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Anschläge in Brüssel
"Wenn Terroristen quer durch Europa reisen können, haben wir ein Sicherheitsproblem"

Einen besseren Informationsaustausch zwischen den EU-Ländern forderte der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach im Deutschlandfunk. Hundertprozentige Sicherheit könne es aber bei allen Anstrengungen nicht geben - aber es existierten auch immer noch einige Schutzlücken, die man schließen könnte.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach spricht am 21.02.2014 zu Beginn der Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages in Berlin zu den Journalisten.
    Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Christine Heuer: Nach den Anschlägen von gestern möchten wir jetzt mit dem CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach über die politischen Konsequenzen aus den Anschlägen sprechen. Wir erreichen Herrn Bosbach am Flughafen in Köln. Guten Morgen!
    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen.
    Heuer: Herr Bosbach, was war Ihr erster Gedanke, als Sie gestern von den Anschlägen hörten?
    Bosbach: Mein erster Gedanke war, dass wir uns niemals mit dieser terroristischen Bedrohung abfinden dürfen, auch wenn wir damit wohl noch für längere Zeit leben müssen. Das wird ein harter Kampf, das wird ein zäher Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Und wir hatten nicht nur Fahndungserfolge in Deutschland in den letzten Jahren; wir haben auch Glück gehabt, weil einige Anschläge, die in Deutschland geplant waren, glücklicherweise gescheitert sind wegen Missgeschicks der Täter.
    Heuer: Sie sprechen von einem Kampf, der weitergehen muss. Belgien war aber schon in erhöhter Alarmbereitschaft und trotzdem ist es passiert. Ist Vorbeugung nicht einfach unmöglich?
    Bosbach: Hundertprozentige Sicherheit kann man bei allen Anstrengungen leider nicht garantieren. Europa, Westeuropa, Deutschland auch ausdrücklich steht schon seit geraumer Zeit im Visier des internationalen Terrors. Wir haben alle Anstrengungen unternommen, die man unternehmen kann, um unser Land, um Europa sicherer zu machen. Aber es gibt immer noch Schutzlücken, die wir schließen können, auch schließen müssen. Ein Beispiel: Wir haben auf der Ebene der Bundesrepublik das gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin-Treptow. Was wir dort koordinieren, die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder, das muss auch auf europäischer Ebene geschehen. Wir brauchen eine bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Das betrifft insbesondere den Austausch von Informationen über sogenannte Gefährder. Wir brauchen vor allen Dingen eine einheitliche Definition des Begriffes Gefährder in allen 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.
    Heuer: Mit dieser Forderung, Herr Bosbach, stehen Sie nicht alleine. Thomas de Maizière, der deutsche Innenminister, fordert auch massiv einen besseren Datenaustausch in Europa. Aber das passiert immer nach terroristischen Anschlägen. Wer verhindert denn, dass Europa sich besser vernetzt?
    Bosbach: Da haben wir schon oft genug in Deutschland Probleme gehabt im real existierenden Föderalismus, 16 Landeskriminalämter zu koordinieren, dem Bundeskriminalamt neue Kompetenzen zu übertragen. Das war ein langer, zäher Kampf. Auf europäischer Ebene haben wir es mit 28 souveränen Nationalstaaten zu tun, die geben nur ungern Kompetenzen ab. Die Brüsseler Anschläge machen erneut deutlich, dass man nicht alleine in den Grenzen eines oder seines Staates den internationalen Terror bekämpfen kann, sondern dass das nur mit guter grenzüberschreitender Kooperation geht.
    Heuer: Liefert Deutschland denn mehr Informationen als andere Staaten? Sind wir da ein Vorbild?
    Bosbach: Bessere Daten austauschen
    Bosbach: Ob wir jetzt die sind, die am meisten liefern, weiß ich nicht. Aber Deutschland liefert nicht nur "nackte Daten", Personensätze, sondern auch aufbereitete Daten an Europol. Da gibt es andere Länder, die hinter den Notwendigkeiten leider weit zurückbleiben.
    Heuer: Wen kritisieren Sie denn da konkret?
