„Jetzt geht es wirklich um die harten Diskussionen“, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit Blick auf die gestartete zweite Hälfte der Weltklimakonferenz in Dubai.
Das Schwierigste ist nach Ansicht der Grünen-Politikerin, „wie wir definieren, dass man aus fossilen Energien aussteigt“, sagte Baerbock im Interview der Woche des Deutschlandfunks.
Mit Ländern wie Saudi-Arabien gebe es nach wie vor alte Ölstaaten, die vermeiden wollten, dass ein solcher Ausstieg in einer Abschlusserklärung festgehalten werde. „Aber auch in Krisenzeiten bin ich weiterhin Optimistin“, sagte Baerbock – sehr wohl in dem Wissen, dass selbst ein einzelner OPEC-Staat die erhoffte Einigung verhindern könnte.
Erstmals nicht die altbekannten geopolitischen Blöcke
In Dubai sei zu beobachten, dass ein kontinent-übergreifendes Bündnis für den globalen Ausstieg aus Öl und Gas werbe – darunter Industrieländer wie Deutschland, aber auch Tuvalu. Der pazifische Inselstaat ist unmittelbar vom steigenden Meeresspiegel bedroht. Baerbock: „Erstmalig haben wir eben nicht die alten geopolitischen Machtblöcke.“
Rückblickend hätten sich in der Klimaschutzdebatte durchaus Dinge zum Positiven verändert, sagte die Bundesaußenministerin. Beispiel: Weltklimakonferenz 2015 in Paris. „Wenn man da das Wort Kohleausstieg in den Mund genommen hat, dann hat einem im Zweifel gar keiner zugehört und gesagt, das ist wirklich eine Wahnvorstellung.“
Lage in Nahost: Zivile Opfer müssen bestmöglich vermieden werden
Die Lage in Gaza und Israel sei auch auf der Weltklimakonferenz in Dubai ein konstantes Thema, so Baerbock. „Wenn in direkter Nachbarschaft Menschen nicht wissen, ob sie am nächsten Tag etwas zu essen haben, jeden Tag Menschen sterben, dann lässt das hier niemanden kalt.“ Ebenso lasse es niemanden kalt, dass nach wie vor israelische Staatsbürgerinnen und -bürger in den Händen der Hamas sind.
Zugleich habe sie intensiv mit Israel darüber gesprochen, dass die Militäraktionen gezielter getätigt werden müssten. Denn es lasse ebenso niemanden kalt, wenn Tausende von Kindern im Gazastreifen sterben. „Der Kampf Israels gilt ja nicht unschuldigen Palästinenserinnen und Palästinensern, sondern der Terrororganisation Hamas.“ Zudem brauche es sichere Räume im Gazastreifen, in die sich die Bevölkerung zurückziehen könne.
Das Interview im Wortlaut
Ann-Kathrin Büüsker: Das Interview der Woche mit Ann-Kathrin Büüsker am Mikrofon und heute aus Dubai, wo die Weltklimakonferenz stattfindet. Und ich habe heute die Möglichkeit, mit Deutschlands oberster Verhandlerin zu sprechen, mit Außenministerin Annalena Baerbock.
Wir zeichnen dieses Interview am Samstagabend auf und meinem Gefühl nach war heute wirklich sehr viel Dynamik in diesem Verhandlungstag. Vielleicht nehmen Sie uns mal mit in diese heiße Phase der Verhandlung. Gehen Sie mit uns ein bisschen hinter die Kulissen. Was war heute das Schwierigste, vielleicht aber auch das schönste Gespräch, das erfolgreichste Gespräch?
Annalena Baerbock: Vielleicht kurz einmal beginnend, dass wir im zweiten Teil dieser Klimakonferenz sind. Das heißt, alle Ministerinnen und Minister sind jetzt da, weil es wirklich jetzt um die harten Diskussionen geht. Und deswegen ist das Schwierigste hier nach wie vor die Frage, wie wir definieren, dass man aus fossilen Energien aussteigt.
