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Anleihenkäufe der EZB
Protokolle offenbaren Unstimmigkeiten

Im Dezember sagte EZB-Präsident Mario Draghi, der Rat der Europäischen Zentralbank habe einstimmig beschlossen, den Ankauf von Staatsanleihen bis Ende 2017 zu verlängern - trotz steigender Inflationsraten. Ein Blick in die Protokolle jedoch verrät, dass die Beschlüsse keineswegs einstimmig gefasst wurden. Warum umgeht Draghi die ganze Wahrheit?

Von Michael Braun |
    Mario Draghi hat die Augen geschlossen, im Hintergrund ist ein Eurozeichen zu sehen.
    Verschließt Mario Draghi die Augen vor Opponenten im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB)? (dpa/ picture-alliance/ Arne Dedert)
    Einigkeit macht stark. Das wünscht sich auch Mario Draghi für die Europäische Zentralbank. Etwas unvermittelt teilte er mit, der Rat der Europäischen Zentralbank habe am vorigen Donnerstag einstimmig die Beschlüsse vom Dezember gutgeheißen, also die Beschlüsse, den Aufkauf von Staatsanleihen trotz steigender Inflationsrate bis Ende 2017 zu verlängern, wenn auch monatlich von 80 auf 60 Milliarden Euro zu kürzen:
    "In der Diskussion wurde beim Rückblick auf die Dezemberbeschlüsse einstimmig festgestellt: Diese Beschlüsse waren die richtigen Antworten auf die geldpolitische Lage im Dezember."
    Im Dezember herrschte keineswegs Einstimmigkeit
    Wie das? Erst einige Tage zuvor hatte die EZB die Protokolle der Ratssitzung vom Dezember veröffentlicht. Und darin hieß es mehrfach, es habe nur "weitgehend" Einigkeit geherrscht. Und an einer Stelle stand: "Einige Mitglieder vermochten sich angesichts ihrer bekannten Skepsis" gegenüber den Anleihekäufen "für keine der [… ] vorgeschlagenen Optionen auszusprechen".
    Das Protokoll also offenbarte, dass im Dezember keineswegs Einstimmigkeit geherrscht hatte. Die geldpolitischen Beobachter in Frankfurt registrieren solche Widersprüche. Sie lesen die Protokolle der Ratssitzungen, die seit 2015 veröffentlicht werden. Für Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Helaba, bedeuten sie einen Mehrwert an Information:
    "Weil natürlich in der Öffentlichkeit auch teilweise immer wieder die Fragen aufkommen: Wird das alles allein entschieden oder haben die anderen auch noch andere Meinungen. Und deswegen ist das sehr wichtig, dass wir die Protokolle haben und nachlesen können."
    Wer opponierte, steht nicht im Protokoll
    Und da wurde eben offenbar, dass die Beschlüsse nicht einstimmig gefasst wurden. Wer opponierte, steht nicht im Protokoll. Man darf annehmen, dass es unter anderem Bundesbankpräsident Jens Weidmann war. Und vorigen Donnerstag, als die Dezember-Beschlüsse einstimmig gutgeheißen wurden, waren seine Einwände verflogen? Haben die Gegner von Dezember klein beigegeben? Dazu sagte Draghi vorige Woche, der Rat kenne keine Selbstbezichtigung wie einst das maoistische China:
    "We don’t have public admission of guilty, mao-chinese style as way of working.”
    Die wahre Antwort gab Draghi nicht: die nämlich, dass Weidmann vorige Woche als Folge normaler Stimmrechtsrotation kein Stimmrecht hatte. Er hätte auch vorige Woche großen Widerstand äußern können – im Abstimmungsergebnis hätte das keine Rolle gespielt.
    "Draghi möchte sich so den Rücken stärken"
    Warum führt Draghi an der ganzen Wahrheit vorbei? Die Vermutung von Gertrud Traud:
    "Der Widerstand in Deutschland oder in anderen Ländern ist sehr, sehr hoch. Und man sagt: Wieso brauchen wir jetzt Staatsanleihekäufe, wenn die Konjunktur richtig gut brummt und wenn noch die Inflation ansteigt? Und wenn er dann sagen kann, wir sind alle dieser Meinung, auch die Vertreter eurer Länder, so möchte er sich den Rücken stärken."
    Die Pole, die an Draghi zerren: Deutschland, Finnland und die baltischen Staaten, die Inflation fürchten, einerseits und andererseits Italien, dessen hohe Schulden eine Inflation wegfressen würde.