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Anschläge in Agypten
"Christen stehen als Symbol für den Westen"

Gemeinden der christlich-koptischen Minderheit in Ägypten sind immer wieder das Ziel von IS-Attentaten - erst am Palmsonntag kamen Dutzende Menschen bei einem Anschlag auf zwei Kirchen um. Der CDU-Abgeordnete Heribert Hirte forderte im Deutschlandfunk: "Wir müssen dafür kämpfen, dass unser Verständnis der Religionsfreiheit Vorbildcharakter hat."

Heribert Hirte im Gespräch mit Christiane Florin |
    Blick in eine koptische Kirche in Tanta, Ägypten. Dort gab es einen Anschlag während des Gottesdienstes.
    Blick in eine koptische Kirche in Tanta, Ägypten. Dort gab es einen Anschlag während des Gottesdienstes. (imago / Xinhua)
    Christiane Florin: Rund 40 Menschen starben gestern in Ägypten bei zwei Attentaten auf koptische Kirchen, viele Menschen wurden verletzt. Die Anschläge geschahen während beziehungsweise nach dem Palmsonntagsgottesdienst in Tanta und Alexandria. Die Kopten sind eine große christliche Minderheit in Ägypten, etwa zehn Prozent der Bevölkerung bekennen sich zu diesem altorientalischen Christentum. Ich bin nun mit Heribert Hirte verbunden, er ist CDU-Bundestagsabgeordneter, Jurist und Vorsitzender des Stephanus-Kreises. Diese überkonfessionelle Gruppe setzt sich für die Rechte von Christen weltweit ein. Guten Morgen, Herr Hirte.
    Heribert Hirte: Guten Morgen, Frau Florin.
    Florin: Der IS hat sich zu dem Anschlag bekannt, so lief es jedenfalls in den Nachrichten. Warum sind immer wieder die Kopten das Ziel der Terroristen in Ägypten?
    Hirte: Weil das die größte Minderheitsreligion ist. Und weil es natürlich das Ziel des IS ist, gerade gegen die Christen vorzugehen und entsprechend Zwietracht zu säen. Wir erleben sehr oft und hören sehr oft in Gesprächen, dass gegen die Christen deshalb vorgegangen wird, weil sie sozusagen als Symbol für den Westen stehen, manchmal auch für Amerika. Deshalb ist mittelbar der Westen die Zielscheibe dieser Attentate.
    "Das Christentum ist ein Feindbild"
    Florin: Sie sagten, die Christen stehen als Symbol für den Westen. Nun ist ja der Westen gar nicht mehr so besonders christlich. Wir sprechen viel von Säkularisierung, manche auch von Entchristlichung. Warum diese Wahrnehmung?
    Hirte: Ja, das ist in der Tat so. Ich selbst habe das Wort "Entchristlichung" vor einiger Zeit - auch bewusst - verwendet, um zu sagen: Bei uns geht es nicht um Islamisierung, sondern um Entchristlichung. Aber in den anderen Ländern wird die westliche Welt als die christliche Welt wahrgenommen, gerade in den arabischen Ländern. Insofern unterscheiden sich diese beiden Wahrnehmungen. Dass vieles von dem, was bei uns im Westen passiert mit Christen nun gar nichts zu tun hat, macht nichts, sondern es wird dann trotzdem dem Christentum zugerechnet, weil es ein leichtes Feindbild ist.
    Florin: Die Bundesregierung hat die Anschläge - erwartungsgemäß - verurteilt. Der religionspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, hat erklärt: Dem Terror müsse sich die ganze zivilisierte Welt entgegenstellen. Wie könnte ein solches Entgegenstellen aussehen?
    Hirte: Zunächst einmal: Das ist völlig richtig und wir müssen vor allen Dingen laut aufschreien. Das haben wir auch an allen Stellen getan. Und wir müssen vor allen Dingen aus meiner Sicht dafür kämpfen, dass unser Verständnis der Religionsfreiheit sozusagen Vorbildcharakter hat. Denn wir erleben immer wieder, wenn Menschen aus Ländern - gerade auch des Nahen und Mittleren Ostens zu uns kommen -, dass sie fasziniert sind davon, dass sie hier ihre Religion frei leben können und dass hier Religionsfreiheit herrscht. Insofern ist unser Verständnis von Religionsfreiheit fast, würde ich sagen, eine Provokation.