Es gibt nach wie vor alte, große Ölstaaten, die eben nicht so klar hier reinschreiben wollen, dass es einen Ausstieg aus fossiler Energie geben muss. Aber zugleich ist das eben auch die Chance auf dieser Klimakonferenz, dass wir erstmalig nicht die alten geopolitischen Blöcke haben, nicht die Machtblöcke, sondern dass sich hier ein Bündnis zusammengetan hat zwischen ganz unterschiedlichen Ländern.
Das war auch das Schönste heute auf diesem Klima-Tag, dass ich gemeinsam mit der Umweltministerin von Kolumbien, mit dem Minister aus Tuvalu, mit der Ministerin aus Kenia, mit der Ministerin aus Spanien und auch etlichen anderen auf einem Podium saß, wo wir deutlichgemacht haben: Kontinent übergreifend tun sich hier Staaten zusammen, die wissen, dass Klimaschutz nicht nur essenziell ist für unsere eigene Sicherheit. Sondern dass er auch für die wirtschaftliche Entwicklung in Industriestaaten wie Deutschland wichtig ist, auf Inselstaaten wie Tuvalu, dass sie nicht im Meer untergehen, oder auch lateinamerikanischen Ländern, die sagen, wir wollen nachhaltiges Wachstum haben. Und auch das geht nur, wenn wir in grüne Technologien investieren.
„Auch in diesen Krisenzeiten bin ich weiterhin Optimistin“
Büüsker: Gut, dass Klimaschutz wichtig ist, das ist jetzt keine Neuigkeit. Darauf hat sich die Welt auch 2015 im Pariser Abkommen verständigt und ein Ziel formuliert mit den 1,5 Grad, auf die man die Erderwärmung begrenzen möchte. Seitdem, das zeigt ja auch die globale Bestandsaufnahme, sind wir nicht so richtig viel besser geworden. Warum, würden Sie sagen, braucht es solche Klimakonferenzen trotzdem noch?
Baerbock: Weil wir schon in einer sogenannten 1,2-Grad-Welt, also Erderwärmung seit der Industrialisierung um 1,2 Grad, erleben, was die Klimakrise bedeutet: Bei uns furchtbares Hochwasser, die Ahrtalkatastrophe, wo Menschen ums Leben gekommen sind. Jetzt im Sommer auf Rhodos, dass Urlauber über Schiff evakuiert werden müssen. Im Amazonas erleben wir, dass nicht nur die grüne Lunge, sondern auch die Süßwasserquelle für die Region im wahrsten Sinne des Wortes vertrocknet.
Deswegen macht es eben einen Unterschied, ob wir bei der Klimabekämpfung vorankommen oder stehen bleiben. Da kann man jetzt sagen, ist das Glas halb voll oder halb leer. Auch in diesen Krisenzeiten bin ich weiterhin Optimistin. Und da sehen wir, dass wir seit Paris, also vor acht Jahren, von einer damals vorausberechneten Erderwärmung von ungefähr vier Grad zumindest runtergekommen sind, dass wir jetzt auf einem Pfad sind, der zwischen 2,5 und 2,9 liegt.
Das ist offensichtlich noch weit entfernt von 1,5 Grad, aber weil eben jedes zehntel Grad einen Unterschied macht, zeigt es, wir können es nur als Welt gemeinsam schaffen oder wir werden als Welt gemeinsam untergehen. Und deswegen lohnen diese Klimakonferenzen und lohnt das Ringen um jedes Jahr, wo wir deutlicher machen, wir müssen aus den fossilen Energien aussteigen, und zwar als Welt gemeinsam.
„Eigentlich wissen alle: So, wie es ist, kann es nicht weitergehen“
Büüsker: Das Ringen in diesem Jahr konzentriert sich vor allem auf die Frage Ausstieg aus Öl und Gas. Sie haben einleitend schon gesagt, da gibt es im Moment Akteure, die blockieren, die das nicht wollen. Sie haben die alten Ölstaaten genannt. Können Sie es konkretisieren, wer da gerade blockiert?
