Einzeltäter seien schwieriger aufzuspüren als Netzwerke, betonte Glees. Man müsse sich anschauen, was man tun könne, um zu verhüten, dass Leute wie der Angreifer von London weitere Anschläge ausüben könnten. Glees plädierte dafür, dass die Geheimdienste ihre Ausspähungen künftig noch mehr ausweiten sollten.
Das Interview in voller Länge
Jasper Barenberg: Auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin haben wir zuletzt selber bitter lernen müssen, wie wenig Schutz möglich ist, wenn jemand ein Fahrzeug in eine Waffe verwandelt. Im Zentrum von London ist genau das gestern am Nachmittag geschehen, und zwar ganz in der Nähe des Parlaments von Westminster. Vorläufige Bilanz: Bei dem Anschlag hat der Mann drei Passanten und einen Polizisten getötet und rund 40 Menschen verletzt, schwer verletzt zum Teil, bevor er selbst erschossen wurde. – Am Telefon ist der britische Politikwissenschaftler Anthony Glees von der Buckingham University in London. Schönen guten Morgen.
Anthony Glees: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Glees, darf ich fragen, wie Sie von dem Anschlag erfahren haben, und wie haben Sie die Stunden dieser Ungewissheit erlebt, als die Lage noch völlig unübersichtlich war?
Glees: Die BBC hat mich angerufen und gesagt, ich soll schnell das Fernsehen anmachen. Es war etwas geschehen in London, im Unterhaus, und man wollte mich dann darüber befragen. Und das, was ich sah, war ein Ort, den ich sehr, sehr gut kenne. Viele nicht nur Briten werden den Ort kennen: Die Ecke des Parlaments, wo die Pforte steht, wo man hineingehen kann. Und es war klar, dass jemand mit seinem Wagen versucht hat, Leute erst umzubringen – man sah die Körper an der Westminster Bridge liegen –, und dann versucht hat, mit seinem Wagen durch die Pforten hereinzufahren, und dann rausgelaufen war. Er war eigentlich nur 100 Meter entfernt. Es war natürlich eine Mauer da und er war außen, nicht drinnen, aber nur 100 Meter entfernt vom Unterhaus, wo Frau Mey, die Premierministerin, bereit war, aufzustehen und zu sprechen. Also sehr, sehr gefährlich.
Zielscheibe Theresa May?
Barenberg: Sehr gefährlich, und in der ersten Stellungnahme, jedenfalls so wie ich das bei der BBC gesehen habe, sagte der Beamte, es ist eine laufende Operation der Polizei, wir werden in ganz London die Kräfte verstärken, wir wissen noch nicht, ob es zu Ende ist, wir wissen noch nicht, ob es weitere Täter gibt, ob es einen Täter gibt oder mehrere. Wie muss man sich das vorstellen, wenn man in London ist und mit dieser Situation konfrontiert ist?
Glees: Es ist ein sehr schwerer Schlag gewesen, ein schwerer Schlag natürlich für Großbritannien, ein schwerer Schlag für die britische Demokratie. Das war eine Attacke auf unser Unterhaus, auf unsere Demokratie und vielleicht auch auf Theresa May. Jeder Mensch wusste, das war gerade die Zeit, wo die Premierministerin jede Woche Antworten im Parlament gibt. Wenn der Täter Sprengstoff an sich gebunden hätte, wie die Polizei bestimmt zuerst geglaubt hat, denn Theresa May ist mit aller Geschwindigkeit aus der Gegend gebracht worden, dann wäre unser Gespräch jetzt ein bisschen anders.
Zweifel an der Stärke des Geheimdienstes
Barenberg: Treibt Sie auch die Frage um, wie es überhaupt passieren konnte, dass ein Angreifer es bis in einen Innenhof des britischen Parlaments mitten in London schafft?
Glees: Ja, genau das. Das ist auch ein schwerer Schlag gewesen. Wissen Sie, wir sagen, Leute wie ich sagen zu Leuten wie Ihnen in Deutschland nach Berlin, in Frankreich nach Nizza, wir in Großbritannien haben die besten Geheimdienste in der Welt. Sie dürfen gesetzlich das machen, was bei Ihnen unerlaubt ist. Wir sind sicherer als Sie. Und nun kommt dieser Angriff und wir sehen, dass wir nicht so stark sind, wie wir manchmal meinen. Wir hätten auch einfach stärker sein können, was die konkrete Sicherheit vor dem Unterhaus angeht.
Ich weiß, unsere Politiker wollen, dass die Bevölkerung das Parlament als freies Gelände sieht, dass man rein- und herausgehen kann. Der Polizist, der erstochen wurde, hatte kein Gewehr, der war gewehrlos. Aber ich glaube, in der Zukunft werden wir diese Lage nicht mehr annehmen können. Es muss hier härter gearbeitet werden. Natürlich: Es ist sehr schwierig zu wissen, wenn ein Einzeltäter da ist. Es ist einfacher, wenn ein Netzwerk besteht, denn die Leute müssen miteinander sprechen und planen und die können dann abgelauscht werden. Ein Einzeltäter ist schwieriger.
Großbritannien wird härter agieren
Barenberg: Die Sicherheitsbehörden sagen ja und haben immer wieder betont, sie hätten in den letzten Jahren 13 Anschläge vereiteln können. Ist dieses große Vertrauen in den Schutz vor dem Terror in Großbritannien, das Sie beschrieben haben, jetzt in Gefahr?
Glees: Ich glaube, sie muss jetzt in Gefahr sein, denn der Amokläufer ist vermutlich ein islamistischer Amokläufer. Der ist viel schwieriger herauszuspüren als das Netzwerk. Das bedeutet, dass man dann zurückgehen muss. Wir müssen sehen, woher dieser Mann gestammt hat. Man nimmt an heute Morgen, dass er aus Birmingham kommt, also aus einer geschlossenen Gesellschaft höchst wahrscheinlich in Birmingham. Wir müssen uns näher angucken, was wir tun können, um in der Zukunft zu verhüten, dass Leute wie er zum Radikalismus überführt werden können. Wir waren im Begriff, in Großbritannien ein bisschen die Lautstärke unserer Sicherheitspolitik abzudrehen. Theresa May selber war eher liberal und wollte nicht zu stark die Leute ausspähen. Jetzt wird das anders sein. Es wird jetzt härter zugehen in Großbritannien, und gut so!
Barenberg: Der Politikwissenschaftler Anthony Glees von der Buckingham University. Vielen Dank heute Morgen für Ihre Zeit.
Glees: Gerne geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.