Am 9. November hatte das Warten ein Ende. Die Kunden, vornehmlich Männer, stürmten die Läden und innerhalb von 24 Stunden gingen 5,6 Millionen Kopien über die Theken:
"Black Ops", so heißt die aktuelle, siebte Folge des Computer-Spiels "Call of Duty". In vielen amerikanischen Wohnzimmern regiert in diesen Tagen der Joystick. Die Spieler schlüpfen in die Rolle eines US-Elitekämpfers und schießen sich die Welt zurecht.
In Langley, Virginia, unweit von Washington, sitzen CIA-Angestellte an Joysticks ganz anderer Art. Monitore zeigen Bilder in Echtzeit, Bilder von mutmaßlichen Terroristen. US-Drohnen kreisen stundenlang in zwei-, dreitausend Metern Höhe über Zielobjekten, zum Beispiel in Pakistan. Sie liefern detaillierte Aufnahmen um die Welt, zurück in die USA, nach Virginia. Wenn dort dann auf den Knopf gedrückt wird, löst sich hoch über dem Himmel Pakistans eine Rakete vom Typ Hellfire. Der CIA-Mann sieht den Feuerball, er sieht danach die Trümmer am Erdboden. Die ferngesteuerte Drohne landet unversehrt und in Langley, Virginia, ist irgendwann Feierabend. Noah Shachtman hat das Thema Drohnen für das Technologie-Magazin "Wired" recherchiert. Er sieht keine Parallele zwischen den Computer-Spielern und den High-Tech-Kriegern:
"Weder beim Militär, noch bei der CIA steuert irgendjemand Drohnen, der sich des Unterschieds nicht bewusst wäre. Ich habe mit den Leuten gesprochen, Zeit mit ihnen verbracht. Die wissen, dass es hier um Leben und Tod geht."
Philip Alston ist sich da nicht so sicher. Bis zum vergangenen August war er UN-Sonderberichterstatter für außerrechtliche Exekutionen. Der Australier lehrt Jura an der New York University. In seinem Bericht für den UN-Menschenrechtsrat vom Mai 2010 schreibt Alston:
Weil die Ausführenden Tausende von Kilometern entfernt sind und ausschließlich über Computer-Bildschirme und Audio-Leitungen handeln, besteht das Risiko einer "Playstation-Mentalität", wenn es um Tötungen geht. Staaten müssen durch eine entsprechende Ausbildung sicherstellen, dass Drohnen-Lenker ohne jegliche Kriegs- und Kampferfahrung die internationalen Menschenrechte achten.
Eine zielgenaue Bekämpfung des Gegners auf feindlichem Gebiet, ohne Risiko für Leib und Leben eigener Soldaten - für Militärplaner und Politiker klingen die Möglichkeiten des Einsatzes von Drohnen verführerisch. Drohnen werden nicht müde. Sie können bis zu 36 Stunden ununterbrochen in der Luft bleiben. Kameras liefern selbst aus 2000 Metern Höhe noch Details. Informationen können in Sekunden mit Datenspeichern in den USA abgeglichen werden. Peter Singer gilt als einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Drohnentechnologie. Er arbeitet für das Brookings Institute in Washington und hat das Buch "Wired for War" geschrieben. Singer zur Bedeutung von Drohnen für die Zukunft bewaffneter Konflikte:
"Das ist schlicht revolutionär. Die Art und Weise, mit der wir Kriegführung verändern, ist auf einer Höhe mit der Erfindung des Schwarzpulvers, der Dampfmaschine oder des Computers."