Baerbock: Also, wir haben ja zum Beispiel Saudi-Arabien, was auch öffentlich gerade noch mal erklärt hat, dass sie sich nicht nur schwertun damit, deutlich zu machen, dass auch sie irgendwann aus der Förderung von Öl aussteigen müssen, sondern es sogar einen Brandbrief gegeben hat von dem OPEC-Generalsekretär. Andere Staaten, die auch bei OPEC mit dabei sind oder als Gast mit dabei sind, wie Brasilien zum Beispiel, haben sich sofort davon distanziert. Das macht deutlich, was wir derzeit für eine große Chance haben, dass eigentlich alle wissen: So, wie es ist, kann es nicht weitergehen.
Jetzt müssen wir die Länder, die technologisch noch nicht so weit sind, viele afrikanische Länder, die sagen, natürlich wollen wir alles gegen die Klimakrise tun, aber wir haben nicht das Netz wie ihr in Deutschland, dass wir die technologisch unterstützen. Und dass wir anderen Ländern wie Saudi-Arabien – aber auch China hat sich noch nicht klar und deutlich bekannt – deutlich machen: Es ist auch eine Frage von globaler Führerschaft. Wenn solche Länder sagen, wir wollen global Verantwortung übernehmen, dann muss man auch Verantwortung für die Länder übernehmen, denen das Wasser schon – im wahrsten Sinne des Wortes – bis zum Hals steht, nämlich wie die kleinen Inselstaaten, wo die Menschen schon evakuiert werden, weil die Küsten wegbrechen.
„Wenn man in Paris das Wort Kohleausstieg in den Mund genommen hat, dann hat einem im Zweifel gar keiner zugehört“
Büüsker: Wenn wir noch mal auf diesen OPEC-Brief schauen, würden Sie den als Zeichen der Stärke der OPEC-Staaten sehen oder vielleicht auch als Zeichen der Schwäche, weil die merken, dass es ihnen jetzt ans Geschäftsmodell geht?
Baerbock: Zum einen darf man den, glaube ich, nicht überbewerten. Er wurde, wie ich es jetzt gehört habe, vor drei Tagen geschrieben und jetzt ist er bekanntgeworden. Das scheint auch, dass er offensichtlich nicht so viele erreicht hat. Aber für mich ist er vor allen Dingen ein Ausdruck dessen, was sich verändert hat.
Ich war in Paris 2015 selber mit auf der Klimakonferenz dabei, damals noch als Abgeordnete, nicht als Außenministerin. Und wenn man da das Wort Kohleausstieg in den Mund genommen hat, dann hat einem im Zweifel gar keiner zugehört und gesagt, das ist wirklich eine Wahnvorstellung. Selbst in Deutschland haben wir ja vor acht Jahren noch heftigst darüber diskutiert, ob erneuerbare Energien wirklich für die Stromversorgung dienen können. Jetzt sehen wir, dass sie die allergrößte Versorgungssicherheit, gerade für den Strombereich, bereits liefern.
Das macht so deutlich, welchen Weg wir eigentlich gegangen sind. Damals haben Organisationen wie OPEC, aber auch viele, viele Unternehmen gesagt, wirtschaftlich können wir Klimaschutz nicht machen. Das hat sich erneut komplett geändert. Und das sieht man jetzt, glaube ich, auch an dem Brief. Also, ein bisschen spät aufgewacht, würde ich sagen, wenn man jetzt in der zweiten Woche dieser Verhandlungen feststellt, oh, es geht hier ums Öl und macht eben deutlich, dass die Diskussionen auch in den ganzen wirtschaftlichen Bereichen längst woanders sind.
Wir haben ja so viele nicht nur deutsche Unternehmen, sondern internationale Unternehmen, für die es essenziell ist, dass die Märkte der Zukunft klimaneutral sind. Deswegen wollen sie vorne mit dabei sein und deswegen macht mir der Brief in dem Sinne keine Sorge, weil auch die Weltwirtschaft deutlich weiter ist.
Zeigt aber, dass wir noch nicht da sind, wo wir sein müssen am Ende dieser Klimakonferenz, denn es muss hier eine Einstimmigkeit von allen Staaten geben und da reicht ein OPEC-Land alleine, was alles blockieren könnte. Und deswegen haben wir noch ein hartes Stück Arbeit vor uns.
„Hier verhandeln Länder mit wie Russland, die im Zweifel gar kein Interesse an Klimapolitik haben“
Büüsker: Was ist denn Ihre Verhandlungsstrategie, um zum Beispiel Saudi-Arabien mit an Bord zu bekommen für den Ausstieg?
