Hier und da wird jetzt schon mal darauf hingewiesen, dass Deutschland kein demographisches Problem hätte, wenn es die Abtreibung nicht gäbe. Aber mit dieser Thematik sind noch ganz andere Problemfelder verbunden, sie gewinnen in der Sozialethik zunehmend an Bedeutung. Der Osnabrücker Professor Manfred Spieker gehört zu den führenden Sozialethikern in Deutschland. Manche bezeichnen ihn als umstritten, das ist eine Vokabel, die im politisch-medialen Betrieb gern auf jene angewandt wird, die der politischen Korrektheit nicht genügen. Insofern ist Spieker durchaus streitbar.
Das wird auch in seinem neuesten Buch deutlich, in dem er die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland in Lebensrechtsfragen auf den Prüfstand stellt. "Der verleugnete Rechtsstaat" heißt es, dieses Buch, es sind, wie der Untertitel sagt, Anmerkungen zur Kultur des Todes in Europa. Behandelt werden Themen, die gerade in der letzten Legislaturperiode debattiert wurden, also embryonale Stammzellforschung, aktive Sterbehilfe, Spätabtreibung, In-Vitro-Fertilisation, Präimplantationsdiagnostik – oft Begriffe, die etwas sperrig daherkommen, unter denen man sich nicht immer etwas vorstellen kann.
Herr Professor Spieker, der verleugnete Rechtsstaat ist eine Aussage, ist es auch eine Kampfansage, glauben Sie an die wenigstens juristische Reparatur dieses Staatswesens?
Manfred Spieker:
Es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft, Kampfansagen an die Politik oder an wen auch immer zu machen, so wenig wie es ihre Aufgabe ist, der Political Correctness zu entsprechen. Es ist ihre Aufgabe, auf Probleme hinzuweisen, der Wahrheit treu zu bleiben, ihr möglichst nahe zu kommen. Und was die Hoffnung auf eine Korrektur betrifft, so würde ich als Staatsbürger sagen, die gebe ich nie auf in einem Rechtsstaat, als Wissenschaftler würde ich dasselbe sagen und als Christ würde ich das erst recht sagen.
Liminski: Herr Spieker, Ihr Buch erscheint zu einer Zeit, da eine neue Regierung in Deutschland antritt. Sie wird sich mit diesen Fragen vielleicht auch beschäftigen. Im Ausland ist das bereits der Fall. Sehen Sie Trendwenden im Lebensschutz – so lautet ja auch ein Kapitel - z. B. in Amerika?
Spieker: Ja. Durch die Administration Bush, die die partial birth-abortion, also die Teilgeburtsabtreibung, eine ganz besonders drastische und grausame Methode der Abtreibung, verboten hat, auch wenn sich dort noch der Oberste Gerichtshof damit befassen wird. Auch in der öffentlichen Meinung hat das Pro-Life-Lager in etwa die Stärke des Pro-Choice-Lagers erreicht. Aber ich sehe solche Trendwenden auch in verschiedenen europäischen Ländern, in Polen, ganz deutlich. Polen ist geradezu ein Labor, wo man sehen kann, wie die Änderung des Abtreibungsstrafrechts auch Änderungen in der Gesellschaft bewirkt. Dasselbe gilt für Italien im Hinblick auf die Reproduktionsmedizin. Dort hat sich eine Trendwende Anfang 2004 abgezeichnet, die dann auch durch das Referendum in diesem Sommer bestätigt wurde. Ich sehe solche Trendwenden in Portugal. Ja, bei uns lässt die Trendwende noch auf sich warten. Allerdings kann man auch sagen, nur im Abtreibungstrafrecht haben wir besonders schwerwiegende Defekte in unserem Rechtsstaat festzustellen. In der Reproduktionsmedizin, in der Präimplantationsdiagnostik, in der Stammzellforschung gehört Deutschland durchaus noch zu den Ländern mit relativ restriktiven Regelungen.
Liminski: Sozialwissenschaftler und Ökonome beklagen das Fehlen von Kindern. Sie rechnen vor, dass Millionen Kinder seit der Liberalisierung der Abtreibungsgesetze vom gesellschaftlichen und ökonomischen Kreislauf ausgeschlossen wurden. Glauben Sie denn, dass das demographische Desaster zu einer Rückbesinnung auch in Deutschland führt?
