Die Buchpremiere hat Adam Michnik, einer der wichtigsten Meinungsmacher Polens, nicht miterlebt. Der spätere Weggefährte von Solidarnosc-Chef Lech Walesa, heute seit über 20 Jahren Chefredakteur der Gazeta Wyborcza, saß gerade im Gefängnis, weil er 1968 die antisemitischen Säuberungen des Kommunistischen Regimes an den Universitäten und Schulen lautstark kritisiert hatte.
"Ich möchte daran erinnern, in welcher Zeit das Buch erschien: 1970, das war kurz nachdem Polen lange und ausdauernd in Fäkalien gebadet hat, was eine eklige, schreckliche Erfahrung war, der Niedergang des polnischen Bewusstseins, das von Antisemitismus zugeschüttet war. Das Buch von Anna Morawska und die Bonhoeffer-Schriften waren für uns ein Schlüsselerlebnis, eine überaus erfrischende Lektüre."
Antisemitismus, so Michnik, sei keineswegs nur ein Problem von damals. Gut zehn Jahre nach seinem Erscheinen, kurz nachdem 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt worden war, hat er das Buch dann gelesen. Er war wieder im Gefängnis. Auf schlechtem Papier gedruckt ging es unter den politischen Häftlingen, die gegen das kommunistische Regime kämpften, von Hand zu Hand. Denn die Auseinandersetzung mit Dietrich Bonhoeffer, dem Pfarrer, der so rücksichts- wie erfolglos gegen das Hitlerregime ankämpfte, wurde als eine Anleitung zum Widerstand - nun gegen die rote Diktatur – verstanden. Tadeusz Masowiecki, der erste frei gewählte Ministerpräsident Polens, 1970 noch Journalistenkollege von Anna Morawska, erinnerte sich an jene neu erlangte Aktualität des Bonhoeffer-Buches.
"Ich vergleiche nicht die Situation Bonhoeffers mit unserer damals. Sie war anders, dramatisch. Aber auch unsere Lage war aussichtslos. An Bonhoeffer war sein Glaube faszinierend, seine Hoffnung und seine Bereitschaft, sich aufzuopfern, auch wenn sich seine Ideale nicht zu seinen Lebzeiten würden verwirklichen lassen."
Anna Morawska hat den Werdegang des Pfarrers Bonhoeffer, der wegen seiner Beteiligung an der Verschwörung gegen Hitler hingerichtet wurde, nachgezeichnet, und mindestens ebenso gründlich sein Umfeld analysiert, gegen das er nicht ankam.
Krieg, die deutsche Besatzung Polens und die Shoah, schließlich die Vertreibung von Millionen Menschen haben Polen und Deutschland weit voneinander entfernt. Eine Wiederannäherung würde nur gelingen können, wenn die neu entstandenen Wissenslücken gefüllt werden würden, denn Kenntnis sei die Voraussetzung von Verstehen und Aufeinanderzugehen, so Anna Morawska.
Zunächst wollte sie selbst begreifen, wie sich in einem Land ein derart menschenverachtendes System wie das Hitlerregime etablieren konnte. Wie die Kirche zulassen konnte, dass unter ihrem Dach Tyrannen als Götzen verehrt wurden, Rassismus unterstützt, Krieg gebilligt wurde, warum es der Kirche weit wichtiger war, als Institution zu überleben, als sich für die Entrechteten einzusetzen. Warum sich so wenige Deutsche der nationalsozialistischen Diktatur widersetzten.
Dieser mentale Widerstand gegen ein Aufbegehren war in Europa so einzigartig, dass wir Polen das nicht nachvollziehen können, weil es in unseren Augen ein Kult der Obrigkeit ist, egal, wie diese Obrigkeit aussieht.
Ihr Urteil über den deutschen Widerstand tut noch heute weh, denn die Publizistin und Katholikin spricht ihm ab, eine organisierte Bewegung gewesen zu sein. Vielmehr habe es sich außer bei den Kommunisten lediglich um mutige Einzelkämpfer gehandelt.
Mit drei Thesen forderte die Autorin seinerzeit das kommunistische Regime wie auch die Leser heraus.
Erstens: Es gibt auch gute Deutsche, Beispiel Bonhoeffer, der die Niederlage des barbarischen Vaterlandes herbeisehnte. Ein Tabubruch, denn die kommunistische Propaganda ließ nur Schwarz-Weiß-Malerei zu.
Zweitens: Die Kirchen haben im Dritten Reich versagt. Eine Feststellung, die die Polen aufhorchen ließ. Tadeusz Masowiecki, der erste Ministerpräsident der freien Republik, erklärt, dass seine Landsleute damit auch etwas über sich gelernt haben.
"Die Situation der katholischen Kirche in Polen kann man nicht mit der in Deutschland vergleichen. Die polnische Kirche widersetzte sich dem totalitären Regime, durchlebte eine Evolution, die Nation wurde auch durch die Kirche verteidigt, zum Schutz der Menschenrechte."