Baerbock: Zum einen ist es wichtig, dass wir in diese Textarbeit einsteigen. Das klingt jetzt nicht nach großer Politik, aber bekanntlich liegt der Teufel im Detail und erst recht bei internationalen Verhandlungen.
Wir verhandeln hier ja auf Englisch und da gibt es zum Beispiel Begriffe wie „unabated“. Und das kann man noch nicht mal richtig vernünftig ins Deutsche übersetzen. Also, das ist die Frage, ob man Minderung überhaupt technisch erreichen kann.
In Deutschland würden wir das mit CCS-Technologien übersetzen. Und wir haben auch in unserer deutschen Klimaaußenpolitik deutlichgemacht, dass wir vor allen Dingen erneuerbare Energien nutzen wollen, erst recht im Strombereich, überall dort, wo sie die günstigste Variante sind, es aber Bereiche gibt wie zum Beispiel bei der energieintensiven Industrie, bei Stahl, wo wir Wasserstoff brauchen, wo es sein kann, dass wir eben dort nicht komplett ohne fossile Emission auskommen und zum Beispiel CCS eine Lösung sein könnte.
So, das klingt jetzt alles wahnsinnig technisch. Und das kann man nicht in einen Satz unterbringen. Und ich habe hier festgestellt durch die Verhandlung auch mit Saudi-Arabien, dass wir eben mit Blick auf so einzelne kurze Sätze manchmal auch über Missverständnisse sprechen. Gerade mit den Vereinigten Arabischen Emiraten zum Beispiel sind wir an dem Punkt im letzten halben Jahr eng zusammengekommen. Die haben auch erst gedacht, wenn wir sagen, „fossil fuel phase-out“, also Ausstieg aus fossiler Energie, dann meinen wir in allen Industriebereichen und haben dann gesagt: Aber in Deutschland habt ihr doch auch gesagt, dass es für Stahl und Aluminium derzeit gar nicht möglich ist.
Über das Gespräch ist dann deutlich geworden, ja, deswegen haben wir diese Bereiche in Deutschland auch erst noch mal davon ausgenommen und wir müssen uns diesen Pfad eben Schritt für Schritt anschauen. Und durch dieses Miteinanderreden, Argumente austauschen, ja, glaube ich, dass wir am Ende hier nicht nur die Mehrheit aller Staaten, sondern wenn es gut läuft, wirklich alle überzeugen können.
Jetzt einmal Klammer auf, weil das Leben in diesen geopolitischen Zeiten nicht einfach ist. Hier verhandeln auch Länder mit wie Russland, die im Zweifel gar kein Interesse an Klimapolitik haben, sondern durch ihren brutalen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine was ganz anderes im Sinn. Das macht es eben in diesen Zeiten noch mal besonders schwer.
„Es geht nicht darum, dass jedes Land für sich alleine eine Lösung findet“
Büüsker: Ich muss noch mal zu den unvermeidbaren Emissionen zurückkehren. Das ist ja das, was sich hinter dieser „Unabated“-Debatte verbirgt. Sie sagen jetzt, im Bereich Zement oder auch Stahl gibt es eben Emissionen, die nicht vermieden werden können. Und da ist es dann in Ordnung, wenn weiter fossile Grundstoffe benutzt werden. Wenn jetzt aber die Ölstaaten sagen, okay, aber wir haben eben unvermeidbare Emissionen im Energiesektor, deshalb wollen wir weiter Öl und Gas verbrennen, gehen Sie dann mit?
Baerbock: Nein, denn das Besondere, was, glaube ich, auf dieser Klimakonferenz und auch so ein bisschen schon in dem letzten Jahr und Jahr davor war, dass es eben nicht darum geht, dass jedes Land für sich alleine irgendwie eine Lösung findet, denn dann werden wir in einer Welt, wo CO2 keine Grenzen kennt, die Klimakrise niemals in den Griff bekommen können.