Die Zahl der Angriffe durch US-Drohnen ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Sowohl das Militär, Army und Air Force setzen Drohnen ein, etwa in Afghanistan oder im Irak - als auch die CIA in Pakistan. Die Ausweitung des Drohnen-Kriegs geschah zeitgleich mit dem Amtsantritt von Barack Obama. Auch wenn die genaue Zahl der Einsätze unklar ist, die Tendenz ist unbestritten, sagt Noah Shachtman von "Wired Magazine":
"Anders als sein Vorgänger im Amt, anders als George W. Bush, rückte der neue amerikanische Präsident den Krieg in Afghanistan ins Zentrum, verstärkte dort die eigenen Truppen und drückte durch die sogenannte AFPAK-Strategie den inhaltlichen Zusammenhang mit Pakistan aus. El Kaida- und Taliban-Kämpfer hatten sich angesichts des zunehmenden Drucks in Afghanistan über die Grenze nach Pakistan geflüchtet. Eine offene Terrorbekämpfung durch amerikanische Truppen auf pakistanischem Territorium war politisch undenkbar. Der scheinbar elegante Ausweg: offiziell geheime Drohnen-Einsätze gegen mutmaßliche Terror-Verdächtige. Peter Bergen und Katherine Tiedemann sind bei der New America Foundation für die akribische Auflistung von Drohnen-Angriffen verantwortlich. Die Quellenlage ist alles andere als ideal. Die CIA verweigert jegliche Stellungnahme. Bergen und Tiedemann beschränken sich auf Berichte großer Nachrichtenorganisationen mit Ressourcen in der Region. Demnach ist die Zahl der Angriffe durch Drohnen von neun zwischen 2004 und 2007 auf 34 im Jahr 2008 angestiegen. Ein Jahr später waren es 53 und im laufenden Jahr verzeichnen Bergen und Tiedemann bisher 101 Drohneneinsätze. Mit anderen Worten: Die USA töten seit Monaten zwei bis dreimal pro Woche gezielt Terror-Verdächtige. Verantwortlich für einen Großteil der Einsätze ist die CIA, die sich einer öffentlichen Diskussion darüber grundsätzlich verweigert. UN-Sonderberichterstatter Philip Alston hat für seine Studie keinerlei offizielle Informationen erhalten, weder von der CIA noch von anderen US-Regierungsstellen:"
"Wir wissen nicht, ob die CIA-Leute Einsatzregeln kennen und beachten, sie müssen keinerlei Rechenschaft ablegen, wir haben keine Ahnung was wirklich geschieht."
Noch immer fragt er nach der rechtlichen Grundlage für die Drohnen-Politik der Amerikaner. Als eine der wenigen offiziellen Stimmen der Obama-Regierung begründete Rechtsberater Harold Koh im vergangenen März die geltende Praxis. Bei einer internationalen Konferenz von Rechtsanwälten in Washington, sagte Koh, einst prominenter Kritiker der Bush-Regierung:
"Es gibt Kritiker, die angesichts tödlicher Gewalt gegen bestimmte Personen, den Rechtsweg vermissen und uns illegaler, außerrechtlicher Tötungen bezichtigen. Doch ein Staat kann im Krieg oder in Selbstverteidigung auch ohne Rechtsweg töten."
Und zur Bestimmung potenzieller Ziele von Drohnenangriffen, sagte Koh:
"Wir wählen unsere Ziele sorgfältig aus, neue Technologien haben unsere Fähigkeiten auf diesem Gebiet weiter verfeinert."
Einzelheiten blieb Koh schuldig. So wie auch CIA-Chef Leon Panetta. Nach den Grenzen des Drohnen-Kampfs gefragt, sagte dieser im September zum Fernsehsender ABC: Wir tun alles, um uns zu verteidigen:
"Doch obwohl diese Erklärungen nahezu inhaltsfrei sind, gibt es keinen öffentlichen Diskurs in den USA. Während über Themen wie Guantanamo und Verhörmethoden leidenschaftlich diskutiert wurde, herrscht in punkto Drohnen weitgehend Schweigen. Möglicherweise, weil durch die unbemannten Flugzeuge eigene Soldaten verschont werden. Drohnen sind zwar nicht unverwundbar, doch sie machen niemals Beileidsbriefe an Eltern von Soldaten erforderlich."
Einerseits ist das positiv, meint Peter Singer, andererseits:
"Das Risiko von Beileidsbriefen war in Demokratien immer eine Hürde, die so manchen Krieg verhindert hat. Schon jetzt sehen wir, wie Politiker leichtsinniger werden und eher bereit sind, Gewalt einzusetzen."
Doch der Siegeszug der Drohne ist nicht mehr aufzuhalten. Die aktuellen ferngesteuerten Angriffe mögen für Laien nach Science-Fiction klingen. Technisch sind die heutigen Drohnen bereits veraltet. Schnellere, düsengetriebene, unbemannte Flugzeuge sind in Entwicklung, andere wiederum sind so klein, dass sie insektengleich auf einer Kugelschreiberspitze Platz finden. James Bond lässt grüßen.
Kameras werden in Kürze in der Lage sein, aus 1000 Metern Höhe Fußabdrücke nicht nur zu erkennen, sondern auch zurückzuverfolgen. 44 Staaten sind bereits jetzt im Besitz von Drohnentechnologie. Die mit ihrem Einsatz verbundenen rechtlichen, ethischen und politischen Fragen sind jedoch größtenteils unbeantwortet. Besonders umstritten ist die Zahl ziviler Opfer. Von genauen Daten will Peter Singer von "Brookings" nichts wissen. Medienberichte über insgesamt 2000 zivile Opfer in Pakistan konnten auf eine anonyme Quelle im pakistanischen Geheimdienst zurückgeführt werden. Die Zahl von angeblich insgesamt nur 30 zivilen Opfern auf eine anonyme Quelle der CIA. Singer meint, anonyme Quellen sind nun einmal nicht zuverlässig
"Bergen und Tiedemann von der New America Foundation kommen nach Auswertung aller zur Verfügung stehenden ernstzunehmenden Quellen zu folgendem Ergebnis: Seit 2004 sind zwischen 1267 und 1945 Menschen im Nordwesten Pakistans durch Drohnenangriffe ums Leben gekommen. Wenigstens 956 und höchstens 1410 davon können als militante Kämpfer angesehen werden. Es gibt also in jedem Fall eine beträchtliche Anzahl unschuldiger Opfer."
