Im Jahr 2015 haben sich die Staaten bei der UN-Klimakonferenz in Paris auf ein Abkommen verständigt. Die Erderwärmung sollte möglichst unter zwei Grad gehalten werden. Am Freitag hatten sich die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel darauf verständigt, den Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu senken. Bisher galt ein Wert von minus 40 Prozent.
Baerbock: Weltklimakonferenz von 2015 war keineswegs vergeblich
"Leider sind wir in den letzten fünf Jahren da nicht wirklich vorangekommen", sagte Annalena Baerbock im Dlf. Die Weltklimakonferenz von 2015 sei dennoch keineswegs vergeblich gewesen, erläuterte die Bundesvorsitzende der Grünen. "Das war wirklich historisch". Vieles sei seitdem angestoßen und auf den Weg gebracht worden, beispielsweise Fridays for Future. Aber auch " ganz viele Unternehmen, die sich immer gesperrt haben und gesagt haben, ‚Was soll das? - natürlich machen wir weiter mit Öl, Kohle und Gas’ steuern jetzt komplett um, weil die Klimakrise so deutlich macht, dass es einfach so nicht weitergeht."
Die "Aufgabe unserer Generation" sei es nun, die nächsten zehn Jahre dazu einzuläuten, in Landwirtschaft, Industrie, aber auch in den Bereichen Verkehr und Wärme auf Klimaneutralität umzustellen.
Keine lange Parallelexistenz von fossiler und erneuerbarer Energie
Baerbock kritisierte indes die Novelle des EEG vonseiten Union und SPD, in der die Möglichkeiten limitiert würden, auf Dächern von z.B. Krankenhäusern oder Schulen große Solaranlagen aufzubauen.
Baerbock: "Das ist bewusst so gewollt von dieser Bundesregierung, weil man eben den anderen fossilen Stromerzeugern immer noch auch einen Markt geben will."
Jedoch könne eine Politik, die beides wolle – weiterhin Kohle, Öl und Gas sowie gleichzeitig erneuerbare Energien – nicht klimaneutral werden. Baerbocks Forderung: "Wir müssen komplett umstellen auf 100 Prozent Erneuerbare und dafür die Gesetze entsprechend ändern."
Es sei zudem falsch, den großen Autoherstellern zusätzliche Gelder zu geben, sagte Baerbock. "Wir müssen ihnen klare Leitplanken geben, wann der letzte fossile Verbrennungsmotor auf den Markt kommt. Aus meiner Sicht muss das zum Ende dieses Jahrzehnts eingeläutet werden."
Zurheide: Frau Baerbock, erinnern Sie sich noch an den Tag vor fünf Jahren, als Herr Fabius damals gesagt hat: Wir haben es geschafft? Was waren Ihre Gedanken damals, wissen Sie das noch?
Baerbock: Ja, ich erinnere mich noch sehr genau, auch an die Gefühle, das war ja dann schon zum Abend hin – die Konferenz wurde um einen Tag verlängert, weil man es vorher nicht geschafft hatte. Da war eine so unglaubliche Erleichterung, Menschen sind in Tränen ausgebrochen, ich stand etwas hinten in der Ecke, weil ich meine kleine Tochter damals noch mit dabei hatte auf dieser Weltklimakonferenz. Ich hatte im wahrsten Sinne des Wortes meine Tochter vor Augen und hab gedacht, oh Wahnsinn, wenn die so alt ist wie ich damals, 35 Jahre, dann müssen wir es geschafft haben, dann müssen wir als Welt die Klimaneutralität eingeläutet haben – also ein wahnsinniger Auftrag. Leider sind wir in den letzten fünf Jahren da nicht wirklich vorangekommen.
Zurheide: Jetzt haben Sie schon fast alle meine Fragen vorweggenommen, genau das ist leider der Punkt. Wenn wir heute schauen, wir wissen – wir haben vorher mit dem Kollegen Georg Ehring, der sich hier in unserem Hause besonders um das Thema kümmert, schon gesprochen und wir kennen all die Zahlen. Es war Papier, es war sehr geduldig, und heute, wenn denn jetzt in diesem Jahr irgendetwas weltweit passiert ist, hat das eher mit der Pandemie zu tun. Schafft Politik das nicht?