Deswegen haben wir als Deutsche zum Beispiel auch immer wieder versucht, in den letzten Jahren sogenannte Klimapartnerschaften zu schaffen. Also, wir arbeiten mit Südafrika zum Beispiel zusammen, die auch ganz viel Kohleverstromung haben, und teilen unsere Erfahrungen mit unserem Kohleausstieg. Und wir wissen selber, dass wir für den Kohleausstieg auch eine soziale Absicherung brauchen für die Beschäftigten in den Regionen, zum Beispiel bei mir in Ostdeutschland, wo ich lebe, aber eben auch, wenn Investitionen gestemmt werden müssen, wo das Kapital erst mal nicht da ist. Durch diese Partnerschaften haben wir es, glaube ich, auch geschafft, andere Länder, die skeptisch waren, mit zu überzeugen.
Das ist auch der Punkt mit Blick auf die unvermeidbaren Emissionen, dass wir allen Ländern deutlich machen, guckt doch mal im Strombereich. Hier sind Erneuerbare einfach die günstigste Variante. Es wäre eigentlich auch ökonomischer Irrsinn, wenn man dafür jetzt zum Beispiel CCS verwenden sollte, eine Technologie, die technologisch erst komplett am Anfang ist und die überhaupt nicht ausfinanziert ist. Und das teilen zum Beispiel auch die Vereinigten Arabischen Emirate, die deutlich gemacht haben, natürlich, überall, wo wir günstigere Varianten haben, darf es diese Technologie nicht geben.
Aber man muss sich natürlich nichts vormachen. In einer Welt auch der Machtpolitik geht es viel ums Geld und natürlich gibt es gerade auch Unternehmen, aber auch einige Länder, die sagen, solange wir damit Geld machen können, werden wir damit weiter Geld machen. Und für mich ist es wichtig, so was dann auch offen anzusprechen, auch anderen Ländern zu sagen, also offensichtlich geht es doch gar nicht um die Stromversorgung in Afrika an dieser Stelle, sondern offensichtlich geht es doch darum, dass weiterhin gewisse Länder, gewisse Unternehmen einfach ihre Gewinne einfahren können, zu Lasten von anderen Staaten.
„Wie kann ein Land ignorieren, dass die Hamas weiter Raketen auf Israel nonstop feuert?“
Büüsker:Wir müssen einen Themenwechsel machen und über das Offensichtliche sprechen, was auch hier bei der Veranstaltung der Vereinten Nationen sicherlich eine Rolle spielt, der Nahostkonflikt, die Lage aktuell in Gaza. Wie ist Ihr Eindruck, wie sehr bestimmt das die Debatten auf dieser Weltklimakonferenz mit?
Baerbock: Natürlich ist das hier ein konstantes Thema, gerade weil wir auf der arabischen Halbinsel sind. Und wenn in direkter Nachbarschaft Menschen nicht wissen, ob sie am nächsten Tag was zu essen haben, jeden Tag Menschen sterben, dann lässt das hier niemanden kalt. Und zugleich lässt es niemanden kalt, dass nach wie vor Israelis, Männer, Frauen, verschleppt sind, in den Händen der Hamas sind. Deswegen ist das hier ein Thema, nicht nur am Rande der COP, sondern auch für mich ganz persönlich.
Ich führe immer wieder Gespräche genau mit arabischen Partnern dazu, wie wir endlich zu einem Frieden im Nahen Osten kommen können. Und wenn es gut läuft, können wir auf dieser Klimakonferenz eben zeigen, wenn unterschiedliche Länder, wenn unterschiedliche Regionen zusammenarbeiten können, dann dient das allen auf dieser Welt, auch wenn der Frieden gerade zwischen Israel und den Palästinensern derzeit leider meilenweit entfernt scheint.
„Israel muss dafür sorgen, dass bei der Bekämpfung des Terrors weniger Menschen sterben“
Büüsker: Sie haben gestern auch konkrete Forderungen an die Regierung in Israel adressiert, etwa die Zivilsten zu schützen, Hilfsgüter nach Gaza zu lassen. Tut die Regierung in Israel hier zu wenig?
