Den Besuchern der Ausstellung "Restaurieren nach dem Brand. Die Rettung der Bücher der Herzogin Anna Amalia Bibliothek" erwarten Leichen, Schwer- und Schwerstverletzte, offene Wunden und Operationsbilder. Nichts für schwache Nerven. Aber nicht Menschen sind die Opfer, sondern Bücher. 118.000 wurden geschädigt, als am Abend des 2. September 2004 der Dachstuhl und die oberste Galerie des Rokokosaals der historischen Bibliothek abbrannten. Es würde Jahrzehnte dauern, diese Bücher zu restaurieren, schätze damals Bibliotheksdirektor Michale Knoche. Heute erinnerte er daran.
"Wir haben uns immer als eine Einrichtung der kulturellen Überlieferung verstanden, die die Originale so gut es geht, eben weiter tradiert. Und wir sind grandios gescheitert in dieser Rolle und versuchen das jetzt durch intelligentes Brandfolgenmanagement die Schäden so zu minimieren, wie es eben möglich ist. Und in diesem Brandfolgenmanagement ist das Ziel eigentlich das Gleiche, das wir vorher hatten, nämlich die Bewahrung der Originale."
Die Frage, was das Original überhaupt ausmacht, war die zentrale, als man sich in Weimar vor zehn Jahren Gedanken darüber machte, was und wie restauriert werden sollte. Noch nie in der Geschichte hat es ein derartig großes Buch-Restaurierungsprojekt gegeben. Da könne man sich leicht verzetteln und das Ziel aus den Augen verlieren, gibt Ulrike Hähner zu bedenken, sie ist Professorin für Buch-Restaurierung.
"Der Schlüssel zum Erfolg in Weimar ist eine sehr genaue Zielstellung. Man hat genau festgelegt, welche Beschädigungen man behandeln möchte. Man hat in dem Zusammenhang auch Benutzung neu definiert. Man hat den Mut gehabt zu sagen, "Wenn ein Buch sich in einem bestimmten Winkel aufschlagen lässt, müssen wir im Grunde nicht weiter restaurieren, weil wir, wenn wir restaurieren würden, die Substanz und die originalen Informationen verändern würden."
27 Werkstätten europaweit
Die Einbände beschädigter Bücher wurden europaweit in 27 verschiedenen Werkstätten wiederhergestellt, nach einheitlichen Kriterien. Es ging dabei nicht darum, die Brandschäden unsichtbar zu machen. Sie sollen den Büchern als Teil ihrer Geschichte eingeschrieben bleiben. Ziel ist es, die Bücher langfristig im Original zu erhalten UND benutzen zu können. Dies gilt umso mehr für die Aschebücher, deren Umschläge vollständig verbrannt sind und deren Papierkörper von außen her angebrannt wurde. In einer Werkstatt der Anna-Amalia-Bibliothek wurde ein Verfahren entwickelt, mit dem im Massenbetrieb sogar stark angekohlte Seiten wieder in Form und geschmeidig gemacht werden. Sie müssen erhalten werden und benutzbar bleiben; um Schönheit ginge es nicht, betont Jürgen Weber, in der Anna Amalia Bibliothek für den Bestandserhalt zuständig.
"Wir stabilisieren das Papier, sodass sie es benutzen können; es ist wieder richtiges Papier. Und wir stellen dann geheftete Bücher her, die einen Schutzumschlag aus Konservierungskarton erhalten. Und der ist so konstruiert, dass sie das Buch leicht auf 180 Grad aufschlagen. Also, da haben sie jede Benutzung, und jede Digitalisierung ist dort möglich."
Die Ausstellung zeigt zunächst einmal, was Feuer und Wasser Büchern antut und wie es deren Einbände aus Pergament, Leinen oder Leder angreift oder zerstört. Im Original, in Mikroskop-Aufnahmen, in Grafiken, kurzen Filmen.
"Und der erste Ansatzpunkt für uns war: Wie stelle ich überhaupt ein beschädigtes Bu8ch aus? Es ist ja so: Die Bücher stehen nicht von sich aus, das ist klar, die sind verzogen. Die können sie aber auch nicht liegend präsentieren, denn die Einbandbezüge sind aufgeplatzt, die würden unter ihrem eigenen Gewicht weiter beschädigt werden. Wir haben die Bücher auf Podeste gestellt und haben in die Podeste quasi orthopädische Stützelemente eingezogen, die die Bücher aufrecht halten."
118.000 gerettete Bücher: Mengenrestaurierung
Die Schritte der verschiedenen Restaurierungstechniken werden sehr anschaulich demonstriert. Dabei verdeutlichen die Aussteller immer wieder, dass es nicht um liebevolle Detailrestaurierung geht, sondern um über 100.000 geschädigte Bücher. Mengenrestaurierung ist der Begriff, der durch den Anna-Amalia-Brand eine ganz neue Bedeutung bekommen hat. Die gewonnen Erkenntnisse zu dokumentieren und für die Zukunft, etwa für das Kölner Stadtarchiv und dessen Bestände, nutzbar zu machen, ist den Weimarern ein wichtiges Anliegen. Sie haben Pionierarbeit geleistet. Dies zeigt die Ausstellung "Restaurieren nach dem Brand" sehr deutlich – dem Laien wie dem Fachmann.