Doch auch in Pakistan weiß niemand so genau, wie viele es sind - nur soviel ist sicher: Die amerikanischen Drohnen, die nach pakistanischer Darstellung immer mehr Opfer in der Zivilbevölkerung fordern, sorgen für zunehmende Unruhe im Land. Der Zorn richtet sich zwar auch gegen die USA - aber vor allem gegen die pakistanische Regierung, die in den Augen der Öffentlichkeit die Angriffe mit unbemannten Drohnen gegen die eigene Bevölkerung duldet. Stimmen aus der Hauptstadt Islamabad:
"Was da passiert, ist falsch. Derart die Grenzen eines Landes zu missachten, sich in interne Probleme einzumischen, das geht nicht. Und unsere Regierung macht bei all dem mit. Diese Angriffe können keinen Erfolg haben, schon alleine wegen der Geographie. Unsere Armee hat in den betroffenen Regionen nichts ausrichten können. Und sie kennt die Gegebenheiten. Hier und da werden einige Führer sterben, aber das ist nichts Dauerhaftes."
"Ich glaube, dass diese Drohnenangriffe die falsche Methode sind, um gegen Extremisten vorzugehen. Sie lösen doch das Problem nicht an der Wurzel, sondern verschlimmern die ganze Situation noch."
"Wozu das alles? Wir Bürger sind es doch, die ums Leben kommen. Das Parlament hat sich schon einmal einstimmig gegen die Angriffe ausgesprochen und was ist passiert: nichts. Wenn unser Armeechef wirklich wollte, könnte er von heute auf morgen die NATO-Nachschublieferungen nach Afghanistan stoppen. Er könnte auch die Angriffe stoppen, aber genau das wollen Armee und Regierung nicht, weil sie alle abkassieren wollen."
Der pakistanischen Regierung ist bewusst, auf welch schmalem Grat sie sich bewegt und in welch gefährlichem Dilemma sie steckt. Zwar würden es der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari oder Premierminister Yusuf Raza Gilani niemals wagen, den übermächtigen Partner USA für dessen Drohnenpolitik öffentlich zu kritisieren. Doch der Sprecher des Außenministeriums Abdul Basit machte erst im Oktober klar, dass es für die Angriffe der Amerikaner auf pakistanischem Grund und Boden keinerlei rechtliche Grundlage gibt. Die Angriffe, so Basit, seien eine Verletzung der Souveränität Pakistans. Doch dies ist nur die offizielle Haltung der pakistanischen Regierung - die sie vor allem auf der heimischen Bühne vorträgt, um die Legitimation im eigenen Land nicht zu verlieren, betont Conrad Schetter vom Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn:
"Auf der anderen Seite kann man immer wieder verfolgen, dass die pakistanische Regierung von US-Seite in einer gewissen Weise eingekauft wird. Das heißt, es fließen hier Milliardenbeträge, damit die pakistanische Regierung diese Drohnenangriffe duldet."
Im Klartext: Die amerikanische Regierung erwartet praktische Gegenleistungen für die großzügige Unterstützung aus Washington. Medienberichten zufolge benutzen die USA seit geraumer Zeit auch einen Flugplatz im Südwesten des Landes für ihre Militäroperationen - in Belutschistan. Der geheime Flugplatz Shamsi liegt etwa 300 Kilometer südlich der pakistanischen Stadt Quetta und damit in strategisch günstiger Nähe zur afghanischen Grenze: Sie liegt nur etwa 100 Kilometer entfernt. Für den Pakistanexperten Conrad Schetter macht sich die pakistanische Regierung damit als Mittäter angreifbar.
"Es gibt immer mehr Stimmen in Pakistan, die sagen, dass Zardari so etwas wie das Schoßhündchen Washingtons ist. Wir haben es zudem in Pakistan mit einer Situation zu tun, in der wir einen grassierenden Antiamerikanismus haben, der die gesamte Gesellschaft erfasst. Und mit den Drohnenangriffen wird auch in die Hände der militanten Extremisten gespielt."