Baerbock: Wir haben in den letzten Wochen erlebt, in was für einem unglaublichen Dilemma wir als Welt stecken. Und das führt dazu, dass, glaube ich, man als Mensch einfach dazu tendiert, entweder die Augen zu verschließen oder sich einfach nur an eine Seite zu stellen. Und ich habe immer wieder versucht, deutlich zu machen, es ist eben nicht so einfach zu sagen, Israel muss jetzt einfach aufhören zu kämpfen. Denn dann stellt sich die Frage: Was passiert mit den Geiseln, die immer noch in den Händen von Hamas sind? Wie kann ein Land ignorieren, dass die Hamas weiter Raketen auf Israel nonstop feuert?
Zugleich habe ich mit Israel intensiv immer wieder darüber gesprochen, dass es nicht nur niemanden kalt lässt, wenn Tausende von Kindern sterben, sondern dass die Militäraktionen gezielter getätigt werden müssen, denn der Kampf Israels gilt ja nicht unschuldigen Palästinenserinnen und Palästinensern, sondern der Terrororganisation Hamas. Und deswegen müssen zivile Opfer nicht nur bestmöglich vermieden werden, sondern Israel muss dafür sorgen, dass bei dieser Bekämpfung des Terrors weniger Menschen sterben.
„Es braucht sichere Räume in Gaza“
Büüsker: Aber wie soll das noch gehen? Im Norden wird bombardiert. Jetzt wird auch der Süden angegriffen. Wo sollen die Menschen in Gaza noch hin?
Baerbock: Genau das ist der Punkt. Es braucht sichere Räume in Gaza. Auch das habe ich gestern deutlichgemacht. Man kann nicht einfach per Flugblatt von der israelischen Armee Zivilisten aufrufen, bringt euch in Sicherheit, wenn es keine sicheren Gebiete gibt. Das ist wahnsinnig komplex. Und ich glaube, niemand möchte in der Haut der israelischen Regierung gerade stecken. Aber man kann einen Krieg nicht militärisch gewinnen, wenn man dabei den Frieden verliert. Deswegen ist für mich so wichtig, dass wir wieder zu humanitären Pausen kommen.
Zugleich ist hier mein eindringlicher Appell an arabische Partner und Länder: Ihr müsst auch mit dazu aufrufen, dass eine Terrororganisation wie Hamas die Waffen niederlegt. Man kann sich nicht den schlanken Fuß machen und Waffenstillstand fordern und meinen, Israel muss einfach aufhören, sich selbst zu verteidigen. Damit ignoriert man, dass damit auch das Leid der Palästinenser nicht enden würde, weil ja die Palästinenser bewusst als menschliches Schutzschild der Hamas missbraucht werden.
Deswegen braucht es so sehr aus meiner Sicht eine Kooperation von progressiven arabischen Ländern und Ländern wie Deutschland, den Amerikanern, die deutlich machen, Israel hat wie jedes Land der Welt ein Recht auf Selbstverteidigung, die gemeinsam an einer politischen Lösung arbeiten.
Büüsker: Welche arabischen Partner haben Sie hier im Sinn?
Baerbock: Lände wie Katar haben ja deutlich gemacht nach dem brutalen Angriff der Hamas am 07. Oktober, dass es Möglichkeiten gibt, auch auf die Hamas einzuwirken, und Geiseln freigekommen sind. Und dafür bin ich nicht nur enorm dankbar als deutsche Außenministerin, weil ja auch deutsche Staatsangehörige mit dabei waren, aber eigentlich ist auch egal, welche Staatsangehörigkeit die verschleppten Geiseln hatten. Es waren Kinder, es waren Frauen. Es sind nach wie vor Männer und Frauen, die in den Händen sind.
Da sieht man, wenn man zusammenarbeitet zwischen arabischen Ländern, zwischen anderen Ländern, auch uns, dass man in so einer unglaublichen Situation, wo es scheinbar keine Lösung gibt, doch auch was erreichen kann, auch wenn es nur ganz, ganz kleine Schritte gibt. Und genau mit solchen arabischen Ländern, auch die Vereinigten Arabischen Emirate, wo wir hier ja gerade sind, die nach wie vor eben deutlichgemacht haben, dass sie die Normalisierung nicht einstellen, sind wichtig dafür. Saudi-Arabien zum Beispiel hat ja den Normalisierungsprozess mit Israel begonnen. Auch darauf zielte dieser Angriff der Hamas, dass es eben nicht zu einer Befriedung in der Region kommt. Auch die sind ein wichtiger Partner.