    Bosbach: Ich kritisiere ... Wissen Sie, es geht doch jetzt nicht darum, Kritik zu üben, sondern es geht darum, dass wir in Europa EU-weit einheitlich hohe Standards bekommen für den notwendigen Datenaustausch. Und wir haben ein anderes Problem, das hängt mit dem Begriff Datenschutz zusammen. Denn wir haben Daten, die haben wir auf Visa-Informationssystemen, wir haben das Schengen-Informationssystem. Diese Daten dürfen nach datenschutzrechtlichen Vorschriften der Bundesrepublik nicht vernetzt werden. Hier gilt der Begriff der Zweckbindung der Daten. Die Daten dürfen nur benutzt werden für den Zweck, für den sie erhoben worden sind. Bildlich gesprochen: Diese Daten stecken in einem großen Silo und diese Silos stehen nebeneinander. Wichtig wäre allerdings eine Gesamtschau und dafür ist es natürlich notwendig, dass wir diese Daten miteinander verknüpfen.
    Heuer: Da sind wir wieder an einem Punkt, Herr Bosbach, zu dem wir immer kommen, wenn es terroristische Anschläge gegeben hat. Das ist die Frage, soll man Freiheitsrechte aushöhlen oder mindern, um Sicherheit zu schaffen. Sie wären dafür?
    Bosbach: Ich glaube nicht, dass die Bürger das Gefühl haben, dass wir ihre Freiheitsrechte einschränken, wenn wir Daten nutzen zur Terrorabwehr. Daten, die ohnehin erhoben werden. Es geht nicht um die Erhebung von neuen oder anderen Daten, sondern es geht um eine Gesamtschau auf alle vorhandenen Daten, damit die Sicherheitsbehörden die Informationen haben, die sie brauchen, um Gefahren rechtzeitig erkennen und abwehren zu können. Und ich wüsste nicht, wie man da sagen kann, jetzt werden Freiheitsrechte der Bürger weiter eingeschränkt. Wer wird in seinem Freiheitsrecht eingeschränkt, wenn ohnehin erhobene Daten besser miteinander vernetzt werden.
    Heuer: Wir müssen auch, Herr Bosbach, mit einer neuerlichen Diskussion über offene Grenzen in Europa diskutieren, damit rechnen, dass eine solche Diskussion kommt. Wären Sie dafür, die Grenzen dichter zu machen aus Sicherheitsgründen?
    Bosbach: Hier müssen wir zwei Sachverhalte unterscheiden. Die Abschaffung der Binnengrenzkontrollen haben wir damals vorgenommen gegen das Versprechen sicherer EU-Außengrenzen. Nie waren die EU-Außengrenzen aber durchlässiger als heute. Das heißt, da muss die Europäische Union Anstrengungen unternehmen, um das, was man versprochen hat, zu erfüllen, damit es nicht zu einem Sicherheitsleck kommt. Davon zu unterscheiden ist in der momentanen Situation die Einreise von Personen, die nicht aus der Europäischen Union kommen und die keine Ausweise bei sich führen. Etwa die Hälfte derjenigen, die im Moment in die Bundesrepublik Deutschland kommen im Zuge der großen Fluchtbewegungen seit vielen Monaten, haben überhaupt keine Ausweispapiere. Mehr als die Hälfte. Das heißt, unabhängig von der Zahl: Wir sollten niemanden ins Land lassen mit völlig ungeklärter Identität und Nationalität. Wir haben seit Monaten einen erheblichen Kontrollverlust, aber wenn man darauf hinweist, dann wird man ja schnell in eine Ecke gestellt, als hätte man grundsätzliche Bedenken dagegen, Menschen, die in Not sind, aufzunehmen und zu helfen. Aber wir müssen wissen, wer in unser Land kommt mit welcher Identität und Nationalität.
    Heuer: Aber, Herr Bosbach, die Attentäter von Brüssel, die sind im Zweifel nicht mit dem Flüchtlingsstrom gekommen, sondern das ist ein klassischer Fall von hausgemachtem Terrorismus.
    Bosbach: Das habe ich auch nicht behauptet, dass die mit dem Flüchtlingsstrom gekommen sind. Sie haben mich gefragt nach der Sicherung von Grenzen.