Morawskas dritte These, dass nämlich die Deutschen, wieder im Unterschied zu den Polen, angeblich zum Widerstand unfähig sind, begründete sie ausgerechnet mit Hegel und Kant und rührte am deutschen Verständnis der Kulturnation.
Nach Kant haben die Machthaber immer straffrei zu bleiben, selbst dann, wenn sie die Macht eingebüßt haben, und wer immer die Machthaber belangen möchte, begeht eine Tat, die "zum Himmel" schreit. Zwar gab es den kategorischen Imperativ, aber – wie es Hegel ausdrückte, "könne es keine Sache geben, die nicht zum moralischen Gesetz werden könnte".
1970, als die Polen den Deutschen durchaus noch alles Böse zutrauten, dürfte dieser Gedanke weniger Aufregung verursacht haben als bei der Vorstellung der deutschen Ausgabe Ende vorigen Jahres in Warschau. Alt-Bischof Wolfgang Huber, Herausgeber der 16-bändigen Bonhoeffer-Ausgabe, weist Morawskas Lesart deutlich zurück.
"Freimütig muss ich zugeben, dass ich diese Passagen nicht für die stärksten des Buches halte. Es gibt ja ohnehin nichts Schwierigeres, als kollektive Volkscharaktere zu beschreiben. Und die Versuche, die deutsche Katastrophe des 20. Jahrhunderts dadurch zu erklären, dass man sie entweder auf die genealogische Linie Luther – Bismarck - Hitler oder auf die philosophische Linie Kant – Hegel - Versagen der Intellektuellen 1933 zurückführt, solche Genealogien unterschätzen die genuine Verantwortung jeder Generation, auf die Herausforderungen zu antworten, die dieser Generation gestellt sind."
Als Anna Morawska ihr Buch vor nunmehr über 40 Jahren in Polen veröffentlichte, unterstützte sie damit ganz gezielt das soeben begonnene Aufeinanderzugehen der Länder mit Hilfe der evangelischen wie katholischen Kirche. Polnische Bischöfe hatten in einem Brief an ihre deutschen Glaubensbrüder Versöhnung angeboten und um Vergebung gebeten. Ganz Polen war empört, allen voran die kommunistische Führung, die lieber die Feindschaft zu Deutschland, vor allem zur Bundesrepublik, zementiert hätte. Am Ende des Jahres, als ihr Buch erschien, am 7. Dezember 1970, sank Willy Brandt vor dem Ehrenmal der Ghettohelden in Warschau auf die Knie und bat für Deutschland um Vergebung.
Anna Morawska: Dietrich Bonhoeffer. Ein Christ im Dritten Reich.
Aschendorff Verlag, 290 Seiten, 24,80 Euro
ISBN: 978-3-40212-931-9
"Ich möchte daran erinnern, in welcher Zeit das Buch erschien: 1970, das war kurz nachdem Polen lange und ausdauernd in Fäkalien gebadet hat, was eine eklige, schreckliche Erfahrung war, der Niedergang des polnischen Bewusstseins, das von Antisemitismus zugeschüttet war. Das Buch von Anna Morawska und die Bonhoeffer-Schriften waren für uns ein Schlüsselerlebnis, eine überaus erfrischende Lektüre."
Antisemitismus, so Michnik, sei keineswegs nur ein Problem von damals. Gut zehn Jahre nach seinem Erscheinen, kurz nachdem 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt worden war, hat er das Buch dann gelesen. Er war wieder im Gefängnis. Auf schlechtem Papier gedruckt ging es unter den politischen Häftlingen, die gegen das kommunistische Regime kämpften, von Hand zu Hand. Denn die Auseinandersetzung mit Dietrich Bonhoeffer, dem Pfarrer, der so rücksichts- wie erfolglos gegen das Hitlerregime ankämpfte, wurde als eine Anleitung zum Widerstand - nun gegen die rote Diktatur – verstanden. Tadeusz Masowiecki, der erste frei gewählte Ministerpräsident Polens, 1970 noch Journalistenkollege von Anna Morawska, erinnerte sich an jene neu erlangte Aktualität des Bonhoeffer-Buches.
"Ich vergleiche nicht die Situation Bonhoeffers mit unserer damals. Sie war anders, dramatisch. Aber auch unsere Lage war aussichtslos. An Bonhoeffer war sein Glaube faszinierend, seine Hoffnung und seine Bereitschaft, sich aufzuopfern, auch wenn sich seine Ideale nicht zu seinen Lebzeiten würden verwirklichen lassen."
Anna Morawska hat den Werdegang des Pfarrers Bonhoeffer, der wegen seiner Beteiligung an der Verschwörung gegen Hitler hingerichtet wurde, nachgezeichnet, und mindestens ebenso gründlich sein Umfeld analysiert, gegen das er nicht ankam.