Doch selbst, wenn viele Pakistaner nicht mit den militanten Extremisten sympathisieren - die vielen zivilen Opfer der amerikanischen Antiterrorstrategie lassen sie nicht kalt: In den Dörfern des Hinterlandes sterben Frauen und Kinder, Brüder und Schwestern. Der Politikwissenschaftler Mansur Khan Mahsud vom FATA-Research Centre in Islamabad beschäftigt sich seit langem mit den Stammesgebieten an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Er glaubt, dass die USA mit den Angriffen eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt in Gang setzen.
"Ich glaube, dass die USA mit den Angriffen genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie erreichen wollen. Immer wieder kommt es zu zivilen Opfern - unschuldige Menschen sterben. Kein Pakistaner kann das gutheißen. So entsteht ein Hass auf diese fremde Macht, die in unser Land eindringt, unsere Häuser bombardiert und dann wieder verschwindet. Und wenn weitere Zivilisten sterben, kommt es zu noch mehr Hass. Hass auch auf unsere Regierung, die zu schwach ist, die Angriffe zu stoppen."
Doch es gibt auch andere Stimmen. Der ehemalige Brigadegeneral Asad Munir aus Islamabad glaubt, dass die Menschen in den Stammesgebieten die Drohnenangriffe gutheißen - schließlich richten sie sich gegen Extremisten, denen sie andernfalls hilflos ausgeliefert wären. Die Islamisten haben vielerorts eigene staatliche Strukturen aufgebaut und eine besonders brutale Auslegung der Scharia durchgesetzt.
Zu den wachsenden Spannungen im eigenen Land kommt die sensible geopolitische Lage Pakistans. Mit seiner unbequemen Nachbarschaft zu Ländern wie Afghanistan, Iran, China und Indien spielt Pakistan in dieser explosiven Region eine entscheidende Rolle: In Pakistan liegt der Schlüssel zur Befriedung der gesamten Region. Doch genau diese Schlüsselposition nutzt Pakistan für seine Zwecke aus, erklärt der Politikwissenschaftler Conrad Schetter. Er stellt in Frage, ob Pakistan wirklich die Konflikte lösen will, in die es verwickelt ist:
" In gewisser Weise hat Pakistan immer die Konflikte benutzt, um Gelder ins Land zu holen und um seine Wichtigkeit zu unterstreichen. Angefangen von seiner Nuklearmacht, über den Kaschmir-Konflikt bis hin zum Konflikt mit den Taliban, und und und.""
Besonders brisant ist immer noch das Verhältnis Pakistans zu Indien. Immer wieder wird das alte Misstrauen neu entfacht und die alte Feindschaft unter den Erzrivalen befeuert. Mit großem Unbehagen beobachtet die pakistanische Regierung, dass sich die USA und Indien immer weiter annähern. Viele wittern Verrat. Dies wurde jüngst auch beim Besuch Obamas in Indien deutlich. In seiner Rede im indischen Parlament, die Obama mit "Jai Hind - Lang lebe Indien" auf Hindi beendete, fand Obama nur harsche Worte für Pakistan:
"Wir werden auch weiterhin, gegenüber der pakistanischen Regierung betonen, dass es nicht hinnehmbar ist, dass es in ihrem Land Rückzugsgebiete für Terroristen gibt und dass die Drahtzieher der Terroranschläge auf Mumbai zur Rechenschaft gezogen werden müssen."
Sicherheitsexperte Asad Munir vermutet auch, dass die USA Pakistan in manchen Fragen nicht als gleichwertigen Partner ansehen:
"Pakistan hat immer wieder darum gebeten, von den USA die Technologie zu bekommen, um selbst Drohnenangriffe ausführen zu können. Damit könnten die Armee und die Menschen in Pakistan zufrieden gestellt werden, denn auch wir wollen ja dieselben Extremisten töten. Der Hass gegen die Amerikaner ist uralt. Die Menschen hier sind sehr misstrauisch, was diese Allianz mit einer Supermacht wie den USA angeht."
Die Lage ist also für Pakistan prekär. Die Balance zwischen den drei traditionellen Machtzentren - Regierung, Armee und Geheimdienst - ist labil und droht mit jedem Eingriff von außen aus dem Gleichgewicht zu geraten. Die Drohnen der Supermacht USA gegen Terrorverdächtige in entlegenen Dörfern im Hinterland bringen die Bevölkerung immer mehr auf. Ein einziger Fehlschlag mit vielen zivilen Opfern - und das Machtgefüge in Pakistan könnte in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus.
So gesehen könnte sich die Strategie des Drohnenkrieges noch als kontraproduktiv erweisen. Ob in Washington oder Islamabad: Der Eindruck verfestigt sich, dass der anonyme Tod aus der Luft den USA und Pakistan mehr schadet als nützt.