    Heuer: Ja. Und ich möchte mit Ihnen aber über Schengen sprechen, auch in dem Zusammenhang, Herr Bosbach, denn die Gefahr, die wir im Moment erleben, ist eben nicht, dass von außen Terroristen in die EU kommen, jedenfalls ist das nach Brüssel nicht unser Fokus, sondern es geht um Terroristen, die hier geboren sind und die jetzt zum Beispiel von Belgien nach Deutschland reisen.
    Bosbach: Ja. Danach haben Sie mich aber gerade nicht gefragt, sondern Sie haben mich nach offenen Grenzen gefragt. Darauf bezog sich meine Antwort.
    Heuer: Dann frage ich Sie jetzt.
    Bosbach: Sicherheitsverlust ist zu beklagen
    Bosbach: Das betrifft das Thema Informationsaustausch. Wenn Terroristen unbehelligt und unerkannt von den Sicherheitsbehörden quer durch Europa reisen können, dann haben wir ein Sicherheitsproblem. Wir haben gesagt, dass wir diese, dadurch entstehenden Probleme zum Beispiel reduzieren durch Schleierfahndung. Und es ist schon interessant, dass die Europäische Kommission seit geraumer Zeit prüfen lässt, ob die Schleierfahndung, wie sie die Bundesrepublik Deutschland macht, meiner Überzeugung nach notwendigerweise richtig, ob die kompatibel ist mit den Versprechen der offenen Grenzen, oder ob die Schleierfahndung im grenznahen Bereich von 30 Kilometern nicht zu dicht ist - eine gerade kuriose Debatte angesichts der terroristischen Bedrohung.
    Heuer: Brauchen wir, Herr Bosbach, aus Sicherheitsgründen langfristig und nachhaltig ein bisschen weniger Schengen?
    Bosbach: Das wird die Zeit zeigen. Sicherlich haben wir einen Sicherheitsverlust zu beklagen, weil die EU-Außengrenzen nicht so sicher sind gegen illegale Einreise, wie sie eigentlich sein müssten. Und was wir auf jeden Fall brauchen - das habe ich vorhin schon gesagt -, ist einen besseren Informationsaustausch zwischen den 28 Mitgliedsländern der Europäischen Union und innerhalb des Schengen-Raumes auch. Wenn die Sicherheitsbehörden nicht alle Informationen haben, die sie brauchen, um Gefahren rechtzeitig abwehren zu können, dann haben wir ein Problem, unabhängig jetzt von dem Thema Grenzkontrollen.
    Heuer: Die Polizei in Deutschland klagt über zu wenig Personal, eine zu schlechte technische Ausrüstung und auch über das, worüber Sie jetzt klagen, nämlich zu wenig Vernetzung in Europa. Eine Frage zum Schluss, Herr Bosbach: Wie können wir in Deutschland ganz konkret nachlegen, wenn es um unsere Sicherheit geht?
    Bosbach: Genauso wie das der Bund auch getan hat. Wir haben beim Bundeskriminalamt, beim Bundesamt für Verfassungsschutz, bei der Bundespolizei nicht Personal abgebaut, sondern wir haben auch ganz aktuell schon lange jetzt vor Brüssel neue Stellen geschaffen. In den Ländern haben wir da, ich sage mal zurückhaltend, also in den Bundesländern, ein ziemlich buntes Bild. Eigentlich müsste klar sein, wir können der Polizei nicht ständig neue Aufgaben übertragen, neue Verantwortung geben und sie nicht angemessen personell ausstatten. Erfolgreiche Sicherheitspolitik heißt angemessene Personalausstattung, angemessene Technik und das richtige rechtliche Instrumentarium, um die Aufgaben auch erfüllen zu können.
    Heuer: Zum Schluss eine Forderung an die Bundesländer - der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach war das im Interview mit dem Deutschlandfunk. Wir haben ihn am Flughafen erreicht. Umso mehr bedanke ich mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, denn Ihr Flugzeug geht jetzt. Guten Flug, Herr Bosbach.
    Bosbach: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.