„Israel wird nur in Sicherheit leben können, wenn Palästinenser in Sicherheit leben“
Büüsker: Jetzt haben Sie ausgerechnet Katar genannt. Viele würden sagen, dass es ja auch Katar ist, das die Hand teilweise schützend über die Hamas hält. Den Eindruck haben Sie nicht?
Baerbock: Die Situation ist unglaublich komplex. Und deswegen halte ich überhaupt nichts von einer Schwarz-Weiß-Malerei, denn, ja, Katar hat lange Zeit Gelder für Hamas bereitgestellt. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch dazu, dass es nicht nur bekannt war in Israel und auch von Amerikanern, sondern dass es ein unglaubliches Konstrukt war in den letzten Jahren, wo man irgendwie die Situation in Gaza toleriert hat, es auch in Israel Kräfte gegeben hat, die sich gegen die Zweistaatenlösung massiv gestellt haben und es eben keine politische Lösung gegeben hat.
Und deswegen ist für mich so wichtig, dass wir den Blick nach vorne gehen, und dass die Länder, wo Katar jetzt deutlichgemacht hat, sie wollen eben nicht nur alles dafür tun, dass die Geiseln freikommen, sondern auch gemeinsam daran mitwirken, eine Lösung zu finden, dass wir genau solche Gesprächskanäle, so schwierig das manchmal ist, gemeinsam nutzen. Denn das Schlimmste wäre jetzt, dass einfach alle den Kopf in den Sand stecken vor dieser unglaublich schwierigen Situation kapitulieren.
Der 7. Oktober war nicht nur ein Einschnitt für Israel, sondern er bedeutet auch, dass das, was in den letzten Jahren passiert ist, dass man nicht mehr um politische Lösungen gerungen hat, dass das definitiv kein Weg sein kann. Israel wird nur in Sicherheit leben können, wenn Palästinenser in Sicherheit leben und Palästinenser können nur in Sicherheit leben, wenn Israel in Sicherheit lebt, dass klar und deutlich von allen auf dieser Welt das Existenzrecht Israels anerkannt wird. Und daran arbeite ich nonstop, daran arbeiten ganz, ganz viele nonstop. Und auch wenn der politische Horizont weit weg erscheint, ist es das, worauf wir hinarbeiten müssen.
Büüsker: Sie haben jetzt beschrieben, dass Sie tendenziell eher in die Zukunft gucken wollen, haben aber auch benannt, dass es in der Vergangenheit in der israelischen Regierung Kräfte gab, die an einer Zweistaatenlösung kein Interesse haben. In der aktuellen israelischen Regierung sind rechtsextreme Parteien vertreten, die immer wieder auch durch sehr radikale Äußerungen gegenüber Gaza auftreten. Und man kann den Eindruck bekommen, dass da das Interesse an einer Zweistaatenlösung absolut nicht mehr vorhanden ist. Deutschland hat in den vergangenen Jahren wenig getan für die politische Lösung. Haben Sie auch beschrieben. Würden Sie daraus denn jetzt Ableitungen treffen für die Zukunft, dass man gegebenenfalls auch in diesen Fragen kritischer mit der israelischen Regierung umgehen muss?
Baerbock: Eine meiner ersten Reisen ging gleich nach Israel. Und da habe ich noch mit der Vorgängerregierung der jetzigen Netanjahu-Regierung genau über die Frage zum Beispiel von Siedlergewalt gesprochen. Und Deutschland hat – wir als neue deutsche Bundesregierung damals – klar und deutlich diesen Siedlungsbau massiv verurteilt. Und ich habe da deutlichgemacht, die steht dem Frieden in der Region entgegen und sie steht auch damit der Sicherheit Israels entgegen.