    Heribert Hirte schaut mit verschränkten Armen in die Kamera
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Stephanus-Kreises Heribert Hirte (Foto: Tobias Koch)
    Unser Verständnis von Religionsfreiheit ist aber auch etwas anderes als das, was wir im Nahen und Mittleren Osten erleben, es ist nämlich ein Individualrecht. Hier lebt jeder seine Religion und in den Ländern dort ist es oft so, dass Religion von oben oktroyiert wird. Und insofern gehen Religion und Staat Hand in Hand. Wir haben Religion und Staat getrennt als Freiheitsrecht, als Freiheit des Einzelnen.
    "Christenverfolgung - ein Kampfbegriff"
    Florin: Sie benutzen das Wort "Christenverfolgung" oder "Einsatz für verfolgte Christen". Warum halten Sie dieses Wort, das auch ein Kampfbegriff ist, für angemessen?
    Hirte: Ich sage immer: Wir kämpfen für verfolgte Christen und setzen uns für Religionsfreiheit ein. Beides steht nebeneinander. Und in der Tat, es gibt andere, die sagen, man solle lieber von Bedrängung der Christen sprechen. So ist es etwa bei den beiden großen Kirchen. Ich glaube, beides muss man im Zusammenspiel sehen. Denn die entscheidende Frage ist, dass wir sozusagen viele indirekte Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit sehen, die weit im Vorfeld stattfinden. Weit im Vorfeld dessen, was eigentliche Verfolgung ist. Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Indien hat vor einiger Zeit den zwingenden Yoga-Unterricht an Schulen eingeführt. Und das war gezielt deshalb, weil Yoga mit dem Hinduismus verbunden wird, also aus der hinduistischen Überlieferung stammt, und Christen deshalb, jedenfalls indische Christen, damit ihre Schwierigkeiten haben. Das sind keine Verfolgungssituationen, sondern das sind Bedrängungssituationen. Deshalb ist der Bedrängungsbegriff sicherlich der weitergehende.
    Florin: Noch mal zurück nach Ägypten und nach Deutschland: Sollten Kopten Ihrer Ansicht nach grundsätzlich Asyl in Deutschland bekommen?
    Hirte: Grundsätzlich nicht. Ich habe nur gesagt und glaube, das ist auch richtig, wir sollten bei den Fällen, die im Augenblick in der Diskussion sind, ein bisschen genauer hinschauen, ob nicht doch die individuelle Verfolgungssituation so ist, dass Asyl gewährt werden sollte. Wir müssen nämlich auf der anderen Seite wissen - und das gilt für die meisten Christen des Nahen Ostens und auch in diesem Falle Ägyptens -, dass sie dort bleiben wollen, wo sie leben, und dass wir dafür arbeiten müssen, dort sichere Verhältnisse herzustellen.
    "Staaten instrumtalsieren die Religionen"
    Florin: Papst Franziskus wird im April Ägypten besuchen. Gerade dieser Papst betont: Alle Religionen wollen den Frieden, ausdrücklich auch der Islam will den Frieden, sagt er. Hat Franziskus Recht?
    Hirte: Ja, ich glaube, er hat Recht, was die Religionen angeht. Wir sehen, dass Beeinträchtigungen in der Religionsfreiheit in der ganzen Welt im Augenblick immer häufiger stattfinden. Wir sehen, dass immer mehr Staaten die Religion - oder bestimmte Religionen - für sich in Anspruch nehmen. Wenn Sie allein daran denken, dass Russland eine starke Assoziation mit der russisch-orthodoxen Kirche in den letzten Jahren entwickelt hat und auch die entsprechende - in dem Fall die Orthodoxie - für sich instrumentalisiert, sehen wir, das ist keineswegs eine Frage, die nur den Islam betrifft. Und insofern - für die Religionen gesprochen - hat Papst Franziskus sicher Recht, aber wir müssen vorsichtig sein, dass Religionen nicht von Staaten instrumentalisiert werden.
    Florin: Herzlichen Dank an Heribert Hirte, CDU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Stephanus-Kreises.
    Hirte: Vielen Dank meinerseits.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.