Mehr zu diesem Thema:
Über die ferngesteuerten Maschinen berichtet auch die Sendung Wissenschaft im Brennpunkt mit dem Beitrag"Kriegsspiele"
"Black Ops", so heißt die aktuelle, siebte Folge des Computer-Spiels "Call of Duty". In vielen amerikanischen Wohnzimmern regiert in diesen Tagen der Joystick. Die Spieler schlüpfen in die Rolle eines US-Elitekämpfers und schießen sich die Welt zurecht.
In Langley, Virginia, unweit von Washington, sitzen CIA-Angestellte an Joysticks ganz anderer Art. Monitore zeigen Bilder in Echtzeit, Bilder von mutmaßlichen Terroristen. US-Drohnen kreisen stundenlang in zwei-, dreitausend Metern Höhe über Zielobjekten, zum Beispiel in Pakistan. Sie liefern detaillierte Aufnahmen um die Welt, zurück in die USA, nach Virginia. Wenn dort dann auf den Knopf gedrückt wird, löst sich hoch über dem Himmel Pakistans eine Rakete vom Typ Hellfire. Der CIA-Mann sieht den Feuerball, er sieht danach die Trümmer am Erdboden. Die ferngesteuerte Drohne landet unversehrt und in Langley, Virginia, ist irgendwann Feierabend. Noah Shachtman hat das Thema Drohnen für das Technologie-Magazin "Wired" recherchiert. Er sieht keine Parallele zwischen den Computer-Spielern und den High-Tech-Kriegern:
"Weder beim Militär, noch bei der CIA steuert irgendjemand Drohnen, der sich des Unterschieds nicht bewusst wäre. Ich habe mit den Leuten gesprochen, Zeit mit ihnen verbracht. Die wissen, dass es hier um Leben und Tod geht."
Philip Alston ist sich da nicht so sicher. Bis zum vergangenen August war er UN-Sonderberichterstatter für außerrechtliche Exekutionen. Der Australier lehrt Jura an der New York University. In seinem Bericht für den UN-Menschenrechtsrat vom Mai 2010 schreibt Alston:
Weil die Ausführenden Tausende von Kilometern entfernt sind und ausschließlich über Computer-Bildschirme und Audio-Leitungen handeln, besteht das Risiko einer "Playstation-Mentalität", wenn es um Tötungen geht. Staaten müssen durch eine entsprechende Ausbildung sicherstellen, dass Drohnen-Lenker ohne jegliche Kriegs- und Kampferfahrung die internationalen Menschenrechte achten.
Eine zielgenaue Bekämpfung des Gegners auf feindlichem Gebiet, ohne Risiko für Leib und Leben eigener Soldaten - für Militärplaner und Politiker klingen die Möglichkeiten des Einsatzes von Drohnen verführerisch. Drohnen werden nicht müde. Sie können bis zu 36 Stunden ununterbrochen in der Luft bleiben. Kameras liefern selbst aus 2000 Metern Höhe noch Details. Informationen können in Sekunden mit Datenspeichern in den USA abgeglichen werden. Peter Singer gilt als einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Drohnentechnologie. Er arbeitet für das Brookings Institute in Washington und hat das Buch "Wired for War" geschrieben. Singer zur Bedeutung von Drohnen für die Zukunft bewaffneter Konflikte:
"Das ist schlicht revolutionär. Die Art und Weise, mit der wir Kriegführung verändern, ist auf einer Höhe mit der Erfindung des Schwarzpulvers, der Dampfmaschine oder des Computers."