Krieg, die deutsche Besatzung Polens und die Shoah, schließlich die Vertreibung von Millionen Menschen haben Polen und Deutschland weit voneinander entfernt. Eine Wiederannäherung würde nur gelingen können, wenn die neu entstandenen Wissenslücken gefüllt werden würden, denn Kenntnis sei die Voraussetzung von Verstehen und Aufeinanderzugehen, so Anna Morawska.
Zunächst wollte sie selbst begreifen, wie sich in einem Land ein derart menschenverachtendes System wie das Hitlerregime etablieren konnte. Wie die Kirche zulassen konnte, dass unter ihrem Dach Tyrannen als Götzen verehrt wurden, Rassismus unterstützt, Krieg gebilligt wurde, warum es der Kirche weit wichtiger war, als Institution zu überleben, als sich für die Entrechteten einzusetzen. Warum sich so wenige Deutsche der nationalsozialistischen Diktatur widersetzten.
Dieser mentale Widerstand gegen ein Aufbegehren war in Europa so einzigartig, dass wir Polen das nicht nachvollziehen können, weil es in unseren Augen ein Kult der Obrigkeit ist, egal, wie diese Obrigkeit aussieht.
Ihr Urteil über den deutschen Widerstand tut noch heute weh, denn die Publizistin und Katholikin spricht ihm ab, eine organisierte Bewegung gewesen zu sein. Vielmehr habe es sich außer bei den Kommunisten lediglich um mutige Einzelkämpfer gehandelt.
Mit drei Thesen forderte die Autorin seinerzeit das kommunistische Regime wie auch die Leser heraus.
Erstens: Es gibt auch gute Deutsche, Beispiel Bonhoeffer, der die Niederlage des barbarischen Vaterlandes herbeisehnte. Ein Tabubruch, denn die kommunistische Propaganda ließ nur Schwarz-Weiß-Malerei zu.
Zweitens: Die Kirchen haben im Dritten Reich versagt. Eine Feststellung, die die Polen aufhorchen ließ. Tadeusz Masowiecki, der erste Ministerpräsident der freien Republik, erklärt, dass seine Landsleute damit auch etwas über sich gelernt haben.
"Die Situation der katholischen Kirche in Polen kann man nicht mit der in Deutschland vergleichen. Die polnische Kirche widersetzte sich dem totalitären Regime, durchlebte eine Evolution, die Nation wurde auch durch die Kirche verteidigt, zum Schutz der Menschenrechte."
Morawskas dritte These, dass nämlich die Deutschen, wieder im Unterschied zu den Polen, angeblich zum Widerstand unfähig sind, begründete sie ausgerechnet mit Hegel und Kant und rührte am deutschen Verständnis der Kulturnation.
Nach Kant haben die Machthaber immer straffrei zu bleiben, selbst dann, wenn sie die Macht eingebüßt haben, und wer immer die Machthaber belangen möchte, begeht eine Tat, die "zum Himmel" schreit. Zwar gab es den kategorischen Imperativ, aber – wie es Hegel ausdrückte, "könne es keine Sache geben, die nicht zum moralischen Gesetz werden könnte".
1970, als die Polen den Deutschen durchaus noch alles Böse zutrauten, dürfte dieser Gedanke weniger Aufregung verursacht haben als bei der Vorstellung der deutschen Ausgabe Ende vorigen Jahres in Warschau. Alt-Bischof Wolfgang Huber, Herausgeber der 16-bändigen Bonhoeffer-Ausgabe, weist Morawskas Lesart deutlich zurück.
"Freimütig muss ich zugeben, dass ich diese Passagen nicht für die stärksten des Buches halte. Es gibt ja ohnehin nichts Schwierigeres, als kollektive Volkscharaktere zu beschreiben. Und die Versuche, die deutsche Katastrophe des 20. Jahrhunderts dadurch zu erklären, dass man sie entweder auf die genealogische Linie Luther – Bismarck - Hitler oder auf die philosophische Linie Kant – Hegel - Versagen der Intellektuellen 1933 zurückführt, solche Genealogien unterschätzen die genuine Verantwortung jeder Generation, auf die Herausforderungen zu antworten, die dieser Generation gestellt sind."
Als Anna Morawska ihr Buch vor nunmehr über 40 Jahren in Polen veröffentlichte, unterstützte sie damit ganz gezielt das soeben begonnene Aufeinanderzugehen der Länder mit Hilfe der evangelischen wie katholischen Kirche. Polnische Bischöfe hatten in einem Brief an ihre deutschen Glaubensbrüder Versöhnung angeboten und um Vergebung gebeten. Ganz Polen war empört, allen voran die kommunistische Führung, die lieber die Feindschaft zu Deutschland, vor allem zur Bundesrepublik, zementiert hätte. Am Ende des Jahres, als ihr Buch erschien, am 7. Dezember 1970, sank Willy Brandt vor dem Ehrenmal der Ghettohelden in Warschau auf die Knie und bat für Deutschland um Vergebung.
Anna Morawska: Dietrich Bonhoeffer. Ein Christ im Dritten Reich.
Aschendorff Verlag, 290 Seiten, 24,80 Euro
ISBN: 978-3-40212-931-9