Am Londoner Bahnhof King's Cross wird gebaut. Kräne überragen zahlreiche Hochhaushülsen. Inmitten der unfertigen Türme: ein Gemeinschaftsgarten. In Schuttcontainern von der Baustelle wachsen Birnenbäume. In Beeten aus altem Gerüstholz sprießen Kräuter.
Hier treffen sich heute die Mitglieder des Loneliness Lab. Architekten, Wohltätigkeitsorganisationen und Lokalpolitiker wollen in diesem Ideenlabor herausfinden, wie sie Londons Gebäude und Plätze so planen und verändern können, dass sich ihre Bewohner und Nutzer weniger einsam fühlen. Vanessa Pilla ist eine der Leiterinnen des Projekts.
"Bisher gibt es kaum akademische Forschung oder Strategien dazu, welchen Einfluss unsere bebaute Umgebung auf soziale Isolation haben kann."
Ganze Stadtviertel werden erneuert
Deshalb hat die Immobilienfirma Lendlease, für die Pilla arbeitet, das Loneliness Lab ins Leben gerufen. Lendlease baut in London gerade an sechs Stellen in ähnlichem Umfang wie hier in King's Cross. Wohnungen, Geschäfte, Restaurants – ganze Viertel werden erneuert. Die Nachfrage nach Wohnraum übersteigt das Angebot in der britischen Hauptstadt – und in Hochhäusern finden auf wenig Fläche viele Wohnungen Platz.
Das Architekturforum New London Architecture schätzt, dass in den kommenden fünf Jahren 110.000 Wohnungen in Hochhäusern entstehen werden. Aber mit der Architektur verändern sich auch die Lebensgewohnheiten, erklärt Pilla.
"The way people are living is different. We’ve gone from estates where there’s communal spaces to high rise buildings."
Anders als in den Siedlungen, in denen man sich früher etwa beim Wäscheaufhängen im Hof begegnete, kennen viele Hochhausbewohner heute ihre Nachbarn nicht.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Allein auf der Insel - Großbritannien und die Einsamkeit".
"People sometimes don’t even know their neighbours." Um die Bewohner der Hochhaussiedlungen zusammenzubringen, hat Lendlease im Loneliness Lab Lösungen erdacht, die sich in den schon gebauten Häusern umsetzen lassen.
"Unsere Portiers fungieren als eine Art Community Manager und sind die zentrale Anlaufstelle im Haus. Wir veranstalten Straßenpartys und versenden einen Community Newsletter."
Rauchen wird in den Parks und auf den Plätzen zwischen den alten und neuen Gebäuden erlaubt sein. Alt und neu sollen so einfacher zusammenfinden.
"Wenn die Plätze etwas schäbiger aussehen, fügen sie sich besser in die alte Umgebung ein."
Die englische Regierung stellte 2017 in ihrer großen Einsamkeits-Studie fest: Menschen, die sich ihrer Nachbarschaft nicht zugehörig fühlen, sind häufiger einsam. Deswegen will Lendlease die Anwohner dazu anregen, die öffentlichen Räume selbst zu gestalten.
"In den traditionellen Sozialsiedlungen etwa gibt es viele Schilder, die einem sagen, was man nicht tun soll. Wir wollen den Bewohnern stattdessen sagen, was sie tun können. ‚Das ist euer öffentlicher Raum! Nutzt ihn, wie ihr wollt!‘"
Elephant Park: scheinheiliges Vorzeigeprojekt?
Elephant Park ist das Vorzeigeprojekt von Lendlease, ein 2,3 Milliarden-teures Vorhaben im Auftrag des Stadtbezirks Southwark im Zentrum Londons. Tanya Murat wohnt hier in der Nähe in einer Sozialwohnung und koordiniert eine Kampagne gegen das Bauprojekt.
"My name is Tanya Murat. I’m a local resident and I live in a council home."
Wir sitzen auf einer Bank zwischen noch leeren Geschäften. Ein Sicherheitsbeamter in gelber Warnweste nähert sich. Privatgrundstück, Interviews verboten. Es sei denn, man bekommt vorher eine Erlaubnis von Lendlease. Der Platz wird privat verwaltet: Lendlease hat das letzte Wort darüber, wer hier was wann tut. Tanya Murat hält die Baufirma und ihr Loneliness Lab nicht nur deshalb für scheinheilig.
"Das ist eine PR-Aktion, die davon ablenken soll, dass sie zur Zerstörung unserer Gemeinschaft beigetragen haben."
Im alten, nun abgerissenen Wohnblock gab es über 1.000 Sozialwohnungen und subventionierte Wohnungen. Im Neubau sind es nur noch 82, der Rest sind sogenannte "erschwingliche Wohnungen". Doch die konnten sich meisten ehemaligen Bewohner gar nicht leisten.
"Viele von ihnen sind nach Kent, Essex und die äußeren Stadtbezirke Londons gezogen, weil das Entschädigungsgeld niemals ausgereicht hätte, um weiter in dieser Gegend zu wohnen."
Kritik: Soziale Architektur brauche Einbindung aller Anwohner
So tragen Baufirmen wie Lendlease zu dem Problem bei, das sie mit dem Loneliness Lab zu lösen versuchen. Tanya Murat glaubt, dass eine sozialere Architektur möglich ist – aber nur wenn alle Anwohner von vornherein mit einbezogen werden.
"Aber das erfordert ein fundamentales Umdenken, weg von den Interessen der mächtigen 1-Prozent, hin zum Wohl der Mehrheit. Die Anwohner sollten darüber entscheiden, wie ihre Umgebung gestaltet wird: Sie wissen am besten, was sie brauchen und für praktisch halten."
Wie Vanessa Pilla engagiert sich auch der Landschaftsarchitekt David Fearon im Loneliness Lab. Er hält den Gemeinschaftsgarten, in dem das Treffen stattfindet, für ein gelungenes Beispiel in Sachen sozialer Architektur.
"Er ist in Teamarbeit entstanden. Menschen sind hier zusammengekommen, um gemeinsam etwas zu schaffen."
Aber wird hier auch jemand Tomaten pflanzen, der gar nicht weiß, ob er in sechs Monaten noch in der Gegend wohnen wird, um sie ernten zu können?
"Das ist ein großes Problem. Wir müssen Menschen die Möglichkeit geben, Wurzeln zu schlagen. Ich wünschte, ich könnte eine Umgebung entwerfen, die dieses Problem lösen würde. Vielleicht ist das möglich. Aber im Moment wüsste ich nicht, wie."