Die Zahl der Angriffe durch US-Drohnen ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Sowohl das Militär, Army und Air Force setzen Drohnen ein, etwa in Afghanistan oder im Irak - als auch die CIA in Pakistan. Die Ausweitung des Drohnen-Kriegs geschah zeitgleich mit dem Amtsantritt von Barack Obama. Auch wenn die genaue Zahl der Einsätze unklar ist, die Tendenz ist unbestritten, sagt Noah Shachtman von "Wired Magazine":
"Anders als sein Vorgänger im Amt, anders als George W. Bush, rückte der neue amerikanische Präsident den Krieg in Afghanistan ins Zentrum, verstärkte dort die eigenen Truppen und drückte durch die sogenannte AFPAK-Strategie den inhaltlichen Zusammenhang mit Pakistan aus. El Kaida- und Taliban-Kämpfer hatten sich angesichts des zunehmenden Drucks in Afghanistan über die Grenze nach Pakistan geflüchtet. Eine offene Terrorbekämpfung durch amerikanische Truppen auf pakistanischem Territorium war politisch undenkbar. Der scheinbar elegante Ausweg: offiziell geheime Drohnen-Einsätze gegen mutmaßliche Terror-Verdächtige. Peter Bergen und Katherine Tiedemann sind bei der New America Foundation für die akribische Auflistung von Drohnen-Angriffen verantwortlich. Die Quellenlage ist alles andere als ideal. Die CIA verweigert jegliche Stellungnahme. Bergen und Tiedemann beschränken sich auf Berichte großer Nachrichtenorganisationen mit Ressourcen in der Region. Demnach ist die Zahl der Angriffe durch Drohnen von neun zwischen 2004 und 2007 auf 34 im Jahr 2008 angestiegen. Ein Jahr später waren es 53 und im laufenden Jahr verzeichnen Bergen und Tiedemann bisher 101 Drohneneinsätze. Mit anderen Worten: Die USA töten seit Monaten zwei bis dreimal pro Woche gezielt Terror-Verdächtige. Verantwortlich für einen Großteil der Einsätze ist die CIA, die sich einer öffentlichen Diskussion darüber grundsätzlich verweigert. UN-Sonderberichterstatter Philip Alston hat für seine Studie keinerlei offizielle Informationen erhalten, weder von der CIA noch von anderen US-Regierungsstellen:"
"Wir wissen nicht, ob die CIA-Leute Einsatzregeln kennen und beachten, sie müssen keinerlei Rechenschaft ablegen, wir haben keine Ahnung was wirklich geschieht."
Noch immer fragt er nach der rechtlichen Grundlage für die Drohnen-Politik der Amerikaner. Als eine der wenigen offiziellen Stimmen der Obama-Regierung begründete Rechtsberater Harold Koh im vergangenen März die geltende Praxis. Bei einer internationalen Konferenz von Rechtsanwälten in Washington, sagte Koh, einst prominenter Kritiker der Bush-Regierung:
"Es gibt Kritiker, die angesichts tödlicher Gewalt gegen bestimmte Personen, den Rechtsweg vermissen und uns illegaler, außerrechtlicher Tötungen bezichtigen. Doch ein Staat kann im Krieg oder in Selbstverteidigung auch ohne Rechtsweg töten."
Und zur Bestimmung potenzieller Ziele von Drohnenangriffen, sagte Koh:
"Wir wählen unsere Ziele sorgfältig aus, neue Technologien haben unsere Fähigkeiten auf diesem Gebiet weiter verfeinert."
Einzelheiten blieb Koh schuldig. So wie auch CIA-Chef Leon Panetta. Nach den Grenzen des Drohnen-Kampfs gefragt, sagte dieser im September zum Fernsehsender ABC: Wir tun alles, um uns zu verteidigen:
"Doch obwohl diese Erklärungen nahezu inhaltsfrei sind, gibt es keinen öffentlichen Diskurs in den USA. Während über Themen wie Guantanamo und Verhörmethoden leidenschaftlich diskutiert wurde, herrscht in punkto Drohnen weitgehend Schweigen. Möglicherweise, weil durch die unbemannten Flugzeuge eigene Soldaten verschont werden. Drohnen sind zwar nicht unverwundbar, doch sie machen niemals Beileidsbriefe an Eltern von Soldaten erforderlich."
Einerseits ist das positiv, meint Peter Singer, andererseits:
"Das Risiko von Beileidsbriefen war in Demokratien immer eine Hürde, die so manchen Krieg verhindert hat. Schon jetzt sehen wir, wie Politiker leichtsinniger werden und eher bereit sind, Gewalt einzusetzen."
Doch der Siegeszug der Drohne ist nicht mehr aufzuhalten. Die aktuellen ferngesteuerten Angriffe mögen für Laien nach Science-Fiction klingen. Technisch sind die heutigen Drohnen bereits veraltet. Schnellere, düsengetriebene, unbemannte Flugzeuge sind in Entwicklung, andere wiederum sind so klein, dass sie insektengleich auf einer Kugelschreiberspitze Platz finden. James Bond lässt grüßen.
Kameras werden in Kürze in der Lage sein, aus 1000 Metern Höhe Fußabdrücke nicht nur zu erkennen, sondern auch zurückzuverfolgen. 44 Staaten sind bereits jetzt im Besitz von Drohnentechnologie. Die mit ihrem Einsatz verbundenen rechtlichen, ethischen und politischen Fragen sind jedoch größtenteils unbeantwortet. Besonders umstritten ist die Zahl ziviler Opfer. Von genauen Daten will Peter Singer von "Brookings" nichts wissen. Medienberichte über insgesamt 2000 zivile Opfer in Pakistan konnten auf eine anonyme Quelle im pakistanischen Geheimdienst zurückgeführt werden. Die Zahl von angeblich insgesamt nur 30 zivilen Opfern auf eine anonyme Quelle der CIA. Singer meint, anonyme Quellen sind nun einmal nicht zuverlässig
"Bergen und Tiedemann von der New America Foundation kommen nach Auswertung aller zur Verfügung stehenden ernstzunehmenden Quellen zu folgendem Ergebnis: Seit 2004 sind zwischen 1267 und 1945 Menschen im Nordwesten Pakistans durch Drohnenangriffe ums Leben gekommen. Wenigstens 956 und höchstens 1410 davon können als militante Kämpfer angesehen werden. Es gibt also in jedem Fall eine beträchtliche Anzahl unschuldiger Opfer."