Spieker: Die demographische Entwicklung zu ändern das gleicht wirklich der Kursänderung eines schweren Tankers. Die ist also nur sehr langsam vorzunehmen. Fakt ist, dass seit der Freigabe der Abtreibung 1974 über acht Millionen ungeborene Kinder getötet wurden. Geht man davon aus, dass die Dunkelziffer, die Schätzziffer der Abtreibungen, die vor der Freigabe 1974 gegolten hat, die am plausibelste ist, nämlich rund 100.000 Abtreibungen pro Jahr, geht man also davon aus, dass die in den dreißig Jahren weiterhin gegolten hätte, dann müsste man von den acht Millionen etwa drei Millionen abziehen. Aber dann bleiben immer noch fünf Millionen, die der neuen Abtreibungsregelung, erst der Indikationsregelung, dann der Fristenregelung mit Beratungspflicht zuzuschreiben sind. Ich habe mit Demographen gesprochen. Es gibt Demographen wie Herwig Birk, die sagen, wir hätten kein demographisches Problem, wenn es diese fünf Millionen gäbe, wenn sie nicht getötet worden wären. Dass allein der Hinweis auf die Abtreibungsstatistik die demographische Entwicklung ändern wird, glaube ich eher nicht, denn um bereit zu sein, Kindern das Leben zu schenken, gehört mehr dazu, als die Angst vor schwerwiegenden Beeinträchtigungen der ökonomischen oder der wissenschaftlichen Entwicklung. Dazu gehört die Freude am Kind, die Freude am Leben, das Ja zu sich selbst, zum Ehepartner. Also, da müssen viele Faktoren zusammenkommen.
Liminski: "Anmerkung zur Kultur des Todes" heißt der Untertitel Ihres Buches. Was ist für Sie die Kultur des Todes?
Spieker: Das ist in der Tat ein sperriger Begriff. Für mich ist Kultur des Todes ein Verhalten einerseits und gesellschaftliche Strukturen andererseits, die das Töten gesellschaftsfähig machen wollen, die es als medizinische Dienstleistung präsentieren wie im ganzen Abtreibungsreglement oder eben als Verheißung für neue Therapien und die Heilung bisher unheilbarer Krankheiten wie in der Stammzellforschung. Also, Kultur des Todes ist ein Bemühen, das Töten Unschuldiger vom Geruch des Verbrechens zu befreien und entweder als sozialstaatliche oder medizinische Dienstleistung zu präsentieren, gesellschaftsfähig zu machen. Und da sind wir leider doch schon recht weit.
Das war Manfred Spieker zu seinem Buch "Der verleugnete Rechtsstaat – Anmerkungen zur Kultur des Todes", erschienen bei Schöningh in Paderborn, das Buch hat 216 Seiten und kostet 19 Euro neunzig.
Das wird auch in seinem neuesten Buch deutlich, in dem er die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland in Lebensrechtsfragen auf den Prüfstand stellt. "Der verleugnete Rechtsstaat" heißt es, dieses Buch, es sind, wie der Untertitel sagt, Anmerkungen zur Kultur des Todes in Europa. Behandelt werden Themen, die gerade in der letzten Legislaturperiode debattiert wurden, also embryonale Stammzellforschung, aktive Sterbehilfe, Spätabtreibung, In-Vitro-Fertilisation, Präimplantationsdiagnostik – oft Begriffe, die etwas sperrig daherkommen, unter denen man sich nicht immer etwas vorstellen kann.
Herr Professor Spieker, der verleugnete Rechtsstaat ist eine Aussage, ist es auch eine Kampfansage, glauben Sie an die wenigstens juristische Reparatur dieses Staatswesens?
Manfred Spieker:
Es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft, Kampfansagen an die Politik oder an wen auch immer zu machen, so wenig wie es ihre Aufgabe ist, der Political Correctness zu entsprechen. Es ist ihre Aufgabe, auf Probleme hinzuweisen, der Wahrheit treu zu bleiben, ihr möglichst nahe zu kommen. Und was die Hoffnung auf eine Korrektur betrifft, so würde ich als Staatsbürger sagen, die gebe ich nie auf in einem Rechtsstaat, als Wissenschaftler würde ich dasselbe sagen und als Christ würde ich das erst recht sagen.
Liminski: Herr Spieker, Ihr Buch erscheint zu einer Zeit, da eine neue Regierung in Deutschland antritt. Sie wird sich mit diesen Fragen vielleicht auch beschäftigen. Im Ausland ist das bereits der Fall. Sehen Sie Trendwenden im Lebensschutz – so lautet ja auch ein Kapitel - z. B. in Amerika?
