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Anohni alias Antony Hegarty
Transgender, Politik und Pop

Die letzten sechs Jahre hatte Antony Hegarty sich rar gemacht. Der Transgender-Künstler, der sich selbst als eine "Sie" bezeichnet, unterzog sich einer musikalischen wie persönlichen Metamorphose. Die ist nun abgeschlossen und umfasst einen neuen Namen - "Anohni" -, ein erstes Solo-Album sowie einen neuen Sound.

Von Marcel Anders |
    Die vielseitige Künstlerin Anohni alias Antony Hegarty
    Die vielseitige Künstlerin Anohni alias Antony Hegarty (Beggars Group)
    "Ich habe eine Menge sinfonische Musik gemacht. Doch die Zeiten ändern sich, und Sachen, die mir heute wichtig sind, waren es vor ein paar Jahren noch nicht - und umgekehrt. Ich höre zum Beispiel immer mehr Pop. Denselben, wie die meisten Leute. Insofern ist es nicht mehr wie früher, dass sich Vertreter der Subkultur bewusst vom Mainstream abgrenzen. Sondern heute genießen alle dieselben Stücke. Und die interessantesten Produzenten arbeiten mit den besten Pop-Acts. Von daher gibt es keine Distanz mehr zwischen Subkultur und Mainstream."
    Eine Erkenntnis mit Folgen: Als Anohni muss sich die 45-Jährige [von Red. geändert] aus New York nicht länger auf die Kunstwelt beschränken und ihr Heil in orchestrierter Musik suchen - sie kann endlich ein Popstar sein, moderne Songs schreiben und mit dem konkurrieren, was in den internationalen Charts passiert. Weshalb "Hopelessness" auf die Klang-Kreationen von Kanye West-Intimus Hudson Mohawke setzt, die mal minimalisch, mal sphärisch, mal opulent sind. Und womit Anohni ein breiteres Publikum zu erreichen hofft als in der Vergangenheit.
    Musik als bissiger Kommentar
    "Die Musik ist nicht unbedingt süß, aber sehr zugänglich. Im Sinne von: Sie ist leichter zu konsumieren, weil sie gut klingt. Bei den meisten Pop-Songs ist die Produktion ja so angelegt, dass sie den Hörer klanglich verführt. Und den Effekt wollte ich auch in meinen Stücken. Nämlich mit einer zeitgemäßen Form von Pop, die ich mit etwas anderen Inhalten ausstatte."
    Was der Schöngeist im Körper eines LKW-Fahrers unter "anderen Inhalten" versteht, macht den Unterschied zur konventionellen Popmusik aus: Keine Allerwelttexte über Liebe und Lust, und auch keine Hoffnungslosigkeit wie der Albumtitel nahelegt, sondern messerscharfe, bissige Kommentare zur Erderwärmung, zur Waffenlobby, Todesstrafe, zu Drohnenangriffen und zu zwei Legislaturperioden Barack Obama, von denen Anohni schwer enttäuscht ist.
    "Das Album versucht das einzufangen, was die US-Regierung als 'Kollateralschaden' bezeichnet. Und welche Folgen Obamas Drohnenkrieg im Mittleren Osten hat. Seine Kampagne zur Schließung von Guantanamo bedeutet im Grunde nur, dass er in Zukunft keine Verdächtigen mehr ins Gefängnis steckt, sondern sie aus der Luft exekutiert. Auf diese Weise wurden in den letzten acht Jahren Tausende getötet - während immer noch unschuldige Menschen in Guantanamo einsitzen."
    Pop als trojanisches Pferd
    Klare Worte, die vor allem eins unterstreichen: Auch wenn "Hopelessness" ein gelungener Vorstoß in die Popwelt ist: Anohni ist alles - nur kein Popstar. Schließlich nutzt sie die elektronische Musik wie ein trojanisches Pferd, um dem Mainstream ihre Ansichten und Botschaften unterzujubeln. Und die sind - obwohl die Musik durchaus massentauglich ist - viel zu anspruchsvoll und sperrig für den oberflächlichen Konsum. Weshalb das Publikum, das hier angesprochen werden soll, schlichtweg überfordert sein dürfte. Und auch alte Fans zeigen sich vom Stil- und Namenswechsel irritiert. Denn Anohni passt so gar nicht zu einer bulligen Erscheinung mit Dreitagebart und nackten Füssen.
    "Anohni benutze ich schon seit Jahren, vor allem privat. Aus dem einfachen Grund, weil ich einen wollte, der mich als Transgender reflektiert. Ich selbst habe mich zwar immer so gesehen, hatte aber nie den Mut, andere zu bitten, mich als Frau anzusprechen. Doch je älter ich werde, desto wichtiger wird mir das. Und deshalb habe ich mich nun entschieden, ihn öffentlich zu verwenden."
    Das gewaltige Medienecho, das mit den vielen Veränderungen einhergeht, nutzt Anhoni Ende Juni für eine seltene Deutschland-Tour. Aber auch, um weitere Seiten von sich und ihrem Schaffen in den Vordergrund zu rücken. So präsentiert sie demnächst Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Filmarbeiten in der Bielefelder Kunstgalerie und hofft auf weitere Ausstellungen im Bundesgebiet - eben als vielseitige, subversive Künstlerin, die Pop-Musik lediglich als Lockvogel nutzt.