Deswegen habe ich das auch dieser Tage so deutlichgemacht, ohne Wenn und Aber ist deutsche Staatsräson das Existenzrecht Israels. Und weil genau die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson ist, habe ich klar benannt in den letzten Wochen, dass diese Sicherheit auch dadurch gefährdet wird, dass jetzt in diesem Moment, wo sich Israel verteidigen muss, durch radikale Siedler, die in der Westbank Palästinenser angreifen, wo Kinder ums Leben kommen durch radikale Siedler, dass das gegen Israels eigene Sicherheit steht. Und ich glaube, das ist auch unsere Verantwortung als engste Freunde Israels, das genau so zu benennen, wie es die Amerikaner im Übrigen auch getan haben.
Denn das Schlimmste wäre jetzt, wenn dieser Konflikt weiter eskaliert, wenn es eine zweite Front gibt mit Blick auf die Westbank oder auch mit Blick auf den Libanon, wo ja die Hisbollah weiterhin auch auf Israel feuert. Und auch deswegen ist das gerade für mich so eine wichtige Aufgabe, zu vermeiden, dass es zu einer weiteren Eskalation in der Region kommt.
„Das Leid des einen kann nur enden, wenn das Leid des anderen aufhört“
Büüsker: In Israel sind die Menschen traumatisiert durch das, was am 7. Oktober von der Hamas getan wurde. Im Gazastreifen sind die Menschen traumatisiert durch das, was seitdem passiert. Wie groß ist Ihre Sorge, dass diese Traumata die Politik in der Region und auch die Chancen auf Frieden auf Jahrzehnte hin prägen werden?
Baerbock: Nicht nur groß, sondern das ist natürlich Realität. Also, wenn Menschen das Schlimmste erleben mussten, was man sich überhaupt vorstellen kann.
Ich würde es gern auch noch mal in Erinnerung rufen, weil es leider, gerade auch hier in der Region – dann so schnell wieder vergessen oder ganz bewusst ignoriert wird: Was am 7. Oktober passiert ist, das kann sich keiner vorstellen. Wenn man selber erleben muss, wie die eigene Tochter vergewaltigt wird und dann noch auf brutalste Art und Weise erschlagen wird, wenn man als Kind verschleppt wird, über Wochen nicht weiß, wo die eigenen Eltern eigentlich sind, das ist einfach das Schlimmste, was Menschen sich gegenseitig antun können.
Und wenn ich in den letzten Wochen immer wieder diese Videos aus Gaza sehe, wo Kinder, Zehnjährige, auf den Trümmern ihres eigenen Wohnhauses sitzen und darunter ist die komplette Familie begraben, also Kinder ohne irgendwie Familienangehörige jetzt durch diese Wochen ohne Essen, ohne Trinken kommen, auch das, wie gesagt, ich glaube, das kann niemand, wenn man es sich nur vorstellt, eigentlich ertragen.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir in dieser Situation als internationale Gemeinschaft – und das ist ja Sinn und Zweck von Außenpolitik – eben dieses beider Leid benennen, deutlichmachen, jeder Mensch ist gleich viel wert. Das Leid des einen kann nur enden, wenn das Leid des anderen aufhört. Und natürlich hinken alle Vergleiche. Aber Sie wissen ja selber aus unserer eigenen Geschichte, wie wichtig Versöhnung ist, aber auch wie wahnsinnig lange Versöhnung braucht, und dass Versöhnung nur stattfinden kann, aufgrund von Wut, von Trauer, von Traumata, die Sie angesprochen haben, wenn einem andere dabei beistehen.
Deswegen ist eben einer meiner Vorschläge auch dieser Tage an andere arabische Länder: Lasst uns gemeinsam Vorschläge dafür machen, wie Versöhnung stattfinden kann. Das heißt, Israel Sicherheit geben, zum Beispiel auch über die Frage: Wer stellt sicher in Zukunft als internationale Gemeinschaft, dass nie wieder Terrorismus von Gaza ausgeht und auf der anderen Seite deutlichmacht – das, was Sie vorhin angesprochen haben – es kann nur eine Zweistaatenlösung geben. Die Palästinenser müssen die Sicherheit haben, dass sie in Zukunft selber auch in Sicherheit, in überhaupt Freiheit und ein bisschen Entwicklung leben können. Und darum geht es jetzt für uns als internationale Gemeinschaft oder als die Länder, die für den Frieden arbeiten wollen, genau diese Prozesse auf den Weg zu bringen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.