Baerbock: Diese Politik hat das definitiv nicht stark genug geschafft, aber ich würde stark widersprechen, dass es nur Papier war damals. Das war wirklich historisch. Wir müssen uns auch mal zurückerinnern, vor fünf Jahren die Vereinten Nationen massiv angeschlagen, es rumorte auch so, kann die Welt überhaupt noch einen internationalen Vertrag gemeinsam hinbekommen. Damals war nicht nur dieser Moment – Herr Fabius hatte das ja deutlich auf den Punkt gebracht –, wo wir endlich begriffen hatten, wir müssen jetzt handeln, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen, sondern auch wo alle Staaten dieser Welt so unterschiedlich wie damals und auch heute sind, das mit unterschrieben haben. Seitdem ist dann ja ganz viel anderes passiert. Fridays for Future ist in diesen Jahren entstanden, hat noch mal deutlich gemacht, Mensch, ihr Erwachsenen, ihr Politiker, das ist euer Job. Auch ganz viele Unternehmen, die sich immer gesperrt haben und gesagt haben, was soll das, natürlich machen wir weiter mit Öl, Kohle und Gas, steuern jetzt komplett um, weil die Klimakrise so deutlich macht, dass es einfach so nicht weitergeht. Es gibt viel, viel Schatten, weil gerade politisch viel zu wenig passiert ist, aber es gibt auch eine Welt im Aufbruch, die zeigt, wir können das in den Griff bekommen. Deswegen war das aus meiner Sicht überhaupt nicht vergeblich, sondern das, was wir damals unterschrieben haben, das müssen wir heute, jetzt in Taten endlich umsetzen.
Die große Aufgabe der nächsten Dekade
Zurheide: Dieser Appell, dem kann man nicht widersprechen, nur wir alle wissen, wenn wir die Forscher hören, die sagen, wir laufen eher auf drei Grad zu als auf zwei, geschweige denn unter zwei, dass das schon kaum noch zu schaffen ist. Jetzt haben Sie die Industrie angesprochen, natürlich, ich lese das, was Shell und andere Unternehmen machen wollen, aber da frage ich mich dann auch manchmal, das ist nett, ist das jetzt nur die Marketingabteilung oder ist das mehr?
Baerbock: Ja, das frag ich mich auch. Ich bin mit vielen Unternehmen im Gespräch, und bei den einen merkt man richtig, die stellen komplett um, die sagen, wir wollen klimaneutral werden noch vor dem Ziel der Bundesregierung, und dann gibt es andere, wo es eher nach Greenwashing klingt. Aber ich bin ja Politikerin, deswegen ist mein Job jetzt auch nicht, zu sagen, welches Unternehmen meint es ehrlich oder nicht, sondern als Politik muss man Leitplanken dafür setzen, dass alle klimaneutral werden, weil das haben wir unterschrieben. Die Aufgabe unserer Generation ist es jetzt, die nächste Dekade, also die nächsten zehn Jahre dazu einzuläuten, dass wir in der Landwirtschaft, in der Industrie, in der Wärme, im Verkehr überall auf Klimaneutralität umstellen. Dafür braucht es gute Politik, starke Gesetze, und es geht nicht darum, den Menschen irgendwie anders zu erziehen.
Zurheide: Auch da mögen Sie recht haben, nur wenn ich dann mich, um auf Deutschland zu kommen, wo hier was gestaltet werden kann – Windenergieausbau stockt, bei Solar könnte man sagen hoch kompliziert, bei Privaten geht es noch, aber wenn Sie Vermieter sind, dann werden Sie zum Gewerbeunternehmer, wenn Sie eine Solaranlage aufs Dach machen –, das ist doch ein Anachronismus, dass man solche Dinge bis heute nicht geschafft hat, oder?
Baerbock: Ja, aber kein Anachronismus, weil es irgendwie technisch nicht geht, sondern weil diese Bundesregierung – das muss man hier jetzt deutlich beim Namen nennen –, Union und SPD machen jetzt gerade wieder eine Novelle der EEGs, also der erneuerbaren Energien, wo sie so Absurditäten reinschreiben, dass man auf großen Dachanlagen – also Krankenhäusern, Industrieanlagen, Schulen, wo wirklich prädestiniert diese Dächer sind für große Solaranlagen, die im Preis ja massiv gefallen sind –, da wird jetzt gedeckelt und gesagt nee, aber ganz große und ganz viel dürfen wir nicht draufpacken. Wir hatten das bei den Ausschreibungen zu Windkraftanlagen, wo gesagt wurde, nee, nicht jeder kann bauen, sondern wir deckeln das. Ja, das ist fatal, aber das ist kein Zufall, sondern das ist bewusst so gewollt von dieser Bundesregierung, weil man eben den anderen fossilen Stromerzeugern immer noch auch einen Markt geben will. Deswegen sag ich auch so klar und deutlich, das wird der Markt nicht alleine regeln, oder eine Politik, die beides will, weiterhin Kohle, Öl und Gas und erneuerbare Energien, die wird nicht klimaneutral werden, sondern wir müssen komplett umstellen auf 100 Prozent Erneuerbare und dafür die Gesetze entsprechend ändern.
"Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt"
Zurheide: Warum soll ich jetzt daran glauben, dass das mit einer grünen Regierungsbeteiligung besser würde?
Baerbock: Weil wir damals vor fast 20 Jahren das EEG eingeführt haben, dieses Gesetz, das sagt, wir müssen raus aus Atomkraft. Das haben wir jetzt Anfang der 20er-Jahre endlich zum Glück geschafft, weil wir deutlich gemacht haben, dass eine Technologie, die am Anfang wahnsinnig teuer war, wenn wir international zusammenarbeiten können, wahnsinnig günstig sein kann, und weil wir klar und deutlich sagen, wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt, und deswegen müssen wir das nächste Jahrzehnt klimaneutral einleiten. Aber das werden wir Grünen nicht alleine schaffen, dafür braucht es breite gesellschaftliche Mehrheiten. Deswegen werbe ich auch so stark dafür, dass wir alle gemeinsam dafür an einem Strang ziehen.
Das Ende des fossilen Verbrennungsmotors klar benennen
Zurheide: Und warum denke ich jetzt gerade an Herrn Kretschmann und sage – das ist jetzt eine böse Zuspitzung des Journalisten, die Sie mir bitte nachsehen –, der oberste Lobbyist von Daimler sitzt da, wenn es um CO2-Minderung geht, dann steht der auch nicht in der ersten Reihe. Oder sehe ich da gerade was falsch?
Baerbock: Nein, Sie beschreiben sehr konkret und korrekt die Realität, dass auch ein Winfried Kretschmann zum Ersten in Baden-Württemberg nicht alleine regiert, sondern mit einer CDU, die in etlichen Punkten Dinge leider anders sieht, leider auch anders sieht beim Klimaschutz als wir, und der Schwierigkeit, wie baut man einen Industriestandort um, auch im Verkehrsbereich. Da braucht man ja kein Geheimnis drum machen, da haben auch Winfried Kretschmann und ich kontrovers diskutiert. Ich glaube, dass wir den großen Automobilherstellern nicht zusätzlich Gelder geben müssen, sondern dass wir ihnen klare Leitplanken geben müssen, wann der letzte fossile Verbrennungsmotor auf den Markt kommt. Aus meiner Sicht muss das zum Ende dieses Jahrzehnts eingeläutet werden. Und Winfried Kretschmanns Haltung ist, dass wir vor allen Dingen auch sie noch weiter unterstützen müssen, damit sie diese Transformation schaffen können. Auch da hat er zum Teil mit recht, weil auch da gelingt die Transformation nicht alleine, sondern es braucht eine starke Politik. Aber gemeinsam, gerade auch mit Baden-Württemberg, die gezeigt haben, was eine Verkehrswende braucht, nämlich überall Ladesäulen zu installieren, das gibt es nirgendwo sonst so in Deutschland, da sieht man, dass grüne Politik stark verändert.
Zurheide: Zum Schluss ganz kurz muss ich Sie heute Morgen natürlich noch nach dem anderen Thema fragen: Corona, da wird morgen – jetzt haben wir eine knappe Minute noch, aber ich will’s trotzdem mal kurz versuchen –, die neuen Beschränkungen kommen, die FDP ist da eher gegen, was sagt die grüne Parteivorsitzende heute Morgen? Müssen wir mehr zurückfahren und uns zurückhalten?
Baerbock: Auf jeden Fall. Mich erschüttert das zutiefst, diese Todeszahlen, die Neuinfektionszahlen, und wir müssen jetzt wirklich eine Weihnachtspause im wahrsten Sinne des Wortes einlegen. Deswegen muss aus meiner Sicht Anfang der Woche ein Shutdown eingeleitet werden, Menschen müssen im Homeoffice komplett arbeiten, dort, wo es geht, Geschäfte müssen geschlossen werden, Schulen ab der achten Klasse in den Fernunterricht gehen, damit wir dafür sorgen, dass nicht noch mehr Menschen in unserem Land sterben. Ja, das ist unser aller Aufgabe aus meiner Sicht in den nächsten Tagen, damit wir in kleinem Kreis, so schwer es ist, aber wirklich für alle Menschen fröhliche Weihnachten haben können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.