Spieker: Ja. Durch die Administration Bush, die die partial birth-abortion, also die Teilgeburtsabtreibung, eine ganz besonders drastische und grausame Methode der Abtreibung, verboten hat, auch wenn sich dort noch der Oberste Gerichtshof damit befassen wird. Auch in der öffentlichen Meinung hat das Pro-Life-Lager in etwa die Stärke des Pro-Choice-Lagers erreicht. Aber ich sehe solche Trendwenden auch in verschiedenen europäischen Ländern, in Polen, ganz deutlich. Polen ist geradezu ein Labor, wo man sehen kann, wie die Änderung des Abtreibungsstrafrechts auch Änderungen in der Gesellschaft bewirkt. Dasselbe gilt für Italien im Hinblick auf die Reproduktionsmedizin. Dort hat sich eine Trendwende Anfang 2004 abgezeichnet, die dann auch durch das Referendum in diesem Sommer bestätigt wurde. Ich sehe solche Trendwenden in Portugal. Ja, bei uns lässt die Trendwende noch auf sich warten. Allerdings kann man auch sagen, nur im Abtreibungstrafrecht haben wir besonders schwerwiegende Defekte in unserem Rechtsstaat festzustellen. In der Reproduktionsmedizin, in der Präimplantationsdiagnostik, in der Stammzellforschung gehört Deutschland durchaus noch zu den Ländern mit relativ restriktiven Regelungen.
Liminski: Sozialwissenschaftler und Ökonome beklagen das Fehlen von Kindern. Sie rechnen vor, dass Millionen Kinder seit der Liberalisierung der Abtreibungsgesetze vom gesellschaftlichen und ökonomischen Kreislauf ausgeschlossen wurden. Glauben Sie denn, dass das demographische Desaster zu einer Rückbesinnung auch in Deutschland führt?
Spieker: Die demographische Entwicklung zu ändern das gleicht wirklich der Kursänderung eines schweren Tankers. Die ist also nur sehr langsam vorzunehmen. Fakt ist, dass seit der Freigabe der Abtreibung 1974 über acht Millionen ungeborene Kinder getötet wurden. Geht man davon aus, dass die Dunkelziffer, die Schätzziffer der Abtreibungen, die vor der Freigabe 1974 gegolten hat, die am plausibelste ist, nämlich rund 100.000 Abtreibungen pro Jahr, geht man also davon aus, dass die in den dreißig Jahren weiterhin gegolten hätte, dann müsste man von den acht Millionen etwa drei Millionen abziehen. Aber dann bleiben immer noch fünf Millionen, die der neuen Abtreibungsregelung, erst der Indikationsregelung, dann der Fristenregelung mit Beratungspflicht zuzuschreiben sind. Ich habe mit Demographen gesprochen. Es gibt Demographen wie Herwig Birk, die sagen, wir hätten kein demographisches Problem, wenn es diese fünf Millionen gäbe, wenn sie nicht getötet worden wären. Dass allein der Hinweis auf die Abtreibungsstatistik die demographische Entwicklung ändern wird, glaube ich eher nicht, denn um bereit zu sein, Kindern das Leben zu schenken, gehört mehr dazu, als die Angst vor schwerwiegenden Beeinträchtigungen der ökonomischen oder der wissenschaftlichen Entwicklung. Dazu gehört die Freude am Kind, die Freude am Leben, das Ja zu sich selbst, zum Ehepartner. Also, da müssen viele Faktoren zusammenkommen.
Liminski: "Anmerkung zur Kultur des Todes" heißt der Untertitel Ihres Buches. Was ist für Sie die Kultur des Todes?
Spieker: Das ist in der Tat ein sperriger Begriff. Für mich ist Kultur des Todes ein Verhalten einerseits und gesellschaftliche Strukturen andererseits, die das Töten gesellschaftsfähig machen wollen, die es als medizinische Dienstleistung präsentieren wie im ganzen Abtreibungsreglement oder eben als Verheißung für neue Therapien und die Heilung bisher unheilbarer Krankheiten wie in der Stammzellforschung. Also, Kultur des Todes ist ein Bemühen, das Töten Unschuldiger vom Geruch des Verbrechens zu befreien und entweder als sozialstaatliche oder medizinische Dienstleistung zu präsentieren, gesellschaftsfähig zu machen. Und da sind wir leider doch schon recht weit.
Das war Manfred Spieker zu seinem Buch "Der verleugnete Rechtsstaat – Anmerkungen zur Kultur des Todes", erschienen bei Schöningh in Paderborn, das Buch hat 216 Seiten und kostet 19 Euro neunzig.