt so sagen darf. Wir werden am Mittwoch kommender Woche erstmals eine sehr spektakuläre Sitzung der neu gegründeten Ethikkommission, die es beim DFB seit 2016 gibt, haben. Und die Ethikkommission ist laut Satzung für alle im DFB zuständig für Integrität und Ansehen seiner Organe und Mitgliedsverbände. Und die DFL, zu der Schalke 04 gehört, ist ein Mitglied des DFB. Und deshalb wird diese Ethikkommission unter Vorsitz von Nikolaus Schneider, dem ehemaligen Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche, tagen. Und wenn er ein Verfahren vor der DFB-Sportgerichtsbarkeit einleitet, dann ist das jetzt erst mal so, dass sie drei Monate Zeit haben, die DFB-Sportrichter, den Fall aufzuwickeln und dann vielleicht eine härtere und weitere Strafe zu verkündigen.
Heuer: Und Herr Stenger, Sie glauben, deshalb die drei Monate Ruhepause für Clemens Tönnies jetzt?
Stenger: Bitte, das habe ich nicht verstanden.
Heuer: Wenn da drei Monate ins Land gehen können, das ist ja nun genau die Zeit, die Clemens Tönnies gerne pausieren möchte – Sie sehen da einen Zusammenhang.
"DFB-Ethikkommission und eventuell DFB-Sportgerichtsbarkeit gefordert"
Stenger: Ja, nein, er möchte gern ein bisschen aus der Schusslinie kommen und dass da Ruhe kommt. Aber jetzt ist die DFB-Ethikkommission und dann eventuell die DFB-Sportgerichtsbarkeit gefordert, um zu sagen: Hier ist ein Mann des deutschen Fußballs, der hat dem Ansehen erheblich geschadet. Und belassen wir es nicht nur damit, dass der drei Monate eine Auszeit nimmt, sondern wir sprechen eine höhere Strafe gegen ihn aus.
Heuer: Und welche wünschen Sie sich?
Stenger: Ich denke, für die Glaubwürdigkeit des gesamten deutschen Fußballs wäre es gut, wenn ein Zeichen gesetzt wird. Ich glaube nicht, dass der lebenslang gesperrt wird, aber ich denke, dass eine längere Bestrafung – ich sag jetzt einfach mal ein Jahr, um einen Maßstab zu nehmen – noch mal deutlich ist. Man kann doch nicht so was Dummes in die Welt setzen und dann sagen, jetzt mach ich mal drei Monate Pause, und dann bin ich wieder da, Freunde. Da ist die DFB-Ethikkommission und die DFB-Sportgerichtsbarkeit, die ja unabhängig ist, wirklich gefordert. Und da habe ich große Hoffnung.
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