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Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte
Starke Zunahme gibt Anlass zur Sorge

Immer wieder sorgen Anschläge auf geplante oder bestehende Flüchtlingsunterkünfte für Schlagzeilen. Die starke Zunahme innerhalb kurzer Zeit, gebe Anlass zur Sorge, sagte der Kriminologe Frank Stolt im DLF. Die Ermittlung der Täter sei aber oft schwierig, weil es meist nur sehr wenige Spuren gebe.

Frank Stolt im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Die geplante Flüchtlingsunterkunft im bayerischen Vorra, die durch einen Brandanschlag im Dezember 2014 beschädigt wurde: Knapp vier Monate später hat die Polizei noch immer keine Hinweise auf die Täter.
    Die durch einen Brandanschlag beschädigte geplante Flüchtlingsunterkunft im bayerischen Vorra. Die Ermittlung der Täter ist schwierig. (picture alliance / dpa)
    Thielko Grieß: Die Millionen, die Milliarden Facebook-Kommentare und Einträge händisch nach Ausdrücken von Hass- oder Gewaltaufrufen zu durchsuchen, das ist kaum möglich. Es bräuchte schon eine computergesteuerte Erkennung und deswegen auch die Kooperation von Facebook. Der Bundesjustizminister hätte das gerne so. Er sucht Verbündete für dieses Anliegen bei den übrigen Justizministern der Europäischen Union heute in Luxemburg.
    Viele dieser Kommentare finden sich zum Beispiel unter Einträgen zur Flüchtlingspolitik. Auch das ist eine große Debatte in diesen Tagen in Deutschland. Eine Zahl greifen wir jetzt heraus. Fast 500 Straftaten allein in diesem Jahr gegen Asylbewerber-Unterkünfte. Das bedeutet über den Daumen gepeilt ungefähr zwei am Tag. - Am Telefon ist jetzt der Kriminologe und Sachverständige für solche Fälle von Bränden und Brandstiftungen, Frank Stolt, Dozent an mehreren Polizeihochschulen. Herr Stolt, guten Tag.
    Frank D. Stolt: Wunderschönen guten Tag.
    Grieß: Der Bundesinnenminister bewertet die Zahl von fast 500 als hoch. Sie auch?
    Stolt: Ja, man muss unterscheiden. Er spricht ja allgemein von Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte. Das sind jetzt nicht alles Brandstiftungen. Und wenn man das dann wie gesagt auf die Bundesrepublik überträgt, dann ist das von der Zahl her nicht ganz so gravierend. Allerdings - und das ist das Schlimme - der Zeitraum und die Verstärkung in diesem kurzen Zeitraum, das sollte mehr als zur Besorgnis Anlass geben.
    Grieß: Dass es in relativ kurzer Zeit deutlich mehr geworden sind als im vergangenen Jahr?
    Stolt: Deutlich, ja.
    Grieß: Wo liegt denn die Aufklärungsquote solcher Straftaten, die unter anderem ja Brandstiftungen sein können, aber nicht müssen?
    Stolt: Das ist ähnlich wie bei Brandstiftungen, die nicht politisch motiviert sind. Es ist sehr schwierig, hier die Täter zu ermitteln, weil - das kam ja auch in dem Bericht noch mal heraus - es eigentlich oft unbescholtene Personen sind, Bürger sind aus der Region, die sich bisher nicht polizeilich auffällig verhalten haben und schon gar nicht mit solchen Intensivstraftaten.
    Grieß: Und die hinterlassen keine Spuren und man findet sie später dann nicht mehr.
    Stolt: Ja, das ist das nächste Problem. Das sprechen Sie völlig richtig an. Der Laie denkt immer, dass da sehr viele Spuren gelegt werden. Es ist genau das Gegenteil. Es werden relativ wenig Spuren gelegt. Man kann mit einfachsten Mitteln schon Brände verursachen und das dann nachzuweisen, beziehungsweise einer konkreten Person, denn das ist ja dann strafrechtlich wichtig, das ist sehr, sehr schwierig.
    Grieß: Da steht man anders als die Kriminologen sonntags abends im Krimi dann doch vor Rätseln, weil nicht klar ist, wer es gewesen sein könnte. Ein Vergleich dazu: Ich glaube, die Aufklärungsquote bei Morden ist deutlich höher. Können Sie das in Relation setzen?
    Stolt: Ja, das ist richtig. Bei Tötungsdelikten liegt zumindest bei den bekannten Tötungsdelikten bei über 90 Prozent, weil Tötungsdelikte im Regelfall Beziehungstaten sind. Das heißt, der Täter, die Täterin kommt aus dem Lebensumfeld, Familie, Arbeitssphäre, Freundschaft, Beruf, und das führt dann relativ schnell in dieser hohen Zahl zur Einengung des Täterkreises.
    Grieß: Jetzt spricht der Bundesinnenminister davon, dass ein Drittel der Tatverdächtigen Rechtsextremisten zuzuordnen sei und zwei Drittel sogenannte bis dahin unbescholtene Bürger. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ist die statistische Grundlage dessen, was der Bundesinnenminister sagt, aber reichlich dünn.
    Stolt: Ja, das ist generell bei diesen Taten so. Erstens haben wir bei Brandstiftung ein sehr großes Dunkelfeld. Wir wissen gar nicht so genau, was dann eigentlich passiert, weil viele Brandstiftungen fallen auch in den Bereich der Sachbeschädigung, dass das gar nicht der Polizei groß bekannt wird. Der Täter hat vielleicht schon Brände gelegt, die aber der Polizei nicht bekannt sind. Und dann ist die nächste Frage, war es ein Täter, war es ein politisch motivierter Täter, waren es mehrere Täter. Wir haben auch ganz "normale" Brandstifter, die dann plötzlich anfangen, auch bei Asylantenunterkünfte Brände zu legen.
    Grieß: Was treibt denn Brandstifter dazu, ausgerechnet einen Brand zu verursachen, um ihrer, ich weiß nicht genau, politischen Haltung oder ihrer Kritik an bestimmten Zuständen Ausdruck zu verleihen?
    Stolt: Ich denke, das sind sehr, sehr viele Motive. Es gibt gar nicht das Motiv. Ein Problem, was ich sehe, ist, dass die meisten Täter sich über die Schwere ihrer Tat gar nicht im Klaren sind. Die meisten - und ich erlebe das auch immer wieder vor Gericht - sagen dann, insbesondere wenn es zu Personenschäden kommt, das haben wir nicht gewollt. Das kann man ihnen eigentlich auch abnehmen. Aber davon unabhängig ist es zu solchen Personenschäden gekommen und mein Problem ist, dass wir einfach noch nicht genügend klar machen, dass es sich bei Brandstiftung nicht um Kavaliersdelikte oder Handlungen handelt, die man, na ja, vielleicht noch so tolerieren könnte, sondern dass ganz klar deutlich werden muss, es sind hier Straftaten mit einer sehr hohen kriminellen Energie, die auch entsprechend bestraft werden müssen. Ich glaube, das hat der Innenminister noch mal deutlich gemacht.
    Grieß: Der Kriminologe Frank Stolt heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Herr Stolt, danke schön für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.