Doch auch in Pakistan weiß niemand so genau, wie viele es sind - nur soviel ist sicher: Die amerikanischen Drohnen, die nach pakistanischer Darstellung immer mehr Opfer in der Zivilbevölkerung fordern, sorgen für zunehmende Unruhe im Land. Der Zorn richtet sich zwar auch gegen die USA - aber vor allem gegen die pakistanische Regierung, die in den Augen der Öffentlichkeit die Angriffe mit unbemannten Drohnen gegen die eigene Bevölkerung duldet. Stimmen aus der Hauptstadt Islamabad:
"Was da passiert, ist falsch. Derart die Grenzen eines Landes zu missachten, sich in interne Probleme einzumischen, das geht nicht. Und unsere Regierung macht bei all dem mit. Diese Angriffe können keinen Erfolg haben, schon alleine wegen der Geographie. Unsere Armee hat in den betroffenen Regionen nichts ausrichten können. Und sie kennt die Gegebenheiten. Hier und da werden einige Führer sterben, aber das ist nichts Dauerhaftes."
"Ich glaube, dass diese Drohnenangriffe die falsche Methode sind, um gegen Extremisten vorzugehen. Sie lösen doch das Problem nicht an der Wurzel, sondern verschlimmern die ganze Situation noch."
"Wozu das alles? Wir Bürger sind es doch, die ums Leben kommen. Das Parlament hat sich schon einmal einstimmig gegen die Angriffe ausgesprochen und was ist passiert: nichts. Wenn unser Armeechef wirklich wollte, könnte er von heute auf morgen die NATO-Nachschublieferungen nach Afghanistan stoppen. Er könnte auch die Angriffe stoppen, aber genau das wollen Armee und Regierung nicht, weil sie alle abkassieren wollen."
Der pakistanischen Regierung ist bewusst, auf welch schmalem Grat sie sich bewegt und in welch gefährlichem Dilemma sie steckt. Zwar würden es der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari oder Premierminister Yusuf Raza Gilani niemals wagen, den übermächtigen Partner USA für dessen Drohnenpolitik öffentlich zu kritisieren. Doch der Sprecher des Außenministeriums Abdul Basit machte erst im Oktober klar, dass es für die Angriffe der Amerikaner auf pakistanischem Grund und Boden keinerlei rechtliche Grundlage gibt. Die Angriffe, so Basit, seien eine Verletzung der Souveränität Pakistans. Doch dies ist nur die offizielle Haltung der pakistanischen Regierung - die sie vor allem auf der heimischen Bühne vorträgt, um die Legitimation im eigenen Land nicht zu verlieren, betont Conrad Schetter vom Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn:
"Auf der anderen Seite kann man immer wieder verfolgen, dass die pakistanische Regierung von US-Seite in einer gewissen Weise eingekauft wird. Das heißt, es fließen hier Milliardenbeträge, damit die pakistanische Regierung diese Drohnenangriffe duldet."
Im Klartext: Die amerikanische Regierung erwartet praktische Gegenleistungen für die großzügige Unterstützung aus Washington. Medienberichten zufolge benutzen die USA seit geraumer Zeit auch einen Flugplatz im Südwesten des Landes für ihre Militäroperationen - in Belutschistan. Der geheime Flugplatz Shamsi liegt etwa 300 Kilometer südlich der pakistanischen Stadt Quetta und damit in strategisch günstiger Nähe zur afghanischen Grenze: Sie liegt nur etwa 100 Kilometer entfernt. Für den Pakistanexperten Conrad Schetter macht sich die pakistanische Regierung damit als Mittäter angreifbar.
"Es gibt immer mehr Stimmen in Pakistan, die sagen, dass Zardari so etwas wie das Schoßhündchen Washingtons ist. Wir haben es zudem in Pakistan mit einer Situation zu tun, in der wir einen grassierenden Antiamerikanismus haben, der die gesamte Gesellschaft erfasst. Und mit den Drohnenangriffen wird auch in die Hände der militanten Extremisten gespielt."
Doch selbst, wenn viele Pakistaner nicht mit den militanten Extremisten sympathisieren - die vielen zivilen Opfer der amerikanischen Antiterrorstrategie lassen sie nicht kalt: In den Dörfern des Hinterlandes sterben Frauen und Kinder, Brüder und Schwestern. Der Politikwissenschaftler Mansur Khan Mahsud vom FATA-Research Centre in Islamabad beschäftigt sich seit langem mit den Stammesgebieten an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Er glaubt, dass die USA mit den Angriffen eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt in Gang setzen.
"Ich glaube, dass die USA mit den Angriffen genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie erreichen wollen. Immer wieder kommt es zu zivilen Opfern - unschuldige Menschen sterben. Kein Pakistaner kann das gutheißen. So entsteht ein Hass auf diese fremde Macht, die in unser Land eindringt, unsere Häuser bombardiert und dann wieder verschwindet. Und wenn weitere Zivilisten sterben, kommt es zu noch mehr Hass. Hass auch auf unsere Regierung, die zu schwach ist, die Angriffe zu stoppen."
Doch es gibt auch andere Stimmen. Der ehemalige Brigadegeneral Asad Munir aus Islamabad glaubt, dass die Menschen in den Stammesgebieten die Drohnenangriffe gutheißen - schließlich richten sie sich gegen Extremisten, denen sie andernfalls hilflos ausgeliefert wären. Die Islamisten haben vielerorts eigene staatliche Strukturen aufgebaut und eine besonders brutale Auslegung der Scharia durchgesetzt.
Zu den wachsenden Spannungen im eigenen Land kommt die sensible geopolitische Lage Pakistans. Mit seiner unbequemen Nachbarschaft zu Ländern wie Afghanistan, Iran, China und Indien spielt Pakistan in dieser explosiven Region eine entscheidende Rolle: In Pakistan liegt der Schlüssel zur Befriedung der gesamten Region. Doch genau diese Schlüsselposition nutzt Pakistan für seine Zwecke aus, erklärt der Politikwissenschaftler Conrad Schetter. Er stellt in Frage, ob Pakistan wirklich die Konflikte lösen will, in die es verwickelt ist:
" In gewisser Weise hat Pakistan immer die Konflikte benutzt, um Gelder ins Land zu holen und um seine Wichtigkeit zu unterstreichen. Angefangen von seiner Nuklearmacht, über den Kaschmir-Konflikt bis hin zum Konflikt mit den Taliban, und und und.""
Besonders brisant ist immer noch das Verhältnis Pakistans zu Indien. Immer wieder wird das alte Misstrauen neu entfacht und die alte Feindschaft unter den Erzrivalen befeuert. Mit großem Unbehagen beobachtet die pakistanische Regierung, dass sich die USA und Indien immer weiter annähern. Viele wittern Verrat. Dies wurde jüngst auch beim Besuch Obamas in Indien deutlich. In seiner Rede im indischen Parlament, die Obama mit "Jai Hind - Lang lebe Indien" auf Hindi beendete, fand Obama nur harsche Worte für Pakistan:
"Wir werden auch weiterhin, gegenüber der pakistanischen Regierung betonen, dass es nicht hinnehmbar ist, dass es in ihrem Land Rückzugsgebiete für Terroristen gibt und dass die Drahtzieher der Terroranschläge auf Mumbai zur Rechenschaft gezogen werden müssen."
Sicherheitsexperte Asad Munir vermutet auch, dass die USA Pakistan in manchen Fragen nicht als gleichwertigen Partner ansehen:
"Pakistan hat immer wieder darum gebeten, von den USA die Technologie zu bekommen, um selbst Drohnenangriffe ausführen zu können. Damit könnten die Armee und die Menschen in Pakistan zufrieden gestellt werden, denn auch wir wollen ja dieselben Extremisten töten. Der Hass gegen die Amerikaner ist uralt. Die Menschen hier sind sehr misstrauisch, was diese Allianz mit einer Supermacht wie den USA angeht."
Die Lage ist also für Pakistan prekär. Die Balance zwischen den drei traditionellen Machtzentren - Regierung, Armee und Geheimdienst - ist labil und droht mit jedem Eingriff von außen aus dem Gleichgewicht zu geraten. Die Drohnen der Supermacht USA gegen Terrorverdächtige in entlegenen Dörfern im Hinterland bringen die Bevölkerung immer mehr auf. Ein einziger Fehlschlag mit vielen zivilen Opfern - und das Machtgefüge in Pakistan könnte in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus.
So gesehen könnte sich die Strategie des Drohnenkrieges noch als kontraproduktiv erweisen. Ob in Washington oder Islamabad: Der Eindruck verfestigt sich, dass der anonyme Tod aus der Luft den USA und Pakistan mehr schadet als nützt.
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